Sei ein richtiger Mann …
Ja, früher hatte ich auch gesagt, dass ich bisexuell bin, du wirst dich schon noch als schwul outen …
Ist okay, dass du bi bist, aber für mich ist das nichts …
Entscheid dich doch mal – schwul oder hetero …
Musst du immer mit diesem Thema kommen …
ICH bin aber nicht bisexuell …Man weiß ja gar nicht, mit wem du jetzt zusammen bist!!!
Vorurteile und dumme Sprüche gibt es genügend, wenn man sich als bisexueller oder pansexueller Mann outet. Nur wenige kennen sich mit dem Thema wirklich aus, doch alle meinen, einen Kommentar abgeben zu müssen und einen abwerten zu dürfen.
Der März ist Bisexual Health Month, und auch die Bi+Pride, die seit 2021 für bi+sexuelle Sichtbarkeit kämpft, zeigt nicht nur im September mit Demo, Workshops und Bi-Flaggen-Hissungen Einsatz. In Hamburg und Schleswig-Holstein machen zudem mehrere Großflächenplakate deutlich: „Diskriminierung macht krank.“[1]
Aber haben es bi+ Männer nicht viel einfacher? Sie können sich doch in einer „Hetero-Beziehung“ verstecken und heimlich ihre „homosexuelle Lust“ ausleben?
Zunächst einmal ist bi+ nicht gleich bi+. Da gibt es zum Beispiel monogame pansexuelle Männer, die vielleicht in einer festen Beziehung mit einem Mann sind, sich aber auch in eine Frau oder nicht-binäre Person verlieben können. Dann sind da aber auch noch bisexuelle Männer, die in einer offenen Beziehung mit einer Frau leben und nebenbei Männer daten. Oder Männer, die sich queer nennen oder gar keine Bezeichnung nutzen und die sowohl in der Swinger-Szene als auch in der Männer-Cruising-Szene unterwegs sind. Manche sind geoutet, andere sehen keinen Grund, es jeder Person auf die Nase zu binden, und wiederum andere outen sich auf gar keinen Fall, denn dann würde die Ehefrau einen ja sofort verlassen.
Fakt ist, dass bi+ Personen gleich von mehreren Seiten diskriminiert werden:
Die heteronormative Gesellschaft lehnt bi+ Männer ab, weil sie angeblich verkappte Schwule seien und irgendwie ja noch schwerer zu durchschauen sind: Auf welches Geschlecht stehen die denn nun? Können die sich nicht entscheiden?
Und in der queeren Community wird man als bi+ Mann teilweise auch belächelt und nicht ernstgenommen. Ein schwuler Mann sagte mir mal, er würde auf mich stehen, aber könnte sich ja nie sicher sein, wenn da eine attraktive Frau auftauchen würde.
Die Unsichtbarkeit von bi+ Menschen
In der Studie „Bi+(Un)Sichtbarkeit in Deutschland“ (2023)[2] kam heraus, dass ein Drittel der Befragten sich mehr bi+ Sichtbarkeit in der queeren Community wünscht. Generell fühlen sich fast alle (94%) nie bis [nur] manchmal generell sichtbar.
Egal welche Studie man sich zum Thema anguckt, immer wieder taucht das Stichwort „Sichtbarkeit“ auf. Die eigene Identität wird von anderen in Frage gestellt.
Medien reden von der „Homo-Ehe“, obwohl es genauso bi+ Menschen betreffen kann. Freddy Mercury wird als schwule Ikone gefeiert, in „Bohemian Rhapsody“ wird seine sexuelle Orientierung zwar klar aufgezeigt, aber dennoch aberkannt. Und „Brokeback Mountain“ handle angeblich von schwulen Cowboys, dabei sind es bisexuelle Schäfer. Und selbst wenn mal kein aktives „bisexual erasure“ betrieben wird, also Bisexualität unsichtbar gemacht wird, bleibt die Frage, ob man gesehen wird. Denn bei zwei knutschenden Männern auf der Straße denken doch die allermeisten nur daran, dass die wohl schwul sind. Und bei Mann und Frau denkt niemand über die sexuelle Orientierung nach, aber auf Nachfrage „natürlich normal … äh … hetero“. Man müsste schon zu dritt Händchen haltend rumlaufen, und dann wird ebenso das Wort bisexuell vermieden. Man sei dann Swinger, polyamor oder einfach schrill.
Diese Unsichtbarkeit macht aber etwas mit den Menschen: Laut Human Rights Campaign Foundation (HRC)[3] haben Bisexuelle auf Grund von Vorurteilen und „Minderheitenstress“ ein erhöhtes Risiko für mentale Gesundheitsprobleme. Hier werden Stereotype genannt wie „Bisexualität existiere gar nicht“, „Bisexuelle seien promiskuitiv“, „Bisexuelle seien verwirrt“. Auch hier wird von doppelter Diskriminierung geredet – von heterosexueller und queerer Seite.
