Heute ist ein guter Tag, um gemeinsam gegen jede Unterdrückung einzustehen
Die neue Regierungskoalition steht – und eines ist deutlich: Es wird Stimmung gemacht gegen jene, die ohnehin schon am Rand der Gesellschaft stehen. Es wird gestrichen bei denen, die keine Lobby haben. Und es wird versprochen, dass es allen besser gehen werde – wenn nicht mehr alle dieselben Rechte haben. Dahinter steckt ein altbekanntes Prinzip: „Teile und herrsche“. Spalte Nachbarschaften, entfremde Familien, erschwere solidarische Freund*innenschaften. Denn wenn alle nur noch für sich kämpfen, lassen sich nach und nach die Rechte einzelner Gruppen abbauen – fast unbemerkt, Stück für Stück.
Als queere Community ist es deshalb enorm wichtig, dass wir spätestens jetzt verstehen: Erst wenn niemand mehr unterdrückt wird, kann es echte Selbstbestimmung für alle geben. Der 1. Mai ist genauso unsere Demonstration wie explizit queere Prides. Denn alles hängt mit allem zusammen.
Arbeitsstreik gegen das System
Wir kennen uns aus mit Streiks – schließlich stellen wir uns täglich den gesellschaftlichen Erwartungen an unsere Sexualitäten und Geschlechter entgegen. Queer-Sein muss als Streik gegen das Patriarchat verstanden werden, wenn es politisch sein soll. Wir verweigern die Arbeit an einem System, das in zwei Geschlechter einteilt, nur Kernfamilien kennt und Frauen unterdrückt. Doch das Patriarchat ist nicht der einzige Feind queerer Freiheit. Echte Selbstbestimmung für alle – und damit auch für Queers – gibt es nur jenseits dessen, was bell hooks als „imperialist white supremacist capitalist patriarchy“ beschreibt: ein System miteinander verwobener Macht- und Unterdrückungsmechanismen. Dass Kolonialismus und Queerfeindlichkeit zusammenhängen, ist kein Zufall. Völkern, die kolonial ausgebeutet wurden, sollte das Queer-Sein systematisch ausgetrieben werden.
Gerade am Tag der Arbeiter*innen lohnt sich ein genauer Blick auf die Verbindung von Klassismus mit sexueller und geschlechtlicher Freiheit. Unsere Selbstbestimmung wird durch soziale Ungleichheit eingeschränkt – durch ungleiche Sorgen und ungleiche Lasten: zwischen denen, die arbeiten, und denen, die nur arbeiten lassen; denen, die mieten, und denen, die vermieten; denen, die Schulden haben, und denen, die besitzen. Zwischen denen, die ausgebeutet werden, und denen, die ausbeuten. Zwischen denen, über die gesprochen wird, und denen, die sprechen dürfen. Zwischen denen, die nur zuhören sollen, und denen, die unterrichten. Zwischen denen, die erforscht werden, und denen, die forschen. Zwischen denen, deren Name ein Nachteil ist, und denen, die mit Titeln angesprochen werden.
Nur die wenigsten lassen sich eindeutig einer Seite zuordnen – vieles verläuft fließend und gleichzeitig. Doch umso wichtiger ist es, diese Pole sichtbar zu machen und zu fragen, wie sie unser Miteinander prägen.
Geld für alle statt Karriere für manche
Queere Repräsentation hilft uns dort, wo ausgebeutet wird, nicht weiter. Die Kürzung vieler Diversity-Programme großer Unternehmen zeigt: Oberflächliche Lippenbekenntnisse verändern keine Machtverhältnisse. Es ging nie darum, Macht zu teilen – sondern darum, einen schwulen besten Freund in die Nebenrolle zu setzen, der sich für die Reichen und Mächtigen aufopfert. Gleichzeitig fehlt angeblich das Geld für Beratungsstellen, Kulturarbeit und soziale Einrichtungen. Vor allem queere Jugendliche, die Orientierung suchen, und prekär beschäftigte Queers bleiben dabei auf der Strecke.
Einzelnen unter uns haben sich in den vergangenen Jahrzehnten tolle Karrieremöglichkeiten aufgetan, während der Rest dabei zusehen musste, wie sich die eigenen Probleme verschärfen. In Bars, Clubs und Cafés sind die Preise gestiegen, kostenlose oder zumindest nicht profitorientierte Begegnungsräume wurden weggekürzt. Die „Community“ hat keine Durchsetzungskraft, wenn sie nur ein loser Verbund von unterschiedlichen Einzelinteressen ist, wenn es nur um persönliche Lust oder gar Gewinnmaximierung geht. Sie kann dort stark für ihre Interessen einstehen, wo sie sich gemeinsam gegen ihre Unterdrücker verbündet.
