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Politik & Gesellschaft

Proud Lebanon: Schwules Leben im Mittleren Osten

Mr. Bear-Contests, Partyevents und Reisen – viele Jahre war Bertho Makso einer der wichtigsten Organisatoren schwulen Lebens im Libanon. Doch als sich die Situation für Homosexuelle im Mittleren und Nahen Osten dramatisch verschlechterte, wollte der 33-Jährigen nicht länger tatenlos bleiben.

Mr. Bear-Contests, Partyevents und Reisen – viele Jahre war Bertho Makso einer der wichtigsten Organisatoren schwulen Lebens im Libanon. Doch als sich die Situation für Homosexuelle im Mittleren und Nahen Osten dramatisch verschlechterte, wollte der 33-Jährigen nicht länger tatenlos bleiben.

Bombenanschläge, Krieg, Flüchtlingsströme – es sind fast immer wenig erfreuliche Themen, wenn in unseren Medien über den Libanon berichtet wird. Vielleicht war man 2010 bei „Spiegel Online“ auch deshalb so begeistert davon, eine Fotostrecke von einem Event zu veröffentlichen, das so gar nicht in unser Bild vom Libanon passt: Bilder vom Mr. Bear Arabia Contest in Beirut. Dass es im Libanon eine rege schwule Szene geben könnte, während in den Nachbarländern Homosexuellen die Todessstrafe droht und die Terrororganisation Islamischer Staat Schwule ermordet, ist für viele in der westlichen Welt kaum vorstellbar.

Aber: Es gibt sie tatsächlich. „Im Vergleich zum Rest der arabischen Raum herrscht bei uns eine Art Liberalismus, der einige Freiheiten ermöglicht“, erklärt Bertho Makso, der den Bear Contest organisiert hatte. „Beirut ist eine schizophrene Stadt. Genaugenommen sind es viele Städte in einer. Es gibt Viertel mit reichen Menschen, die ein Leben wie in Berlin oder Paris führen und andere, in denen äußerst große Armut herrscht. Wir haben eine Schwulensauna, es gibt jede Menge Bars und Clubs, zugleich aber werden Männer aufgrund ihrer Homosexualität verhaftet und länger, als es eigentlich gesetzlich erlaubt wäre, in Gewahrsam genommen – ohne dass man sie anklagt.“

Offiziell ist Homosexualität im Libanon nicht verboten. Der Paragraf 534 allerdings ahndet „unnatürliches sexuelles Verhalten“ mit Haft bis zu einem Jahr. Was darunter zu verstehen ist, erklärt der Gesetzestext nicht. Ein Gummiparagraf also und damit ein Freifahrtschein für Polizeiwillkür. „Es gibt zwar von vielen Seiten Bemühungen, das Gesetz zu reformieren, aber an der tatsächlichen Situation hat sich nichts geändert, allen falls zum Schlechten“, sagt der 33-jährige Bertho. Und dabei gab es zuletzt gleich zweimal hoffnungsvolle Zeichen von höchstrichterlicher Ebene. Gerichte hatten festgestellt, dass weder Homosexualität noch Transsexualität automatisch als unnatürlich gelten. Haben diese Urteile das Coming-out für Schwule, Lesben und Trans erleichtert? Bertho lacht. „Niemand outet sich freiwillig. Und wer’s dennoch tut, muss damit rechnen, dass er verstoßen und ausgegrenzt wird“. Bertho nennt dafür konkrete Beispiele und berichtet von Schwulen, die von ihren Eltern wegen ihrer Homosexualität aus dem Haus geworfen wurden und nun buchstäblich auf der Straßen leben, beziehungsweise ihren Job verloren.

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Bertho: „Im Lebanon herrscht eine Art Liberalismus.“

„Es gibt zwar Persönlichkeiten im Lande, von denen man weiß, dass sie schwul sind, aber die würden das nie öffentlich zugeben“, sagt Bertho. Entsprechend gibt es weder Vorbilder, noch positive Rollenmodelle für die Schwulen im Land. Ein Klaus Wowereit oder ein Thomas Hitzelsperger – im Libanon derzeit nicht vorstellbar.

Damit sich dies – zumindest auf lange Sicht – ändert, hat Bertho Proud Lebanon ins Leben gerufen. Seine Organisation kümmert sich zum einen ganz konkret um die Belange von Schwulen, Lesben und Trans und bietet unter anderem Rechts- und Gesundheitsberatung, HIV- und STI-Tests. Proud Lebanon versucht aber auch direkt in die Gesellschaft hineinzuwirken, beispielsweise mit Seminaren, bei denen Journalisten für das Thema Homosexualität sensibilisiert werden. Ein großer Coup ist dem Team um Bertho zum International Day of Homophobia (IDAHOT) gelungen. Zu einer prominent besetzen Veranstaltung und einen Videofilm hatte man nationale Persönlichkeiten gewinnen können und alle drei großen Fernsehstationen des Landes berichteten in ihren Nachrichtensendungen über das Event.

Die Message ihres Plakates wie auch des Videoclips (den es auch mit deutschen Untertiteln gibt) lautet, frei übersetzt, „Wir sind nicht krank“. In ihrer Kampagne werden Schwule und Lesben in eine Reihe mit anderen Bevölkerungsgruppen gesetzt, über die in der Öffentlichkeit abschätzig geredet wird: Übergewichtige, Kleinwüchsige und Alte, oder auch Rocker und Behinderte.

