Kategorien
Kultur & Szene Politik & Gesellschaft

„EM Fans sollten mehr provozieren“

Dieses Foto ging um die Welt. Der ukrainische Gay-Aktivist Svyatoslav Sheremet über den Überfall, Homophobie in der Ukraine und was er von den EM-Fans erwartet.

Rechtsradikale Ultras überfallen am Rand des abgesagten Pride den ukrainischen Gay-Aktivisten Svyatoslav Sheremet (Foto: REUTERS/Anatolii Stepanov)

Dieses Bild ging um die Welt und schockierte: Svyatoslav Sheremet, Leiter des „Gay-Forum“, wird am Rande der abgesagten Gay-Pride von rechtsradikalen Ultras brutal attackiert. Wurde vor der EM gerade in Deutschland noch kritisch über die Menschenrechtslage des Gastgeberlandes Ukraine debattiert, war davon während des Turniers nicht mehr viel zu sehen und zu hören. ICH WEISS WAS ICH TU sprach mit  Svyatoslav Sheremet über den Angriff, die Stimmung während der EM und die absurden Anti-Homosexuellen-Gesetze.

 

Du liegst zusammengekauert auf dem Boden. Drei Jugendliche greifen dich an, treten auf dich ein. Dieses Foto ging um die Welt und hat viele schockiert. Wie geht es Dir heute, wenn Du daran zurück denkst?

Die ersten zwei Wochen nach dem Angriff ging es mir sehr schlecht. Gleich nach dem Angriff war ich in verschiedenen Kliniken. Die Diagnose war eine Gehirnerschütterung und eine Prellung. Wegen der Pfeffersprayattacke musste ich noch einen Augenspezialisten aufsuchen. Die Attacke kann aber vielleicht auch zu Dauerschäden führen. Ich hoffe das nicht, aber das ist die schlechte Nachricht. Die gute Nachricht ist, dass ich aufgrund meiner Statur, ich bin sehr stark und muskulös, am Ende keine großen Knochenbrüche oder innere Verletzungen erlitten habe. Darüber bin ich sehr froh.

Wie kam es zu der Situation?

Es war der 20. Mai. Wir haben gerade eine Pressekonferenz am Rande der abgesagten Gay Pride gehalten. Eine Gruppe von Ultras hat uns dabei beobachtet. Während des Termins kam es schon zu ersten Attacken. Nachdem wir fertig waren, haben mein Kollege und ich ein Taxi genommen, um diesen Ort schnellstmöglicht zu verlassen. Aber wir wurden von insgesamt sieben jungen Leuten verfolgt. Und in einem Hinterhof passierte dann der Vorfall.  Sie haben mich mit Pfefferspray außer Gefecht gesetzt, so dass ich zu Boden fiel. Ich versuche mich, so gut es geht, noch zu schützen. Sie traten mich mit Füßen auf Kopf und Oberköper. Als ich merkte, ich konnte meine Augen öffnen und meinen Körper spüren, bin ich aufgestanden und weggerannt.  Ein paar Journalisten haben die Verfolgung gesehen und so kam es auch zu dem Foto. Mein Freund hat die Polizei gerufen, der Fall wurde aufgenommen. Jetzt steht den Angreifern ein Gerichtsverfahren bevor.

Du bist Gay-Aktivist in deinem Land. Und wie wir alle sehen mussten, kann das sehr gefährlich sein. Was ist deine Motivation, dennoch weiter zu kämpfen?

Meine Motivation ist ganz einfach, dass ich für mein freies Leben kämpfe, für ein besseres Leben für mich und die anderen, die noch kommen. Nichts ist doch für einen Menschen natürlicher, als für seine eigenen Bedürfnisse zu kämpfen, oder? Seit 2004 bin ich als Gay-Aktivist bekannt und seitdem ist mir noch nie etwas passiert. Das war der erste Angriff. Ich lasse mich dadurch nicht verschrecken. Denn es gibt viele Menschen in dem Land, die für LGBT Rechte kämpfen. 2010 gab es eine Untersuchung unter LGBT Menschen in der Ukraine, dass 24 Prozent auf die Straße gehen würden. Letztes Jahr wollte eine Gruppe unbedingt auf die Straße, die wir unterstützt haben.  Die Auggabe von uns, als erfahrene Aktivisten, war es, sie dabei zu schützen und mit unserem Pride ein politisches Signal zu setzen. Deswegen bin ich im Organisationskomitee und nicht, weil ich auf der Straße aufmarschieren will.