Neu ist das nicht – die Diskussionen um Anpassung oder Widerstand gehören seit jeher zu den Auseinandersetzungen innerhalb von LSBTI*-Bewegungen. Auch die Frage nach dem Verhältnis der Bewegung zu Regierung und System wird unterschiedlich bewertet: Immer wieder ging es einerseits um den Kampf gegen den Staat und seine Gewalt (Stonewall als Aufstand gegen polizeiliche Maßnahmen, Abschaffung §175 StGB und TSG) und andererseits um die Anerkennung des Staates und seiner Institutionen (Ehe für alle, Strafverschärfungen bei Hasskriminalität, LSBTI* in Militär und Polizei).
Armutsrisiken und Ablenkungsmanöver
Wer online der einen oder anderen trans Person folgt, wird häufiger mitbekommen, dass immer wieder für dringend notwendige Operationen Geld gesammelt wird. Wenn Einzelfälle häufig vorkommen, steckt dahinter ein System. Unterschiedliche finanzielle Ressourcen sorgen dafür, dass nicht jede Person für ihre OP-Kosten selbst aufkommen kann. Transition kann zur Armutsfalle werden – auch das Ausstellen neuer Dokumente kostet, ebenso wie Medikamentenzuzahlungen, oder ein Arbeitsplatzverlust aufgrund von Diskriminierung. Was bedeutet es für trans Personen, so viele Behörden- und Arztgänge, so viel Bürokratie überwinden zu müssen, dass dadurch kaum Zeit bleibt, berufliche Ziele zu verfolgen oder sich um Bildung zu kümmern?
Wenn die einzige politische Forderung dann nur die Akzeptanz bleibt – die Bitte, doch genauso auf der Gewinner*innenseite stehen zu dürfen –, wird die Chance auf eine gerechtere Welt verpasst, in der es allen besser gehen kann. Deshalb: Verbündet euch, helft einander, baut Chancenungerechtigkeit ab, schafft Zugänge, hinterfragt Machtverhältnisse und die Bedeutung von Reichtum und sozialer Herkunft.
Unterdessen darf niemand auf Ablenkungsmanöver hereinfallen: Rassistische Politik gegen Geflüchtete und migrantisierte Personen schürt Gewalt. Sicherheit kann es nur in einer Welt geben, in der die Schere zwischen Arm und Reich klein ist. Eine Welt, die in Bildung und das gute Leben für alle investiert, die Vertrauensvorschüsse leistet statt Misstrauen zu säen. Autoritäre Staaten geben vor, mit harten Strafen, Sanktionen und Abschiebungen sei die Geduld mit denen, die unserer Gesellschaft schaden, am Ende. Nur: Wer schadet dieser Gesellschaft denn wirklich? Wer kann sich zurücklehnen, während wir uns gegenseitig an die Gurgel gehen? Für wen gelten Sonderregeln? Ein weiblicher Geschlechtseintrag im Reisepass soll angeblich dafür sorgen, dass Gesetze, die Belästigung oder sexualisierte Gewalt bestrafen, nicht mehr gelten. Diese transfeindliche Behauptung lenkt davon ab, dass es in der Tat eine Gruppe von Menschen gibt, die so gut wie nie zur Rechenschaft für ihre Verbrechen und ihre Übergriffigkeit gezogen wird: Milliardär*innen.
Sexuelle Gesundheit ist Teil von Selbstbestimmung – doch wer sich täglich gegen Diskriminierung stemmen muss, hat oft keinen sicheren Zugang zu Prävention. Ob Safer-Sex-Tools oder regelmäßige Check-ups: Was für manche selbstverständlich scheint, ist für andere schwer erreichbar – aus Angst, aus fehlendem Zugang zum Gesundheitssystem oder weil Praxen nicht diskriminierungssensibel arbeiten. Prävention braucht Vertrauen, Aufklärung und Strukturen, die niemanden ausschließen. Sie ist nicht nur ein gesundheitliches, sondern ein soziales Thema. Denn wer sich sicher fühlt, kann auch sicher(er) leben, lieben und Lust empfinden.