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Politik & Gesellschaft

„Fußball und Karneval verbindet alle Brasilianer – egal ob homo oder hetero.“

Die Fußball-WM in Brasilien ist gestartet. Was denken Brasilianer in Deutschland über das Ereignis – insbesondere schwule Brasilianer? Und wie beurteilen sie das Leben von Schwulen in ihrem Heimatland? Wir von ICH WEISS WAS ICH TU sind diesen Fragen im Copa Brazilian Deli nachgegangen. In dem Berliner Bistro-Café, das von Rosimar geführt wird, die vor allem von ihren brasilianischen Gästen liebevoll als „Mama“ tituliert wird, haben wir mir Ivan und Giovanni gesprochen.

Interviewpartner Giovanni und Renato, der Cousin von Café-Betreiberin Rosimar, vor dem Copa Brazilian Deli.
Interviewpartner Giovanni und Renato, der Cousin von Café-Betreiberin Rosimar, vor dem Copa Brazilian Deli. (Foto: ck)

Wie wird die Fußball-WM in eurem Heimatland wahrgenommen?
Ivan: Ich bin vor drei Wochen von einem Brasilienbesuch zurückgekehrt und habe unterschiedliche Stimmungen wahrgenommen: Zum einen Kritik daran, dass Gelder nur in Fußballstadien und so geflossen sind, anstelle in Schulen oder Straßen. Zum anderen machen sich manche auch gewisse Sorgen, wie die ausländischen Gäste das Land wahrnehmen. Wenn man weiß, dass allein 2013 in São Paulo die Kriminalitätsrate um ein vielfaches gegenüber dem Vorjahr gestiegen ist, ist das nicht ganz unberechtigt, oder? Und natürlich freuen sich sehr viele auf die WM. Ich bin fest davon überzeugt, dass Brasilien trotz allem mit seiner Gastfreundschaft punkten wird und dass alles in einem großen Karneval enden wird.

Giovanni: Das glaube ich auch. Fußball ist in Brasilien wie eine Religion. Da ist jeder dabei. Gleichzeitig denken viele Brasilianer auch etwas ironisch: Die Regierung hat das viele Geld für die WM jetzt ausgegeben, was sollen wir sonst machen, wenn nicht feiern.

Ist die WM auch für die brasilianischen LGBT-Community ein Thema?
Ivan: Ja klar. Fußball und der Karneval verbindet die Brasilianer – egal ob hetero oder homo. Da spürt man immer „Wir sind eins“. Das finde ich toll.

Giovanni: Natürlich schauen auch Schwule und Lesben Fußball. Und sei es alle vier Jahre zur WM (lacht). So mache ich das auf jeden Fall mit meinen Freunden hier in Berlin.

Wie ist denn die Situation der LGBT in Brasilien?
Ivan: Brasilien ist immer noch an erster Stelle ein Macho-Land. Da gibt‘s dann Vorstellungen, dass alle Schwulen Tunten sind. Absoluter Blödsinn natürlich. Auch homophobe Übergriffe sind nicht so selten. Von Seiten der Regierung wurde in den vergangenen Jahren viel für LGBT-Rechte getan, so können wir auch heiraten. Heute kann man tagsüber ein schwules Pärchen sehen, dass sich auf offener Straße küsst oder zwei Lesben, die Arm in Arm spazieren gehen. Das ging vor ein paar Jahren noch nicht. Ein Freund hat es mal sehr zynisch zusammengefasst: „Wir können umgebracht werden – aber immerhin tragen wir dann einen Ehering.“   

Was sagen schwule Brasilianer zur Fußball-WM? Mit Ivan und Giovanni haben wir im Copa Brazilian Deli gesprochen.
Was sagen schwule Brasilianer zur Fußball-WM? (Foto: ck)

Giovanni: Die Stimmung im Land gegenüber brasilianischen Schwulen und Lesben ist grundsätzlich O.K. Natürlich muss man das immer im Einzelfall anschauen, wie deine Familie reagiert oder deine Freunde. Und ich hab immer wieder diese Sätze gehört „ Es ist voll O.K., dass du schwul bist. Aber mein Sohn soll es bitte nicht sein.“ Das ist aber in Deutschland doch nicht anders.

Wie sieht’s beim Thema HIV aus?
Giovanni: Zunächst muss man wissen, dass es in Brasilien ein steuerfinanziertes Versorgungssystem mit freiem Zugang für alle Bürger gibt. Der Staat versorgt Kranke also kostenlos. Das ist toll. Dennoch ist nicht alles perfekt. Es gibt einen Ärztemangel, lange Wartezeiten für einen Facharzttermin und die Gesundheitseinrichtungen sind oft schlecht ausgestattet. Dennoch: Wer HIV-Medikamente braucht, bekommt sie auch. Es kommen auch oft andere Südamerikaner nach Brasilien, um sich behandeln zu lassen.

Ivan: Gegen HIV wird viel getan. Brasilien ist eines der Länder, in denen Generika, also günstige Nachahmpräparate, ausgegeben werden. Insgesamt ist in den letzten Jahren viel passiert, auch wenn noch nicht alles rund läuft. Prävention ist auf jeden Fall auch ein großes Thema. In den schwulen Saunen zum Beispiel liegen überall Kondome aus. Interessant ist doch auch, dass die Infektionsrate bei Hetero-Männern in den letzten Jahren gestiegen ist, während sie unter Schwulen gesunken ist.

Vier Wochen im Zeichen der WM. Brasilien feiert - und zeigt sich dennoch kritisch.
Vier Wochen im Zeichen der WM. Brasilien feiert – und zeigt sich dennoch kritisch. (Foto: ck)

Ein Wort über den „typischen“ brasilianischen schwulen Mann: Was zeichnet ihn aus?
(Ivan und Giovanni lachen)
Ivan: Den typischen brasilianischen schwulen Mann gibt es genau so wenig wie den typischen deutschen Schwulen. Man kann sicherlich sagen, dass alle Brasilianer sehr gerne flirten. Es liegt immer ein Prickeln in der Luft und die Erotik knistert. Dabei ist das Ziel klar: gemeinsam in der Kiste zu landen.

Giovanni: Schwule Brasilianer sind direkter als zum Beispiel die Deutschen. Wir sagen, was wir fühlen. Wir sagen vielleicht auch früher „Ich liebe dich!“. Die Deutschen lassen sich damit Zeit. Und wenn ich verliebt bin, dann will ich nur Zeit mit meinem Freund verbringen, während ein deutscher Schwuler auch mal Zeit für sich haben will. Und wenn ein Deutscher sagt „Es ist aus!“ dann ist es auch vorbei. Wir Brasilianer sind eher noch bereit, an einer Beziehung zu arbeiten, dass es besser läuft. Dennoch hab ich nicht so gerne eine Beziehung mit einem Brasilianer. (lacht)

Eine letzte Frage: Wer wird Weltmeister – und warum?
Giovanni: Keine Ahnung. Aber ich hoffe, dass Brasilien gegen Deutschland im Finale spielt. Dann kann ich beiden die Daumen drücken.

Ivan: Natürlich hoffe ich, dass Brasilien Weltmeister wird. Und wenn nicht Brasilien, dann Italien. Die Spieler sehen alle scharf aus. Mit denen würde ich gerne mal zusammen … (lacht). Ansonsten darf gern ein Außenseiter-Team gewinnen, ein afrikanisches Team zum Beispiel. Es muss nicht immer Deutschland sein.

Von Christoph Kolbe

Langjähriger Mitarbeiter des Berliner Kampagnenbüros von ICH WEISS WAS ICH TU.