Die EM ist in deinem Land in vollem Gange. Man hat den Eindruck, dass über Homophobie und Menschenrechte momentan gar nicht mehr gesprochen wird. In Deutschland wird kaum noch darüber berichtet, wie es diesbezüglich in der Ukraine aussieht. Der Fokus liegt allein auf dem Fußball. Wie empfindest Du das zurzeit?

Seit Beginn der EM gab es keine homophoben Angriffe, wir hätten sonst definitiv davon erfahren. Einige ausländische Fans zeigen zwar mehr oder weniger, dass sie schwul sind,  aber sie provozieren nicht, denn sie sind durch die westlichen Medien gewarnt und abgeschreckt. Sie wissen, dass die Ukraine ein homophobes Land ist. Obwohl ich mir manchmal wünschen, dass sie ein wenig mehr provozieren würden. Auch wenn der eine oder andere Fan provoziert, würde nicht viel passieren. Die ukrainische Homophobie ist sehr passiv. Man würde nicht gleich schlagen, sondern eher solchen Situationen aus dem Weg gehen. Die Polizei ist den ausländischen Fans sehr tolerant gegenüber kleinen Straffälligkeiten und sie können sich mehr erlauben, als im Normalfall.

Svyatoslav Sheremet bei einem Besuch in Berlin (Foto: Sheremet)
Svyatoslav Sheremet bei einem Besuch in Berlin (Foto: Sheremet)

Die Menschen in der Ukraine haben viele kulturelle Vorurteile. Es ist das Erbe der sowjetischen Zeit, in der Homosexualität als Straftat galt. Die Mehrheit ist davon überzeugt, dass Homosexualität eine Krankheit ist und behandelt werden muss.

In der Ukraine gibt es jetzt einen Gesetzentwurf, der das öffentliche Sprechen über oder zeigen von Homosexualität bestrafen soll. Wie weit ist diese Gesetzesinitiative vorangeschritten? 

In der Ukraine gibt es im Herbst eine parlamentarische Wahl. Die Motivation der abstrusen Gesetzesentwürfe von zwei Fraktionen, darunter auch die Kommunistische Partei,  ist eigentlich nur, dass sie als Einzelkandidaten Stimmen fangen wollen. Momentan werden die Gesetzesentwürfe untersucht. Im Konkreten besagt es:  Wer Informationen über Homosexualität verbreitet, macht sich strafbar. Und das ist alles sehr, sehr auslegbar und interpretierbar. Gott sei Dank ist der internationale Druck relativ groß. Die UNO und auch viele Menschenrechtsorganisationen haben sich direkt an das Parlament gewandt. Trotzdem:Dass das Gesetz durchkommt, liegt bei 50:50.

Was müsste sich in der Gesellschaft und auch beim Staat ändern, damit Du und Deine Freunde ihr Leben offen und selbstbewusst leben könnt?

Der niedrige Lebensstandard ist ein wichtiger Grund. Wenn du schlecht lebst, suchst du Schuldige. Und vielen Schwulen geht es materiell gut. Du suchst Feinde deines eigenen Glückes. Die Suche nach dem Sündenbock ist eine Charakteristik der ärmeren Schichten und trifft auch die Schwulen. Außerdem gibt es hier eine sehr konservative Gesetzgebung, d.h. keine Prostitution, Verbot von Pornos, und jede Menge Sittengesetze. Mit anderen Worten: Die Sexualität in der Ukraine wird unterdrückt und der Hass gegenüber Schwulen größer. Denn aus ihrer Sicht haben Schwule ein erfüllteres Sexualleben, sie gehen offener und freizügiger damit um. Diese Barrieren müssen verschwinden, vorher wird hier nicht passieren.

Wenn Du deine Angreifer von damals noch mal einzeln sehen würdest, mit ihnen reden könntest… Was würdest Du ihnen sagen?

Die Gruppe der Angreifer habe ich in den sozialen Netzwerken gefunden. Nicht direkt die Angreifer, aber ein Teile aus der Gruppe. Ich habe mit ihnen offen diskutiert und gemerkt, dass sie eine sehr primitive Vorstellung von Schwulen haben.

Es gab Initiatoren des Angriffes. Die mich attackiert haben, das sind nur die Ausführer. Sie haben sich unbewusst und aus Naivität, zu Straftätern gemacht. Wichtig ist, an die Hintermänner zu kommen. Das Gerichtsverfahren dauert drei Monate und ich hoffe, dass in dieser Zeit, die wirklichen Straftäter gefasst werden fassen.

Interview: Juliane Böthner