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Politik & Gesellschaft

Eklat beim Berliner CSD

Judith Butler lehnt Zivilcourage-Preis des CSD ab. Der grenze sich nicht ausreichend von Rassismus ab.

Die Philosphin und Queer-Theoretikerin Judith Butler lehnte bei der Abschlussveranstaltung den Zivilcouragepreis ab. Begründung: Der CSD grenze sich nicht ausreichend von rassistischen Äußerungen ab.

Judith Butler

Es sollte der politische Höhepunkt des 32. Berliner Christopher Street Days werden: die Verleihung des Zivilcouragepreises an den Sexualwissenschaftler Martin Dannecker und die Queer-Theoretikerin Judith Butler.

Doch daraus wurde nichts, stattdessen endete die Preisverleihung im Eklat: Judith Butler, die international hohes Ansehen genießt, wies den Preis zurück. Ihre auf Deutsch vorgetragene Begründung: Der Berliner CSD sei zu kommerziell und grenze sich nicht ausreichend von rassistischen Äußerungen ab. Man kooperiere auch mit Projekten, die sich rassistisch geäußert hätten.

Butler erklärte, sie würde den Preis eigentlich am liebsten weitergeben. Es gebe Berliner Projekte, die ihn wirklich verdient hätten, weil sie sich gegen Rassismus einsetzten und die doppelte Diskriminierung von queeren Menschen mit Migrationshintergrund thematisierten.

Dazu gehörten etwa die Organisation GLADT (eine Organisation von türkeistämmigen Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transmenschen ), LesMigraS (der Antigewalt- und Antidiskriminierungsbereich der Berliner Lesbenberatung) sowie ReachOut (eine Beratungsstelle für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt).

Auch der politisch links stehende und an queeren Ideen orientierte Transgeniale CSD, der seit Jahren getrennt vom „großen CSD“ stattfindet, wurde von Butler ausdrücklich gewürdigt: Dort beschäftige man sich noch mit den großen Fragen von Krieg und Frieden sowie sexueller Identität. Man könne queere Emanzipation nicht abgekoppelt betrachten von der Auseinandersetzung mit Rassismus.

Der Transgeniale CSD zeigte sich in seinem Blog umgehend begeistert von Butlers Auftritt: „Wir finden das große Klasse, ganz großes Theater! Danke, Judith!“

Der Berliner CSD e.V. wies die Vorwürfe Butlers noch auf der Bühne zurück: Man wehre sich entschieden gegen die Anschuldigung, rassistisch zu sein, sagte Vorstandsmitglied Jan Salloch: „Das ist einfach nicht wahr.“ Einer kleinen Gruppe vor der Bühne, die Butlers Rede lautstark bejubelt hatte, rief er zu: „Ihr seid nicht die Mehrheit hier!“

Hinter der Bühne stand nach dem Eklat eine Frage im Vordergrund: Was genau meint Judith Butler? Sie hatte es in ihrer schriftlich vorbereiteten Rede nämlich bei eher allgemein gehaltenen Aussagen belassen. Warum der Berliner CSD in ihren Augen mit Projekten kooperiere, die sich rassistisch geäußert hätten, erklärte sie nicht. 

Viele CSD-Besucher empfanden Butlers Rede daher als dürftig. Von einer renommierten Denkerin hätte man zumindest eine differenzierte Begründung erwartet, hieß es. Zumal Butler nach der Preisverleihung, die keine war, rasch das Weite suchte.

Hintergrund des Rassismus-Vorwurfs ist vermutlich ein alter Streit in der Berliner Szene: Das Anti-Gewalt-Projekt Maneo, das zum schwulen Info- und Beratungszentrum Mann-O-Meter gehört, hat in seinen Angaben über die Täter bei antischwuler Gewalt immer wieder auch Angaben über deren Migrationshintergrund gemacht.

Seit Jahren wird in Berlin heftig darüber debattiert, ob junge Männer aus bestimmten Kulturen, etwa aus der Türkei, überproportional häufig Gewalttaten gegen Schwule und Lesben verüben.

Die Art und Weise, wie Maneo und auch der Lesben- und Schwulenverband Berlin- Brandenburg (LSVD) mit diesem Thema in der Öffentlichkeit umgegangen sind, wird von einigen Kritikern als rassistisch betrachtet. Andere – darunter auch Menschen türkischer Herkunft – sahen darin schlicht eine Darstellung der Realität.

Zwischen dem CSD und Mann-O-Meter gibt es enge Beziehungen und personelle Überschneidungen.

Aber wie gesagt: Diese Debatte, die eine differenzierte und verantwortungsbewusste Diskussion verlangt, wurde auf der CSD-Bühne nicht ausdrücklich erwähnt.

Butler hat nach Angaben der CSD-Veranstalter auch nicht das Gespräch mit ihnen gesucht, um deren Meinung zu hören. Stattdessen erklärte sie auf der Bühne, sie habe in den vergangenen Tagen einiges über die Berliner Szene gelernt.

Es bleibt zu hoffen, dass der Eklat nun vor allem zu inhaltlichen Diskussionen führt und nicht den Graben vertieft, der zwischen den beiden Berliner CSDs verläuft.

 (Holger Wicht)

Fotos von ICH WEISS WAS ICH TU auf dem Berliner CSD