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„Mein Chef hat cool reagiert!“

Marcel ist HIV-positiv. Er entschloss sich, offen mit seiner Erkrankung umzugehen und es seinem Chef und den Kolleginnen und Kollegen zu sagen. In einem Interview spricht er über seine Erfahrungen.

Marcel geht offen mit seiner HIV-Erkrankung um. Auch an der Arbeit. (Foto: IWWIT)

Nach Marcels HIV-Infektion beschloss er, sich seinem damaligen Chef anzuvertrauen. Keine leichte Entscheidung. Doch die Reaktion seines Chefs war vorbildlich, wirklich „cool“ und bestärkte Marcel in seinem Entschluss, offen mit seiner Erkrankung umzugehen. Wie seine Kolleginnen und Kollegen reagierten und welche Tipps er an Andere hat, die überlegen,  sich an ihrer Arbeit zu outen, kannst du hier lesen…

Marcel, du hast deinen damaligen Arbeitgeber direkt über deine HIV-Infektion informiert. Das war sicher kein leichter Schritt. Wieso bist du ihn dennoch gegangen?

Das hatte mehrere Gründe. Einerseits war ich zu der Anfangszeit oft beim Arzt, da ich mich kurz nach der Infektion ziemlich schlecht gefühlt habe. Das hat sich mit der Zeit dann gelegt, da meine Viruslast sich gesenkt und eingependelt hatte. Anfangs fehlte ich aber öfter aus gesundheitlichen Gründen auf der Arbeit. Da wollte ich dann einfach nicht, dass meine Kollegen munkeln, was mit mir los sei, sondern dass sie Klarheit haben.

Außerdem wollte ich „sichtbar“ sein, mich nicht verstecken müssen, nur weil ich HIV-positiv bin. Es ging auch darum, Luft abzulassen. Ungefähr so wie bei einem schwulen Coming-out. Wenn es raus ist, dann ist Druck weg und man fühlt sich oftmals besser. So ging es mir jedenfalls. Ich hatte das Gefühl, eine unglaubliche Last mit mir rumzutragen, die ich loswerden wollte. Dabei ging es mir auch darum, dieses „Tabuthema“ öffentlich zu machen. Ich glaube, wenn man offen damit umgeht, dann stellen die Leute viele Fragen. Und Fragen sind immer gut, weil durch Gespräche Vorurteile, falsche Informationen und damit auch Diskriminierung abgebaut werden können.

Als Erstes hast du es deinem damaligen Chef gesagt. Wie hat er reagiert?

Mein Chef hat cool reagiert! Ich muss rückblickend sagen, dass ich mir gute und schlechte Reaktionen ausgemalt habe. Das, was dann tatsächlich passiert ist, hat meine positiven Erwartungen sogar um einiges übertroffen. Mein Arbeitgeber sagte mir, dass er jederzeit für mich ansprechbar sei und ich mir Zeit für mich nehmen darf und soll. Es gab in diesem Betrieb auch psychologische Hilfe, die mir angeboten wurde. Und was mir besonders geholfen hat, war, dass mein Chef direkt das Thema Mobbing angesprochen hat. Er sagte sofort, dass er es nicht zulassen wird, dass irgendeiner seiner Mitarbeiter von anderen gemobbt wird. Wäre so etwas vorgekommen, dann hätte ich zu ihm kommen können, und es wären entsprechende Gespräche und andere Maßnahmen in die Wege geleitet worden.

Rollenmodell Marcel ist seit Beginn der Kampagne 2008 mit an Bord. (Foto: IWWIT)

Nach deinem Chef hast du mit deinen Kolleginnen und Kollegen gesprochen. Hattest du Angst davor?

Knappe Antwort: Ja. Ich wusste ja nicht, wie gut sie informiert sind. Wissen sie, dass im normalen Alltag eine Ansteckung quasi unmöglich ist? Sehen sie mich als Gefahr? Werden sie mich mobben? Oder kann ich im Gegenteil auf Unterstützung hoffen? Man lernt seine Kollegen mit der Zeit kennen, aber selten so gut, um zu wissen, wie sie mit Dingen dieser Art umgehen werden.

Wie haben sie dann reagiert?

Anders als ich erwartet hatte: relativ gut. Am Anfang gab es einige Berührungsängste, aber ich habe von Anfang an gesagt, dass ich gerne jedem die Zeit gebe, sich zu informieren. Es war quasi so, dass ich „Rechte und Pflichten“ hervorgehoben habe, in etwa so: „Ich gebe jedem von euch das Recht, sich erst mal zu informieren und auf Abstand zu gehen. Gleichzeitig verlange ich aber auch, dass ihr Infos einholt, damit ihr keine unbegründeten Ängste habt oder anfangt, mich schlechter zu behandeln. Das kann ich nicht akzeptieren.“ Ich denke, dass diese selbstbewusste Ansage ankam und dafür gesorgt hat, dass die Kollegen sich tatsächlich informiert haben. Mit der Zeit wurde es wie vorher, und mit manch einem hat sich eine enge Freundschaft entwickelt, weil man über viele ernste Dinge gesprochen hat. Viele haben sich auch mir gegenüber geöffnet und an ihren eigenen Schicksalsschlägen teilhaben lassen. Das war wirklich total toll. Ich habe sehr viel Solidarität und Verständnis erfahren. Besser hätte es nicht laufen können. So wünsche ich es mir für jeden anderen auch, weil es sicher bei mir wie im Idealfall gelaufen ist.

Was kannst du anderen für Tipps geben, wie man mit HIV in der Arbeit umgehen sollte?

Ich denke, dass jeder seine Kolleginnen und Kollegen und den eigenen Arbeitgeber am besten kennt. Ich würde niemals pauschal zu einem positiven Coming-out raten. Das muss jeder selber entscheiden. Es ist vielleicht auch nicht immer der richtige Schritt. Denn es muss ja nicht so ideal ablaufen wie bei mir. Wenn man vorher weiß, dass es Probleme geben wird, dann sollte man genau abwägen, ob es dies wert ist. Es gibt da auch bei den lokalen Aidshilfen die Möglichkeit, sich Rat zu holen.

Andererseits, wenn man sich bei der Arbeit outet, gilt aus meiner Sicht: selbstbewusst sein! Direkt klar machen, dass man Diskriminierung nicht duldet. Und für den Fall, dass das doch passiert, muss man sich auch wehren können, indem man Schritte einleitet, die dies unterbinden sollen. Auch beim Coming-out an der Arbeitsstelle kann die Aidshilfe einen unterstützen. In unsere Bürogemeinschaft kam jemand von der Aidshilfe, um Fragen zu klären und Fakten zu schaffen. So eine neutrale Person wirkt noch mal ganz anders auf die Kollegen. Das hat bei uns sehr gut geholfen.

Interview: Tim Schomann

Hier geht es zum Bereich „HIV und Arbeit“ von ICH WEISS WAS ICH TU.

Hier geht es zum Dossier „HIV und Arbeit“ der Deutschen AIDS-Hilfe.