Dass diese Arbeit überhaupt geleistet werden kann, ist dem Umstand geschuldet, dass Proud Lebanon offiziell und staatlich anerkannt als Nicht-Regierungsorganisation (NGO) eingetragen ist. Also doch ein Zeichen des Fortschritts in Sachen Homosexuellenrechte? Bis dahin sei es ein langer Kampf gewesen, erklärt Bertho. Von einem Sieg aber möchte er nicht sprechen.

Zum einen hat man ein wenig getrickst bzw. geschickt formuliert. Offiziell ist Proud Lebanon eine gemeinnützige Organisation, die sich um die Wahrung der Menschenrechte gesellschaftlicher Randgruppen kümmert. Dass damit auch, bzw. vor allem LGBT gemeint sind, hat man bei der Antragsstellung nicht dezidiert erwähnt.

„Die Anerkennung ist einerseits ein wichtiger Erfolg, aber zugleich auch ein Risiko, sagt Bertho. Denn nun wissen Regierung, Justiz und Polizei, wo wir zu finden sind und was wir tun.“ Die Angst, dass sich binnen kürzester Zeit die Situation der LGBT im Libanon dramatisch verschlimmern könnte, ist berechtigt.

Der Status der NGO ermöglicht es Proud Lebanon Förderungen im Ausland zu beantragen. Mit Mitteln des Europäischen Demokratiefonds konnten Büroräume angemietet, renoviert und ausgestattet und für zwei Jahre die Gehälter der sechs festangestellten Mitarbeiter finanziert werden.

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Das Logo von „Proud Lebanon“

Anders wäre die vielfältige Arbeit von Proud Lebanon nicht zu stemmen. Um sich ganz dem Aufbau der Organisation widmen zu können, hat Bertho nicht nur die Organisation des Mr. Bear-Contest auf Eis gelegt, sondern auch sein Reiseunternehmen, das selbst dem „Wall Street Journal“ einen ausführlichen Bericht wert war. Denn der Tourismusmanager hat über viele Jahre erfolgreich Reisen im Mittleren Osten für Schwule organisiert – auch in Nachbarländer wie Syrien. Aus heutiger Sicht mag das fast unglaublich klingen. Doch auch dort gab vor gar nicht so lange Zeit noch eine sehr lebendige queere Szene, berichtet Bertho. „Es war überhaupt kein Problem dort auszugehen und jemanden kennenzulernen“. Bis der Krieg kam. Heute müssen Schwule in Syrien befürchten, vom IS verhaftet zu werden. Eine richtiggehende eigene auf dem Arabischen basierende Geheimsprache hatte es Schwulen in der Region ermöglicht, sich auch in der Öffentlichkeit zu unterhalten, ohne dass andere den Inhalt des Gesprächs verfolgen konnten. Selbst ihm, der viele enge Kontakte nach Syrien pflegte, sei das schwer gefallen, sagt Bertho. Silben wurden weggelassen, andere hinzugefügt und neue Worte in das Vokabular übernommen. Dabei ging man besonders trickreich vor. So verwenden die syrischen Schwulen in ihrer Spezialversion des Arabischen beispielsweise das  französische Wort für „Loch“ (trou) – allerdings bedeutet es bei ihnen „Schwanz“. Wer eine Unterhaltung zufällig belauschen sollten, wird den Sinn kaum verstehen können. Diese Geheimsprache war lange Zeit ein guter Schutz. Doch damit ist es nun vorbei. Die syrische Geheimpolizei in der Folterhaft diese Codes abgepresst. Zum Erschrecken von neuerdings verhafteten Schwulen wurden sie nun von Polizeikräften verhört, die die Sprache bereits perfekt beherrschten. Ein Smartphone, das bei einer Razzia oder Straßenkontrolle beschlagnahmt wird, kann bereits zum Risiko werden.

Werden dort beispielsweise Nacktfotos oder Verbindungsdaten zu Online-Datingportalen wie GrindR gefunden, kann dies das Todesurteil bedeuten. In jüngster Zeit häufen sich die Meldungen aus Syrien über Steinigungen und andere grausame Hinrichtungen. Wer kann, wer den Mut aufbringt, flieht und wagt den Weg ins Ungewisse. Viele von Berthos syrischen Freunden sind so, zum Teil durch Haft und Folter körperlich und seelisch schwer geschädigt, in Beirut gestrandet und benötigen dringend Hilfe. Die Zahl der LGBT-Flüchtlinge aus Syrien, aber auch aus anderen Nachbarstaaten, in denen Homosexuelle Repressionen bis hin zur Todesstrafe drohen, wie etwa Jordanien, Irak und Palästina, wächst stetig. Ihnen zumindest ein Stückweit organisierte Unterstützung und eine Anlaufstelle bieten zu können, war für Bertho ein wichtiger Beweggrund Proud Lebanon ins Leben zu rufen.

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Bertho hat „Proud Lebanon“ ins Leben gerufen. Seine Organisation kümmert sich um die Belange von Schwulen, Lesben und Trans und bietet unter anderem Rechts- und Gesundheitsberatung, HIV- und STI-Tests.

Der Situation der LGBT-Flüchtlingen und die prekäre Gesundheitssituation schwuler Männer im Libanon wird in wenigen Tagen ein weiterer Beitrag gewidmet sein.

Proud Lebanon kümmert sich in Beirut derzeit um mehrere Hundert queere Flüchtlinge. Die zur Verfügung stehenden finanziellen wie personellen Ressourcen reichen dazu längst nicht mehr aus. Deshalb sind dringend Spenden nötig. Dazu wurde eine Crowdfonding-Plattform eingerichet. https://life.indiegogo.com/fundraisers/1313819

Auch kleine Beträge helfen!

Von Axel Schock

Freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.