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Politik & Gesellschaft

Einfach zynisch: „Wie du in den Wald hineinrufst…“

Mit „Gleiche Rechte für Gleiche!“ ist der Artikel von Dennis Deuling in der aktuellen Ausgabe des Schwulenmagazins „Männer“ überschrieben. Thema des Hefts: (Homo) Randale oder Anpassung? Für Deuling ist die Sache klar: Anpassung!

Vorsicht Abzocke

Für eine lebensweisenakzeptierende Kampagne wie ICH WEISS WAS ICH TU ist dies der falsche Ansatz. Vielfalt ist unsere Stärke. Wir sagen, jeder soll so leben dürfen, wie er will. Egal ob angepasst oder „schrill“ und „bunt“.

Aber ein Magazin wie die „Männer“ darf – muss vielleicht sogar – diese Diskussion führen, und natürlich darf Dennis Deuling seine Meinung haben und äußern.

Man wird allerdings stutzig, wenn der Autor die homophoben Gesetze in Russland und Uganda als Reaktion auf die westliche Darstellung homosexuellen Lebens verstanden wissen will. Wir bräuchten uns nicht zu wundern, dass die „heterosexuelle Mainstream-Gesellschaft Angst vor uns“ bekomme, wenn wir unsere „Andersartigkeit“ ständig so betonten, lesen wir.

So weit, so befremdlich.

Doch was noch in diesem Artikel steht, geht weit über die Grenzen eines verantwortungsvollen Journalismus hinaus. Denn was nicht geht und nicht unwidersprochen bleiben darf, sind geschichtliche Verdrehungen und Umkehrungen von Opfer- und Täterschaft. Und genau das macht Deuling:

Zunächst stürzt er sich auf die „schockierende Andersartigkeit“ der Conchita Wurst, um dann das Urteil zu fällen: „Und das ist gar nicht gut so!“

Andersartigkeit, gar schockierende, findet der Autor schädlich. Und findet dafür schnell Belege. In der Geschichte. Und spätestens hier muss sich die Redaktion der Männer fragen lassen, ob dieser Artikel überhaupt gegengelesen wurde:

„In unserer gesamten Geschichte können wir verfolgen, wohin einen diese „Andersartigkeit“ führen kann. Erst wurden Indianer in Reservate gesperrt, dann wurden Schwarze versklavt und was im Dritten Reich mit den „Andersartigen“, besonders den Juden, passierte, muss hier nicht ausgeführt werden. Diese Gruppierungen haben alle eine Gemeinsamkeit. Sie waren jedes Mal „anders“, was konkret bedeutet: sie entsprachen nicht der Normgesellschaft. In der Vergangenheit wurde „Andersartigkeit“ anhand der Kultur, Herkunft oder Religion der Betroffenen bestimmt. Heute sieht die Messung, die durch die heterosexuelle Gesellschaft vorgenommen wird, ähnlich aus. Wir werden nicht nur daran gemessen, mit wem wir unser Bett teilen. Sondern auch daran, wie wir dieses Faktum darstellen. Meine Lieblings-Großmutter war eine sehr intelligente Frau und eine ihrer Regeln für die Gesellschaft lautete: „Wie du in den Wald hineinrufst, so schallt es auch wieder heraus!“

Hier werden Opfer zu Mittätern gemacht. Es wird suggeriert, Juden, „Indianer“ und Schwarze trügen an ihrer Verfolgung und Ermordung irgendwie eine Mitschuld. Schließlich – so kann man Deuling verstehen – waren sie „anders“, „nicht der Normgesellschaft entsprechend“ und damit nicht „angepasst“ genug.

Das aber ist eine zutiefst menschenverachtende Argumentation, bei der man nur fassungslos den Kopf schütteln kann: Deuling macht eine unterstellte „Andersartigkeit“ von „Indianern“, Schwarzen und Juden dafür verantwortlich, was sie erlitten haben.

Es ist unglaublich, welche Geschichtsvergessenheit mit so einer Meinung einhergehen muss. Die Darstellung ist schlicht historisch falsch! Denn selbst dort, wo sich Menschen aus den benannten Gruppen in ihrem Verhalten und Auftreten der mehrheitsgesellschaftlichen Norm anpassten, wurden sie verfolgt, entrechtet und ermordet.

Doch Deuling scheint dies nicht zu stören. Für ihn steht fest: „Wie du in den Wald hineinrufst, so schallt es auch wieder heraus!“ Ernsthaft?

Es mag sein, dass dem Autor diese Zusammenhänge nicht bewusst waren, obwohl sie sehr deutlich auf der Hand liegen. Wie so ein Text mit diesen Aussagen aber einfach in eine Ausgabe der „Männer“ geraten konnte, ist unbegreiflich.

Deulings Artikel war kein Debattenbeitrag. Er war gedankenlos und zynisch.

Tim Schomann, Kampagnenleiter der bundesweiten Präventionskampagne ICH WEISS WAS ICH TU der Deutschen AIDS-Hilfe

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