Dabei schreibt Julia Shaw in ihrem vielbeachteten Buch „Bi: Vielfältige Liebe entdecken“ 2022, dass die meisten Menschen bisexuell seien, es aber nicht lebten.[4]
Ich bin als bi+ Aktivist mittlerweile sicher nicht mehr leise und ängstlich, aber früher hatte ich schon damit zu kämpfen, keine anderen Bisexuellen zu kennen, von Frauen nicht als potenzieller Partner anerkannt und in der Community nicht ernst genommen zu werden. Vor meinem Coming-out wurde hinter meinem Rücken getuschelt, ob ich schwul sei, jemand hatte sogar versucht, mich zu erpressen. Und nach meinem Coming-out meinte eine Person im Arbeitsumfeld das Recht zu haben, wissen zu dürfen, mit wem ich gerade eine Beziehung habe und mit wem ich Sex hätte.
Auch ich habe mich selbst immer wieder hinterfragt: Bist du wirklich bisexuell? Möchtest du mit einer Frau oder einem Mann zusammenleben? Haben die anderen vielleicht Recht, wenn sie sagen, ich müsste mich entscheiden? Zum Glück fand ich zur Erkenntnis, dass ich zu 100% bisexuell bin und dass das auch gut so ist.
Einen bisexuellen Mitstreiter für bisexuelle Sichtbarkeit plagen z. B. auch nach langem Aktivismus noch Ängste und Unsicherheit. Er ist sehr deutlich geoutet und postet jeden Tag etwas zum Thema Bisexualität. Und doch hat er manchmal Bedenken, ob er wirklich angenommen wird, traut sich nicht und zweifelt.
Ein anderer Bi-Mann würde seiner Frau gerne erzählen, dass er auch auf Männer steht, dann würde sie ihn (seiner Meinung nach) aber sofort verlassen. Er kämpft zwischen Unterdrückung seiner sexuellen Bedürfnisse und heimlichem Betrug.
Ein dritter Mann lebt in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung und verheimlicht seine sexuelle Identität, weil er dann so viel erklären muss, nennt sich dann der Einfachheit halber doch schwul, ist damit aber nicht recht zufrieden.
Ein bisexueller Schüler berichtet von Mobbing und dass er immer das Gefühl hat, nicht dazuzugehören. Generell zeigt sich die Erfahrung, dass sich immer mehr bisexuelle und lesbische Mädchen, trans* und nicht-binäre Jugendliche in der Schule outen und in Queer-AGs aktiv sind. Schwule und bisexuelle Jungs sind aber deutlich seltener sichtbar, vermutlich wegen Ängsten, dann diskriminiert zu werden. Unbedingt notwendig ist, dass die weitere Finanzierung von guten Aufklärungsprojekten gesichert ist. Rosa Linde Leipzig e. V. berichtet Anfang 2024 z. B., dass die queere Bildungsarbeit nicht mehr gefördert werden soll.[5] Und wie es mit dem Bundes-Aktionsplan „Queer leben“ weitergeht, bleibt unklar – der LSVD kritisiert in einem Offenen Brief, dass bisher bei zentralen Punkten nicht geliefert wird.[6] Eine Finanzierung von „Schule der Vielfalt“ wäre auch für bi+ Schüler absolut notwendig. Die bereits erwähnte HRC veröffentlichte 2019 eine Studie zu bisexuellen Jugendlichen[7]: 96% hätten Schwierigkeiten, nachts einzuschlafen, 83% der bi+ Jugendlichen of Color haben Rassismus-Erfahrungen, mehr als 75% fühlten sich hoffnungslos und wertlos, nur 19% sind bei ihren Eltern geoutet (bei homosexuellen Gleichaltrigen sind es immerhin 29%), nur 13% bekämen für ihre sexuelle Orientierung wichtige Informationen wie z. B. zu Safer Sex (inkl. PrEP), viele bedauern, dass Erwachsene denken, es wäre nur eine Phase. In anderen Studien wurden auch höhere Raten von Selbstmordgedanken und Drogenmissbrauch aufgezeigt.
Eine Studie von 2020 in der EU erkennt nur einen leicht schlechteren Gesundheitszustand bei bisexuellen Männern im Vergleich zu schwulen Männern, grundsätzlich ist er aber deutlich schlechter als bei heterosexuellen Männern.[8]
Dass es in der schwulen Community auch noch etwas zu tun gibt, konnte ich an den Kommentaren unter Philip Eickners Interview mit mir von 2021[9] sehen: Hier tauchten viele bifeindliche Reaktionen auf. Aber natürlich gibt es auch positive Beispiele – schwule Männer, die bisexuelle Kampagnen unterstützen und richtige Allies (Verbündete) sind – ich denke da z. B. an schöne Kooperationen mit IWWIT und dem LSVD (regional wie auf Bundesebene). Es ist so wichtig und wertvoll, dass wir in der queeren Community zusammen kämpfen und nicht gegeneinander.
