Kategorien
Politik & Gesellschaft

„Voll schwuler Unterricht“

Lehrer Alexander Lotz über sein Outing an seiner Schule und die Reaktionen im Kollegium und bei den Schülerinnen und Schülern

Bis zum „Tag gegen Homophobie“ am 17. Mai stellen wir euch hier im Blog Menschen, Projekte und Aktionen vor, die sich gegen Homophobie engagieren. Wir sprechen mit ihnen und lassen uns ihre Geschichten erzählen. Die sind unterschiedlich, bunt und spannend und zeigen, was für vielfältige Gesichter dieses Engagement haben kann.  

 

Teil 5: „Voll schwuler Unterricht“

Lehrer Alexander Lotz über sein Outing an seiner Schule und die Reaktionen im Kollegium und bei den Schülerinnen und Schülern

 

Lehrer Alexander Lotz (Quelle: privat)

„Schwule Sau“ ist das beliebteste Schimpfwort an deutschen Schulen, behauptet die Bildungsgewerkschaft GEW. iwwit.de hat nachgefragt bei Alexander Lotz. Der 29-Jährige unterrichtet Biologie und Chemie an einem Gymnasium in Frankfurt am Main und engagiert sich in einem Netzwerk homosexueller Lehrkräfte in der GEW. Schon als Student hat sich Alexander gegen Homophobie an Schulen stark gemacht. Er war unter anderem Vorstand bei dem Berliner Verein Abqueer, der mit jungen Menschen Bildungsarbeit zu schwulen, lesbischen und transidenten Lebensweisen macht.

Alexander, ist „schwule Sau“ wirklich das beliebteste Schimpfwort an deutschen Schulen?

Ja, ich denke schon. „Spast“ und „Opfer“ holen auf, aber „schwule Sau“ wirkt als Schimpfwort immer noch am besten.

Wann fällt das Wort?

Vor allem Schüler benutzen das Wort, Schülerinnen sehr viel seltener. Jungen ist es offensichtlich sehr wichtig, sich als männlich zu präsentierten. Deshalb wird alles, was als unmännlich gilt, abgewertet. Die Schüler machen das häufig gar nicht bewusst, sondern haben die in der Gesellschaft vorhandene Homophobie internalisiert. Schwul wird gleichbedeutend mit „schlecht“ oder „doof“ verwendet. Es werden auch Dinge als schwul bezeichnet, die gar nicht schwul sein können: Hausaufgaben, Taschen, Handys. Aber auch Personen werden so gezielt abgewertet – entweder, weil sie irgendetwas an sich haben, was den Beschimpfern nicht gefällt, oder weil man ihnen unterstellt, schwul zu sein.

Wann hast du das zuletzt erlebt?

Gerade letzte Woche im Biologieunterricht in einer 8. Klasse. Das Thema waren eigentlich Moose im Wald. In einer Gruppenarbeitsphase redeten ein paar Schüler über Tokio Hotel und stellten unüberhörbar fest, dass Bill Kaulitz „eine Schwuchtel“ sei.

Hast du eingegriffen?

Ich habe erst mal nur ernst in die Richtung der Gruppe geguckt um zu verdeutlichen, dass ich es gehört habe. Später hab ich dann den Schüler, der das geäußert hat, zur Seite genommen und mit ihm darüber geredet. Seine Reaktion war typisch: Es war ihm unheimlich peinlich, darüber zu reden. Die Jugendlichen gebrauchen zwar andauernd „schwul“ als Schimpfwort, aber wenn man sie dann anspricht und ernsthaft darüber reden will, ist ihnen das sehr unangenehm. Mir geht es ja nicht ums Bestrafen, sondern um Einsicht mit dem Ziel, eine Verhaltensänderung zu bewirken. Allerdings ist häufig schon die Vorstellung von gleichgeschlechtlicher Liebe derart mit Peinlichkeit besetzt, dass Sprachlosigkeit herrscht.

Bist du selbst schon einmal homophob angegriffen worden?

Ja. Es hat in letzter Zeit etwas nachgelassen und passiert vielleicht alle zwei Monate. Die Schülerinnen und Schüler wissen, dass ich mit einem Mann verheiratet bin und rufen mir im Vorbeigehen Bemerkungen hinterher. Oder sie machen eindeutige Gesten. Vor allem solche Schüler, die ich nicht unterrichte. Ich habe auch schon eine anonyme E-Mail bekommen, in der ich als „schwule Sau“ beschimpft wurde.

