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Politik & Gesellschaft

Kampf gegen Homo- und Transphobie: Gegen Brasilien sehen wir alt aus

Als Homo– und Transphobie werden aggressiv-ablehnende, gegen Homosexuelle und Trans*-Menschen gerichtete Verhaltensweisen verstanden. Ursache ist eine oft tief sitzende Angst vor der „Andersartigkeit“ dieser Personen, die als provozierend erlebt wird und auf eigene unterdrückte Persönlichkeitsanteile verweist. Wie Brasilien und Deutschland damit umgehen, beschreibt Peter Wiessner

Brasilien gilt als offenes Land.
Brasilien gilt als offenes Land.

Brasilien gilt als offenes Land. Sao Paulo zum Beispiel richtet jährlich eine der weltweit größten Schwulenparaden aus – nach Angaben der Veranstalter mit bis zu fünf Millionen Teilnehmern.

Auch in Bezug auf die HIV-Politik wird das Gastgeberland der Fußball-WM 2014 oft als vorbildlich dargestellt. Die Regierung hat die Bedrohung durch HIV frühzeitig ernst genommen und für alle den Zugang zu HIV-Therapien sichergestellt. Sie hat sehr bald erkannt, dass die von HIV besonders betroffenen Gruppen umfassend in die Planung und Umsetzung der Prävention einbezogen werden müssen. Und als deutlich wurde, wie schnell Menschen mit HIV Opfer von Diskriminierung werden können, haben mehrere Bundesstaaten die Rechte der betroffenen Gruppen und Personen gestärkt: Seit 1989 verbieten die Verfassungen dieser Staaten die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung.

Vorbild Brasilien

Anti-Diskriminierungsgesetze sind heute umfassend umgesetzt – mit Regelungen, die bei uns kaum vorstellbar wären: So müssen in Rio de Janeiro seit Mai 2000 Hotels, Restaurants und Bars bei einer nachgewiesenen benachteiligenden Behandlung schwuler Gäste mit einer Geldstrafe von bis zu 7.000 Dollar oder einer einmonatigen Schließung rechnen.

Auch auf anderen Ebenen wurden die Rechte sexueller Minderheiten gestärkt: Seit 2011 haben auch Einzelpersonen und gleichgeschlechtliche Paare Zugang zu Samenbanken und zu künstlicher Befruchtung, und seit Mai 2013 ist die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare landesweit geöffnet und die gemeinschaftliche Adoption durch gleichgeschlechtliche Paare landesweit durchgesetzt.

Fortschrittlich, wenn man bedenkt, dass von unserer Bundeskanzlerin noch vor nicht allzu langer Zeit zu hören war: „Ich sage Ihnen ganz ehrlich, dass ich mich schwertue mit der kompletten Gleichstellung. Ich bin mir unsicher, was das Kindeswohl angeht.“ Zum Vergleich Brasilien: Schon 2009 erklärte der damalige Präsident Lula da Silva den 17. Mai, den internationalen Tag gegen Homophobie und Transphobie, zum offiziellen Nationalfeiertag.

Viele gute Maßnahmen und Gesetze – weil leider notwendig

Transsexueller Mensch
Transsexueller Mensch.

So weit, so gut. Aber man muss auch den Hintergrund für all diese Anti-Diskriminierungsmaßnahmen sehen, nämlich die zunehmende Zahl von Übergriffen, denen Menschen aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung ausgesetzt sind.

Nach Angaben einer brasilianischen Menschenrechtsorganisation kam es im vergangenen Jahr zu 2.830 Angriffen gegen Schwule und Transgender und andere, nicht der sexuellen Norm entsprechende Personen.

Amnesty International berichtete 2002 von 126 Morden mit homo- und transphobem Hintergrund, Tendenz steigend: 2009 wurden 198 Morde dokumentiert, 2010 fielen dem gegen sexuelle Minderheiten gerichteten Terror 235 Menschen zum Opfer.

Und die Internetseite www.homofobiamata.wordpress.com, auf der solche Fälle dokumentiert und publiziert werden, berichtet von 336 Morden im Jahr 2012.

Unterstützung von oberster Stelle – in Deutschland kaum denkbar

Dennoch: Brasilien setzt sich aktiv für Homosexuelle und Trans*-Menschen sowie für andere Minderheiten ein und ruht sich nicht auf dem Erreichten aus. Als die Teilnehmer der letzten Schwulenparade in Sao Paulo von der Regierung forderten, die zunehmende Diskriminierung von Schwulen und Lesben offensiver zu bekämpfen, schickte Präsidentin Dilma Rousseff über den Kurznachrichtendienst Twitter, der in Brasilien viel verbreiteter ist als hierzulande, eine Solidaritätsbotschaft, mit der sie eine Hotline für Opfer homophober Übergriffe bewarb.

Als allein symbolischer Akt wäre das sicherlich zu wenig. Da in Brasilien aber das Wort von Politikern in der Regel ernster genommen werden kann als bei uns, kann man davon ausgehen, dass den Worten auch Taten folgen.

Und davon können wir uns in Deutschland durchaus eine Scheibe abschneiden.

Kontakt: Peter-wiessner@t-online.de