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Langzeitfolgen von HIV-Therapien

Etwa 20 Prozent der HIV-Infizierten haben Schwierigkeiten mit ihrer HIV-Therapie. Der Berliner HIV-Schwerpunktarzt Dr. Gerd Klausen über Langzeitfolgen: Von körperlichen Beschwerden und psychischen Belastungen

Etwa 20 Prozent der HIV-Infizierten haben Schwierigkeiten mit ihrer HIV-Therapie. Über Risiken und Nebenwirkungen von HIV-Medikamenten hat der Berliner HIV-Schwerpunktarzt Gerd Klausen die Tage im vorigen Blog-Beitrag informiert. Heute berichtet Dr. Gerd Klausen über Langzeitfolgen der HIV-Therapie.

Unter welchen Folgeschäden haben Patienten heute zu leiden, die schon über viele Jahre HIV-Medikamente einnehmen?

In den letzten fünf bis zehn Jahren haben wir in Einzelfällen vor allem Schädigungen der Leber und der Niere festgestellt, darüber hinaus auch Veränderungen im Blutfett-Stoffwechsel, also eine Erhöhung des Cholesterinspiegels. Damit geht ein erhöhtes Risiko für einen Herz- oder Schlaganfall einher. Manche Medikamente stehen außerdem im Verdacht, einen vorzeitigen Knochenschwund auszulösen. Diese Dinge müssen die behandelnden Ärzte daher besonders im Blick haben. Andere Langzeitfolgen, wie Fettumverteilungsstörungen, können durch neue Medikamente heute hingegen weitgehend vermieden werden.

Was genau ist unter Lipoatrophie und Lipohypertrophie, so die medizinischen Fachtermini für diese Fettumverteilungsstörungen, genau zu verstehen?

Bei der Lipoatrophie handelt es sich um den sehr markanten Verlust von Fettgewebe im Gesicht sowie in den Armen und Beinen. Lipohypertrophie bezeichnet die Zunahme von Fettgewebe, meist im Bauch und am Nacken. Die Medikamente, die diese stark stigmatisierenden Symptome höchst wahrscheinlich verursacht haben, waren aus meiner Sicht trotz dieser Nebenwirkungen damals ein Segen, denn durch sie konnte unmittelbar Leben gerettet werden und es gab keine Alternativen. Heute sind wir auf diese Präparate glücklicherweise nicht mehr angewiesen.

Zugenommen haben bei Langzeittherapierten in den letzten Jahren auch psychische Probleme. Wie lässt sich das erklären?

Nicht nur Depressionen und Schlafstörungen sind zu einem großen Thema bei Langzeitinfizierten geworden, sondern auch hirnorganische Veränderungen. Medikamente können hier mit eine Rolle spielen. Es ist daher wichtig, solche Symptome immer näher zu untersuchen, um im Zweifelsfalle rechtzeitig reagieren zu können. Allerdings ist es manchmal gar nicht so einfach, einen Patienten davon zu überzeugen, ein Medikament auszutauschen, das er nach seiner eigenen Wahrnehmung immer gut vertragen und ihm vielleicht das Leben gerettet hat.

Das heißt, es gibt neben den Medikamenten auch andere potentielle Auslöser für die psychischen Probleme eines HIV-Infizierten?

Ja, denn auch die Langzeitwirkung der Infektion kann eine Ursache sein. Dies ist auch einer der Gründe, weshalb wir das Virus heute so früh wie möglich behandeln: Denn so erreichen wir, dass es sich nicht so lange ungehindert im Körper vermehren und dadurch Schäden anrichten kann. Auf diese Weise können beispielsweise hirnorganische Veränderungen und Erkrankungen des peripheren Nervensystem weitgehend verhindert werden.

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Langzeitfolgen, wie Fettumverteilungsstörungen, können durch neue Medikamente heute hingegen weitgehend vermieden werden. (Foto: fotolia.de)

Darüber hinaus spielen auch heute noch die psychische Verarbeitung der HIV-Infektion und die krankheitsbedingten Lebensveränderungen eine nicht zu unterschätzende Rolle, etwa was die Sexualität, das Körpergefühl und das Selbstwertgefühl angeht. Auch für Menschen, die vor 10 oder 15 Jahren aufgrund ihrer Infektion frühzeitig berentet wurden oder andere soziale Folgen erlitten, bedeutet die HIV-Erkrankung einen massiven Einschnitt in die Biografie, der verarbeitet und verkraftet werden muss.

Die medizinische Forschung und damit einhergehend die HIV-Therapie haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten immense Fortschritte gemacht. Können Neuinfizierte, die heute eine HIV-Behandlung beginnen, darauf hoffen, alt zu werden, ohne dass sie unter schweren Neben- und Langzeitwirkungen werden leiden müssen?

Das glaube ich tatsächlich! Und ich hoffe sehr, dass die Erfahrungen in den nächsten ein, zwei Jahrzehnten dies auch bestätigen wird. Erfreulicherweise hat sich die HIV-Medizin unglaublich verändert. Die Wirksamkeit der Medikamente ist so gut wie noch nie und wir heute kaum mehr Probleme mit Resistenzen. Zugleich aber bleibt das Thema Nebenwirkungen in der ärztlichen Beratung weiterhin sehr wichtig. Um eben zu verhindern, dass die hilfreiche Therapie zugleich Schäden verursacht.

Vielen Dank für das Gespräch!

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Von Axel Schock

Freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.