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Leben mit HIV Politik & Gesellschaft

Wo schlafe ich heute Nacht?

Das „BASIS-Projekt“ in Hamburg unterstützt Stricher. Dabei geht es oft um grundlegende Bedürfnisse wie schlafen, essen und Wäsche waschen. Eine Reportage von Philip Eicker

Das Herzsück des BASIS-Projektes: die Waschmaschine (Foto: BASIS-Projekt)
Das Herzsück des BASIS-Projektes: die Waschmaschine (Foto: BASIS-Projekt)

Waschmaschinen murmeln, ein Trockner rumpelt. So klingt es im Herzstück des Hamburger „BASIS-Projekts“, einer fensterlosen Kammer in einer ehemaligen Schwulendisko. Die Luft ist saunawarm und trocken, es duftet nach Waschmittel und Tabak. Auf dem Boden etwa drei Dutzend Reisetaschen, Rucksäcke und Plastiktüten, dazwischen ein zusammengeknäultes T-Shirt, ein einzelner Turnschuh. All das gehört jungen Männern, die hier in St. Georg auf den Strich gehen. Die meisten haben keine feste Unterkunft, geschweige denn eine Waschmaschine. Das BASIS-Projekt will ihre grundlegenden Bedürfnisse stillen: essen, trinken, duschen, ein paar Stunden schlafen, Wäsche waschen.

„Was für die meisten Deutschen zur Grundversorgung gehört, ist für unsere Klienten keine Selbstverständlichkeit“, sagt Gerhard Schlagheck. Der 45-jährige Mann mit den markanten blonden Koteletten ist Sozialarbeiter bei BASIS. Seit 1986 kümmert sich das Hamburger Projekt um männliche Prostituierte, die vor allem in St. Georg anschaffen gehen. Das angesagte Bahnhofsviertel ist auch Zentrum der schwulen Szene. Hier sind nachts die BASIS-Mitarbeiter wie Gerhard Schlagheck unterwegs. Sie tragen eine große Umhängetasche mit der Aufschrift „Streetworker“, verteilen Infomaterialien in mehreren Sprachen – und Cruising-Packs, bestehend aus Kondom und einem Tütchen Gleitgel. „Ein guter Anknüpfungspunkt“, sagt Schlagheck. „Zur Not kann ich auch ein Beratungsgespräch am Tresen improvisieren.“ Vor allem aber lädt er die jungen Männer ein, beim BASIS-Projekt vorbeizuschauen. Der Großteil der Stricher ist zwischen 18 und 22 Jahre alt, nur ein Fünftel hat die deutsche Staatsbürgerschaft.

Gerhard Schlagheck ist seit 1996 Sozialarbeiter beim BASIS-Projekt. (Bild: privat)
Gerhard Schlagheck ist seit 1996 Sozialarbeiter beim BASIS-Projekt. (Bild: privat)

Die wenigsten Stricher haben eine feste Bleibe. Die meisten stehen jeden Abend vor der Frage: Wo schlafe ich? Manche kommen bei Freunden unter, andere bei ihren Freiern. Andere bringen die Nacht im Halbschlaf hinter sich, im Pornokino, auf dem Barhocker, auf einer Parkbank. Hier hilft BASIS mit Ruheräumen: So können die Stricher zumindest ein paar Stunden Mittagschlaf halten. Der Schlafplatz in der Anlaufstelle wirkt auf den ersten Blick nicht einladend: Ein fensterloser Raum mit einem Stockbett aus Metall, Matratzen mit schwarzem Gummibezug. „Den kann man leicht desinfizieren“, erklärt Gerhard Schlagheck. Eine Leselampe spendet etwas Gemütlichkeit. Außen an der Tür klebt eine Liste, auf der sich die Schlafbedürftigen eintragen müssen. Komfortabler ruht man in zwei Wohnungen des Projekts mit jeweils fünf Schlafplätzen. Vor allem Minderjährige finden so kurzfristig eine Unterkunft. „In der Wohnung können sie sich ausschlafen und erholen“, sagt Gerhard Schlagheck, „und nach einer besseren, dauerhaften Wohnform suchen.“

Haben die Männer erst einmal ihre grundlegenden Bedürfnisse befriedigt, erhalten sie bei BASIS weitergehende Unterstützung. Die Beratungsthemen sind vielfältig: Wohnungslosigkeit, Krankheit, Strafverfolgung wegen Schwarzfahren oder einem fehlenden Ausweis. Auch zwischenmenschliche Probleme kommen zur Sprache. Ein wichtiger Kooperationspartner ist CASA Blanca, die zentrale Hamburger Beratungsstelle für sexuell übertragbare Krankheiten. Für Menschen ohne Krankenversicherung ist sie oft die einzige Möglichkeit, eine rudimentäre Gesundheitsversorgung zu bekommen. Auch bei BASIS hält einmal pro Woche eine Ärztin Sprechstunde. Eine Grundversorgung ist möglich, für eine langfristige Behandlung fehlt das Geld. Das „Dr. Georg“ genannte Angebot wird nur durch Spenden finanziert.

Das BASIS-Projekt ermöglicht auch eine medizinische Grundversorgung. (Foto: BASIS-Projekt)
Das BASIS-Projekt ermöglicht auch eine medizinische Grundversorgung. (Foto: BASIS-Projekt)

Das BASIS-Projekt lindert Not, das Leben seiner Klienten umkrempeln kann es nicht – und will es auch gar nicht: „Meinen Erfolg messe ich, indem ich mir erreichbare Ziele setze“, betont Gerhard Schlagheck. Zum Beispiel, wenn ein Stricher bei BASIS regelmäßig duscht. „Wer sich um seinen Körper sorgt, ist auch in einer sexuellen Risikosituation eher bereit, aufzupassen.“ HIV-Prävention war der Grund, warum die Stadt Hamburg das BASIS-Projekt vor 20 Jahren ins Leben rief. „Die Gesundheitsberatung steht nach wie vor an erster Stelle“, betont Gerhard Schlagheck. „Aber heute setzen wir den Fokus auch auf andere sexuell übertragbare Krankheiten.“ Zur Zielgruppe gehören auch die Kunden der Stricher. „Die gesundheitspräventive Arbeit des BASIS-Projekts soll beide am sexuellen Kontakt Beteiligten erreichen“, so Gerhard Schlagheck.

Auf die Frage nach Veränderungen erklärt er: „Auf dem Strich ändern sich die Dinge schleichend, zum Beispiel wenn sich die Herkunft unserer Klienten ändert.“ Als Gerhard Schlagheck 1996 beim BASIS-Projekt eingestiegen ist, kamen die meisten Stricher aus Tschechien, später aus Rumänien, heute aus Bulgarien. „Jede dieser Gruppen bringt ihre kulturellen Besonderheiten mit. Auf die müssen wir uns einstellen.“ Und auf die Sprache natürlich. Aber egal, woher die jungen Männer kommen, die ihren Körper verkaufen, ihre Motive und Nöte gleichen sich. Zuerst einmal müssen sie jeden Tag wieder klären: Wo schlafe ich heute Nacht?

Zur Website des BASIS-Projekts: http://basis-projekt.de.
Das Projekt freut sich über Geld- und Sachspenden, zum Beispiel in Form von Kleidung. Nähere Informationen bietet der Trägerverein „Basis & Woge“ unter www.basisundwoge.de/spenden

Von Philip Eicker

Arbeitet freiberuflich als Autor und Magazinredakteur, unter anderem für die Deutsche Aidshilfe, das Erzbistum Berlin und das queere Stadtmagazin Siegessaeule.