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Nur nicht unterkriegen lassen

Wer wegen seiner HIV-Infektion von Kollegen unfreiwillig geoutet wird, muss reagieren, aber keineswegs resignieren. Was tun, wenn an meinem Arbeitsplatz über meine HIV-Infektion getratscht wird oder ich deswegen gemobbt werde? Kerstin Mörsch von der DAH-Kontaktstelle zu HIV-bedingter Diskriminierung gibt Tipps.

Ein Kollege knallt mir einen fiesen Spruch an den Kopf, mit dem er mir deutlich macht: „Ich weiß über dich und deine Infektion Bescheid!“ Wie verhält man sich in einem solchen Fall am besten: ignorieren und wegducken oder lautstark protestieren?

Eine solche verbale Attacke trifft einen ja überraschend. Nur den wenigsten gelingt es, darauf spontan zu reagieren. Wer schlagfertig ist, kann vielleicht mit einer klaren Ansage kontern. Wegducken ist eine normale erste Reaktion und menschlich verständlich, strategisch ist sie natürlich nicht so günstig.

Kerstin Mörsch
Kerstin Moersch – Ansprechpartnerin der Kontaktstelle zu HIV-bedingter Diskriminierung

Was also tun, wenn der erste Schrecken überstanden ist?

Es ist mit Sicherheit nicht sehr klug davon auszugehen, dass es sich schon nicht herumsprechen wird. Es liegt im Wesen von Klatsch und Tratsch, dass solche Nachrichten verbreitet werden. Bei dem geschilderten Fall ist recht deutlich, dass der Kollege sich keineswegs Sorgen um mich macht und deshalb das vertrauensvolle Gespräch sucht, sondern dass er mich bloßstellen möchte.

Wie man konkret reagiert, hat letztlich viel mit der individuellen Situation zu tun, zum Beispiel wie gut man die betreffende Person kennt und wie bedroht man sich fühlt. Es ist auf jeden Fall sinnvoll, sich eine eigene Strategie zu überlegen, damit ein solches Gerücht nicht unkontrolliert spazieren geht und man aus der Defensive kommt.

Wie könnte das konkret aussehen?

Damit die Situation erst gar nicht eskaliert, ist es wichtig, sich nicht zurückzuziehen, sondern Hilfe zu holen und frühzeitig in die Offensive zu gehen. Nach dem ersten Schock kann es hilfreich sein, mit Kollegen darüber zu sprechen, denen man vertraut oder die bereits von meiner HIV-Infektion wissen. Danach sollte man die Arbeitnehmervertretung einschalten, also die Betriebsräte oder auch die Schwerbehindertenvertretung. Die können mit solchen Situationen umgehen. Mit ihnen zusammen sollte man überlegen, wie man gemeinsam vorgeht und was das Ziel sein soll.

Unterstützend kann der Kontakt zu anderen HIV-Positiven sein, z.B. mit der Interessenvertretung HIV im Erwerbsleben, die sich besonders damit beschäftigen (www.positivarbeiten.de).

Das heißt dann aber in der Konsequenz, dass aus einem solchen Outing ein Coming-out wird, ich also aufrecht zu meiner HIV-Infektion stehen muss.

Natürlich habe ich auch die Möglichkeit alles abzustreiten und die Gerüchte als Lüge zu bezeichnen. Aber das ist aber nicht die beste Lösung. Wenn man unfreiwillig geoutet wurde, sollte man die Chance ergreifen und die eigene Wahrheit erzählen und Vorurteilen mit Sachwissen begegnen. Andernfalls nämlich erzählen die anderen über dich, und das sind im Zweifelsfalle Halbwahrheit oder Lügengeschichten

Gehen wir mal von der schlimmstmöglichen Situation aus: Das Gerücht hat die Runde gemacht. Kollegen schneiden mich, reißen böse Witze über mich. Ist dann nicht alles verloren und mir bleibt nur noch den Betrieb zu verlassen?

Wenn es dazu gekommen ist, muss jeder für sich entscheiden, wie groß der Vertrauensbruch zu den Kollegen ist. Vielleicht fühle ich mich selbst von engsten Vertrauten im Betrieb verraten. Da kann es möglicherweise die gesündere Entscheidung sein, zu gehen. Man sollte aber nicht zu vorschnell aufgeben, sondern überlegen, wie man sich wehren kann. Hier können Beratungsstellen wie Aidshilfen und Antidiskriminierungsstellen hilfreich sein.

Kann ich Mobbern auch mit juristischen Konsequenzen drohen?

Das ist durchaus möglich. Meine Privatsphäre ist durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung geschützt. Darunter fallen selbstverständlich auch alle Dinge, die mein Sexualleben oder meinen Gesundheitszustand angehen. Wenn nichts anderes mehr hilft, habe ich daher die Möglichkeit auf Unterlassung zu klagen. Wichtig ist, dass Menschen ihre Rechte kennen!

Hattest du aus deiner Beratungstätigkeit schon einmal einen solchen Fall?

Bisher noch nicht. Allerdings habe ich schon einige Male gehört, dass Leute dazu gedrängt wurden, sich gegenüber ihren Kollegen zu outen. Das sind HIV-Positive, die im Gesundheitsbereich arbeiten und deren Betriebsärzte entsprechenden Druck aufbauten. Als Argument wurde vorgeschoben, es diene der eignen Gesundheit und sei doch auch eine Sache der Kollegialität. Das ist natürlich völliger Quatsch. Niemand muss wissen, dass ich HIV-positiv bin und keiner kann mich dazu nötigen, es anderen zu sagen: weder den Kollegen noch dem Arbeitgeber.

Diskriminierung

Inwieweit kann ich auf die Unterstützung meines Arbeitsgebers setzen?

Arbeitgeber haben generell großes Interesse an einem guten und damit auch produktiven Betriebsklima, aber ganz sicherlich nicht an einer destruktiven Tratsch- und Klatsch-Atmosphäre, in der sich die Leute mit anderen Dingen als mit ihrer Arbeit beschäftigen.

Kann es nicht auch passieren, dass sich mein Chef auf Seiten der mobbenden Kollegen schlägt?

So etwas ist mir noch nicht zu Ohren gekommen. Man muss versuchen, den Vorgesetzten in die Verantwortung zu nehmen. Viele Unternehmen, insbesondere die größeren, haben inzwischen Betriebsvereinbarungen, in denen sich dezidiert gegen Mobbing und für Diversity, also für eine Vielfalt der Beschäftigten ausgesprochen wird. Sobald das Wort Mobbing fällt, ist ein Arbeitgeber aufgerufen einzugreifen. Ab dann steht nicht mehr der HIV-Positive unter Beobachtung, sondern derjenige, der tratscht.

Welche Folgen kann das für den Betreffenden dann haben?

In jedem Fall sind bei Mobbing auch betriebsrechtliche Folgen, wie zum Beispiel eine Abmahnung, möglich. Bisweilen sind solche deutlichen Signale vom Arbeitgeber auch wichtig, um zu zeigen: Wir meinen das ernst, was in der Betriebesvereinbarung steht. Mobbing ist kein Kavaliersdelikt, und im Zusammenhang mit HIV schon gar nicht.

Die Fragen stellte Axel Schock

Kontakt zu Kerstin Mörsch von der DAH-Kontaktstelle zu HIV-bedingter Diskriminierung:
gegendiskriminierung@dah.aidshilfe.de

Telefon: 030-69 00 87 67

Bürozeiten: Montag, Dienstag und Freitag von 10 bis 15 Uhr

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