Die E-Mail könnte natürlich von überall her kommen.

Im Prinzip schon. Aber diese ging an meine Schul-E-Mail-Adresse, die nur Schülern, Eltern und Lehrern bekannt ist. Der Absender hatte sogar einen E-Mail-Account im Namen meines Schulleiters angelegt und die Mail in dessen Namen verschickt. Die Polizei konnte das leider nicht zurückverfolgen.

Wie hast du dich denn geoutet an deiner Schule?

Als ich 2010 nach Frankfurt kam, wollte ich erst austesten, wie die Atmosphäre an der Schule ist. Ich wollte mich auf jeden Fall outen, hatte aber noch überlegt, welcher Weg sinnvoll ist. Aber dann hat gleich in einer meiner ersten Stunden ein Schüler gesagt, dass der Unterricht „voll schwul“ sei. Dann habe ich klargestellt, dass ich solche Ausdrücke in meiner Klasse nicht möchte, unter anderem weil ich selbst schwul und sicherlich nicht der einzige an dieser Schule bin. Das hat dann schnell die Runde unter den Schülerinnen und Schülern gemacht. Nach dieser Erfahrung habe ich es in allen anderen Klassen jeweils in der ersten Stunde gesagt.

Bist du auch im Kollegium offiziell geoutet?

Ja. Von meinen Kolleginnen und Kollegen habe ich nie etwas Negatives gehört. Wir haben zu meiner Hochzeit auch ganz normal mit Sekt angestoßen, und meine Fachkolleginnen und -kollegen haben mir ein Geschenk gemacht. Allerdings höre ich schon auch Unverständnis oder Vorbehalte, was meinen offenen Umgang angeht.

Was wissen denn deine Schülerinnen und Schüler über Schwule und Lesben?

Mir scheint, eher wenig. Die meisten kennen überraschenderweise nicht einmal Lesben und Schwule aus dem öffentlichen Leben. Häufig wissen sie auch nicht, dass Homo- und Bisexualität genau wie die unhinterfragte Heterosexualität natürliche und mögliche Formen sexueller Orientierung sind. Sie haben auch ein verzerrtes Bild von Homosexuellen, vor allem von schwulen Männern. Es ist geprägt von vermeintlicher Weiblichkeit und zugeschriebener Sexualisierung. Damit reproduzieren sie das, was ihnen Erwachsene vorleben. Mir zum Beispiel wird auch vorgeworfen, dass ich meine Sexualität vor mir hertragen und die Schülerinnen und Schüler ständig mit meiner Homosexualität konfrontieren würde. Dieses Vorurteil reproduzieren die Schüler.

Hast du vorher geahnt, wie stark die Homophobie an einer Schule sein kann?

Ich dachte schon, dass es eine entsprechende Reaktion auf mein Outing geben würde. Aber ich habe nicht damit gerechnet, dass es immer wieder zu abfälligen Kommentaren führt. Das Schlimme ist: Wenn ich Kolleginnen und Kollegen sage, dass ich diese Reaktionen nicht gut finde, bekomme ich von einigen Unterstützung, aber dann heißt es leider auch: „Du musst das ja auch nicht vor dir hertragen.“ Ich habe auch schon gehört: „Du hast eben diesen Weg gewählt.“ Nur wenige sagen von sich aus: „Wir müssen hier ein anderes Klima schaffen!“

Zweifelst du manchmal an deiner Berufswahl?

Nein, nie. Lehrer zu sein, ist mein Traumberuf. Das Tolle ist, dass ich – gerade in den Naturwissenschaften – bei den Schülerinnen und Schülern sehr leicht Interesse wecken kann. Zu sehen, wie Kinder und Jugendliche lernen und kompetenter werden, ist sehr beeindruckend!

Interview: Philip Eicker

Weitere Informationen:

  1. Die GEW hat untersucht, ob und wie Schwule und Lesben in deutschen Schulbüchern vorkommen. Die Studie gibt es zum Download unter:
    http://www.gew.de/Binaries/Binary88533/120423_Schulbuchanalyse_web.pdf
  2. Außerdem gibt es einen Ratgeber der GEW für schwule, lesbische und transidente Lehrkräfte: http://www.gew.de/Binaries/Binary88635/Ratgeber_web.pdf