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Kultur & Szene

Grips Theater Berlin: Bejubelte Premiere von „Nasser#7Leben“

Das aufsehenerregende Schicksal Nasser hatte bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Seine libanesisch-stämmige Familie wollte den damals 16-Jährigen Berliner erst zwangsverheiraten und dann sogar töten. Das Grips Theater Berlin hat daraus nun ein Jugendtheaterstück über Homophobie, Vorurteile und den erfolgreichen Kampf für ein selbstbestimmtes schwules Leben gemacht.

Das aufsehenerregende Schicksal Nasser hatte bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Seine libanesisch-stämmige Familie wollte den damals 16-Jährigen Berliner erst zwangsverheiraten und dann sogar töten. Das Grips Theater Berlin hat daraus nun ein Jugendtheaterstück über Homophobie, Vorurteile und den erfolgreichen Kampf für ein selbstbestimmtes schwules Leben gemacht.

Drei Jahre ist es her, dass die Geschichte Nasser El-Ahmads durch die Medien ging. Vor einem Berliner Gericht musste sich damals dessen Vater und Onkel verantworten. Sie hatten den Jugendlichen betäubt und in einem Auto entführt. Im Libanon wollte man die Ehre der Familie wieder herstellen – und Nasser erhängen. An der bulgarisch-rumänischen Grenze konnte Nasser glücklicherweise einen Beamten auf sich aufmerksam machen.

In den vergangenen Tagen war Nasser erneut ein gefragter Interviewpartner. Und wieder ging es um seine abenteuerliche Geschichte, denn das Berliner Kinder- und Jugendtheater Grips hat sie nun zu einem Bühnenstück gemacht. Kurz vor Premierenbeginn am Dienstagabend wuselt Nasser nervös und ein wenig überdreht durchs Foyer. Das ist nur zu verständlich: Wenn die eigene Lebensgeschichte auf dem Theater nacherzählt wird, hat man schließlich allen Grund dazu.

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Die Geschichte von Nasser (hier der „echte“ Nasser in der Garderobe des GRIPS Theaters) durch die Medien ging.

Ein Partyfoto zu viel – und alles wurde anders
„Nasser#7Leben“ von Susanne Lipp basiert auf ausführlichen Interviews, die die Autorin mit Nasser geführt hat. Er war von Anbeginn an der Entwicklung des Projektes eingebunden. „Ich kenne das Grips Theater gut und habe ihm vertraut: Ich bin schon als Grundschulkind mit der Klasse da gewesen“, erzählt er in einem Interview. „Mir ist wichtig, dass sich andere junge Menschen das Stück anschauen und sehen: Da ist ein Junge, der sich selbst aus dieser Unterdrückung befreit und seinen eigenen Weg bestimmt.“

Die Regisseurin Maria Lilith Umach hat den Stoff mit klassischen Mitteln des Jugendtheaters umgesetzt. Es genügen wenige vielseitig verwend- und wandelbare Kulissenteile, um die jeweiligen Schauplätze anzudeuten: die Wohnung von Nassers Familie, seine erste schwule Party und später die Jugendhilfeeinrichtung, in der er Schutz findet.

Drei Darsteller teilen sich diverse Rollen. Nur Davide Brizzi verkörpert einzig Nasser und spricht aus ganz subjektiver Sicht das Publikum direkt an, erzählt von der beklemmenden Atmosphäre im Elternhaus, von seinem streng muslimischen Vater und dessen gewalttätigen Übergriffen. Und dann auch von der Euphorie, die Nasser überkommt, als er im Internet entdeckt, dass er mit seinen schwulen Gefühlen nicht allein auf der Welt ist. Nassers Coming-out via Facebook war nicht gewollt. Ein Partyfoto zu viel gepostet, und die Nachricht macht in der Schule die Runde – und dringt auch bis zu Nassers Familie.

Nassers Geschichte nicht als Rechtfertigung für Islamfeindlichkeit 
„Nasser#7Leben“ richtet sich an Menschen ab 13 Jahre. Die müssen behutsam an die komplexen Themen des Stücks herangeführt und bei Laune gehalten werden. Maria Lilith Umach hat deshalb kalauerartige, für den erwachsenen Besucher allerdings wenig schlüssige Szenen eingebaut. Überzeugender hingegen sind da die Wege, mit denen Regie und Text vorzubeugen versuchen, dass Nassers Geschichte nicht als Rechtfertigung für Islamfeindlichkeit missbraucht wird.

Reale Social-Media-Kommentare, die in der Grips-Inszenierung in Videoform auf die Kulissen gebeamt werden, spiegeln den vielstimmigen Chor an Haltungen und Vorurteilen zu Homosexualität und zum Islam wieder – und auch die Debatte darüber, wie beide zusammengehen kann (oder auch nicht).

Sicherheitshalber werden in „Nasser#7Leben“ die zentralen Botschaften noch einmal deutlich ausgesprochen: Dass es auch viele Fälle von muslimischen Eltern gibt, die ihr schwules oder lesbisches Kind so lieben und akzeptieren, wie es ist. Und man sich auch in andere Religionen uneins darüber ist, ob Homosexualität eine Sünde darstellt.

Ich musste kämpfen für mein Recht, so zu sein, wie ich eigentlich bin…. Aber: es lohnt sich.“
Das letzte Wort hat schließlich Nasser und gilt der zentrale Message dieses kurzen, aber intensiven Stücks: Man kann es sogar schaffen, wenn fast alle gegen einen sind. „All diese Kommentare, die Drohungen … letztendlich haben die mich noch darin bestärkt, weiterzumachen und mich nicht zu verstecken“, sagt die Figur Nasser und betont schließlich: „Jeder Mensch verdient Respekt. Ich musste kämpfen für mein Recht, so zu sein, wie ich eigentlich bin…. Aber: es lohnt sich.“

Ohne das Jugendamt, Freunde und die LGBT-Community, die ihm den Rücken gestärkt haben, hätte er das freilich nicht geschafft, sagte Nasser El-Ahmad kürzlich in einem Interview. Zugleich hat er vielen anderen, gerade auch muslimischen Schwulen und Lesben Mut gemacht. Als er am Dienstag zum Schlussapplaus auf die Bühne holt wurde, beklatschte das jubelnde Publikums gleichermaßen seine Courage und Entschlossenheit wie sein Engagement für die LGBT-Community. Das „Bündnis gegen Homophobie“ hatte ihn dafür bereits 2015 mit dem Respektpreis ausgezeichnet.

GRIPS Theater im Klosterstr. 68, Berlin-Mitte. Regie: Maria Lilith Umbach; mit Davide Brizzi, Katja Hiller, Jens Mondalski, Musik: Öz Kaveller. Eintritt 13, ermäßigt 9 €. Kartentelefon: 030- 39 74 74 77

Nächste Vorstellungen: 15.3., 19.30 Uhr, 5./6.4., 11 Uhr. Weitere Termine hier.

Urauffuehrung von
„Nasser#7Leben“ richtet sich an Menschen ab 13 Jahre. Die müssen behutsam an die komplexen Themen des Stücks herangeführt und bei Laune gehalten werden.

Von Axel Schock

Freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.