Ich würde mir wünschen,
- dass Bisexualität mehr als legitime Option anerkannt wird,
- dass bi+ Menschen positiv aufgenommen werden,
- Medien mehr und besser über Bisexualität berichten (ja, mit positiven Beispielen wie die Serien „Sex Education“ oder „Crazy Ex-Girlfriend“ hat sich echt schon etwas getan),
- queere Organisationen das B wirklich mitdenken,
- man als bi+ Mann nicht pauschal als Partner ausgeschlossen wird,
- es auch im Gesundheitssektor mehr Aufklärung und wissenschaftliche Studien zum Thema gibt.
Schließlich ist es langsam mal Zeit, dass im Deutschen Bundestag ein bisexueller Mann ein Coming-out hat. Geoutete bisexuelle Frauen gibt es mittlerweile tatsächlich bereits drei (alle von den Grünen), trans* Frauen auch zwei (auch von den Grünen), ein trans* Mann war früher mal im Bundestag, und schwule und lesbische Abgeordnete gibt es viele. Aber bisexuelle Männer null.[10]
Was können Männer, die nicht nur auf Männer oder Frauen stehen, für ihre Gesundheit tun?
Natürlich muss jede Person selbst wissen, ob sie sich outet. Ich kann es nur empfehlen, weil es wichtig und gesund ist, zu sich zu stehen und die eigene Identität nicht zu verleugnen. Wenn man echte Freund*innen hat, Rückendeckung und sich halbwegs sicher fühlt – go ahead. Such dir Unterstützung und trau dich!
Wenn es aber dennoch Probleme gibt – Hilfe, Beratung und Therapie findet man z. B. über den VLSP, dem Verband für lesbische, schwule, bisexuelle, trans*, inter* und queere Menschen in der Psychologie[11] oder über Queermed Deutschland[12] (die Person dahinter hat schon mehrere Preise für ihre wertvolle Arbeit erhalten).
Vernetze dich gerne auch mit anderen bisexuellen Männern, gehe zu Treffen von BiNe – Bisexuelles Netzwerk e. V.[13] oder zu regionalen Stammtischen[14]. Und komm natürlich zur nächsten Bi+Pride[15] nach Hamburg.
Und lass dir von niemandem erzählen, dass etwas an dir nicht in Ordnung sei oder du dich entscheiden musst – du hast dich entschieden: Du bist bisexuell, pansexuell, bi+, offen für mehrere Geschlechter, polysexuell, omnisexuell, biromantisch, queer oder was auch immer. Und das ist gut so. Das kann sich auch mal ändern – manche Bi+ werden irgendwann doch schwul oder hetero, und manche Schwule oder Heterosexuelle werden auch im hohen Alter noch bisexuell oder waren es eigentlich schon immer. Aber das entscheidet man immer noch selbst und keine Konversionstherapie und kein gutgemeinter Ratschlag eines Freundes oder einer Freundin, der oder die dich angeblich besser kennt.
Sei selbstbewusst, erkenne die tollen Seiten der Bisexualität, kläre dich bei wechselnden Partner*innen über die verschiedenen Möglichkeiten von Safer Sex auf und zeig Flagge für diejenigen, die sich noch nicht trauen.
Auf meiner To-Do-List steht auch auf jeden Fall, das Buch „Bisexual Men Exist“ von Vaneet Mehta[16] zu lesen – sicherlich ein empowerndes Werk für alle, die sich so identifizieren.
[1] https://bipride.de/bisexual-health-month/
[2] https://www.instagram.com/bivisible_germany/
[3] https://assets2.hrc.org/files/assets/resources/HRC-BiHealthBrief.pdf
[4] https://sz-magazin.sueddeutsche.de/leben-und-gesellschaft/sexualitaet-bi-julia-shaw-interview-queer-homosexualitaet-91518
[5] https://www.rosalinde-leipzig.de/wp-content/uploads/2024/02/PM_SdV_24_FINAL.pdf
[6] https://www.lsvd.de/media/doc/10570/2023_11_offener_brief_lsvd.pdf
[7] https://hrc-prod-requests.s3-us-west-2.amazonaws.com/files/images/resources/HRC-2019-Bi-Youth-_Report.pdf
[8] https://www.lsvd.de/de/ct/2615-Gesundheit-von-LSBTIQ*
[9] https://www.iwwit.de/blog/2021/08/bisexuelle-stellen-schubladen-in-frage/
[10] https://www.queer.de/detail.php?article_id=38244
[11] https://www.vlsp.de/beratung-therapie/beratungs-und-therapieangebote-von-vlsp-mitgliedern
[12] https://queermed-deutschland.de/nach-empfehlungen-suchen/
[13] https://www.bine.net/content/bi-treffen