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HIV-Therapien heute: Zwischen „sehr gut“ bis „zum Kotzen“

Statistisch betrachtet kommen rund 80 Prozent aller Patienten sehr gut mit ihrer HIV-Therapie zurande. Was aber ist mit den restlichen 20 Prozent? Axel Schock hat den HIV-Schwerpunktarzt Gerd Klausen zu Risiken und Nebenwirkungen befragt.

Statistisch betrachtet kommen rund 80 Prozent aller Patienten sehr gut mit ihrer HIV-Therapie zurande. Was aber ist mit den restlichen 20 Prozent? Axel Schock hat den Berliner HIV-Schwerpunktarzt Gerd Klausen zu Risiken und Nebenwirkungen von HIV-Medikamenten befragt.

Man taking a pill
Statistisch betrachtet kommen rund 80 Prozent aller Patienten sehr gut mit ihrer HIV-Therapie zurande. (Foto: fotolia.de)

Eine HIV-Infektion ist dank wirksamer Medikamente inzwischen ähnlich gut in den Griff zu bekommen wie Diabetes oder Bluthochdruck. Doch wie alle Tabletten können auch HIV-Medikamente unangenehme Begleiterscheinungen mit sich bringen. Bevor der HIV-Schwerpunktarzt Auskunft gibt, berichtet Klaus (Name verändert) über seine Erfahrungen.
„Ich habe in den vergangenen vier Jahren keine einzige Nebenwirkung, die auf den Beipackzetteln gelistet ist, ausgelassen“, sagt der 44-Jährige mit einem leicht sarkastischen Ton und rattert los.

Er erzählt von Erektionsproblemen und heftigen Schlafstörungen; von Tagen, an denen er sich nicht aus dem Haus traute, weil sein Darm verrückt spielte. Er Angst hatte, sich in die Hosen zu machen. Er berichtet von Pusteln und Hautirritationen, die ihn wie ein Monster aussehen ließen. Sie verschwanden erst wieder allmählich, nachdem er die Medikamente gewechselt hatte. „Wenn ich damals in den Schwulenmagazinen diese jungen, agilen, gutaussehenden Männer auf den Werbefotos der Pharmafirmen sah, hätte ich am liebsten gleich wieder losgekotzt. Mich haben die Pillen nicht lebensfroh gemacht, sondern mich erst richtig krank fühlen lassen.“

Dr. Klausen, der entscheidende Durchbruch in der HIV-Therapie gelang 1996 mit der sogenannten Kombinationstherapie. Seitdem werden stets drei verschiedene antiretrovirale Medikamente zur Behandlung eingesetzt. Aber nicht jede Kombination wird von allen Patienten gleichermaßen gut vertragen, oder?

Gerd Klausen: Bei Therapiebeginn ist im Rahmen der engmaschigen Blutkontrollen üblich nach vier Wochen erstmals zu überprüfen, wie es mit der Wirksamkeit aussieht und wie die Organe die Medikamente vertragen, ob es beispielsweise Veränderungen bei den Leber- und Nierenwerten gibt.

Zum anderen gibt es Nebenwirkungen, die der Patient feststellt. Das können Probleme im Magen- und Darm-Bereich sein wie etwa Durchfall und Übelkeit, und darüber hinaus Schlafstörungen, Hautprobleme und Auswirkungen auf die Sexualität, d.h. eine verringerte Libido. Ziel ist es natürlich, für jeden Patienten eine möglichst nebenwirkungsarme, im besten Falle nebenwirkungsfreie Kombination zu finden. In aller Regel funktioniert das auch, aber nicht immer gleich beim ersten Versuch.

Wie viele Kombinationsmöglichkeiten bleiben dem  HIV-Patienten denn, sollte er eines der Medikamente nicht vertragen?

Das wäre eine gute Rechenaufgabe für den Mathe-Leistungskurs! Derzeit gibt es in Deutschland 24 zugelassene Wirkstoffe, die man theoretisch zu einer Vielzahl von Dreierkombinationen kombinieren könnte. Für den Therapiebeginn kommen in der Regel allerdings nur drei, vier verschiedene Medikamentenkombinationen in die engere Auswahl, die wirklich gut untersucht sind.

Heißt das, dass ich mich im schlimmsten Falle mit den Nebenwirkungen für die gesamte Dauer der Therapie abfinden muss?

Manche Nebenwirkungen verschwinden einige Wochen nach Beginn der Medikamenteinnahme, sobald sich der Körper daran gewöhnt hat. Falls dies nicht passiert, ist zu überlegen, ob man den einen oder anderen Wirkstoff besser austauscht. Innerhalb eines halben Jahres ist dann in der Regel die passende Kombination gefunden. Diese Zeit allerdings sollte sich der Patient auf jeden Fall auch geben und nicht zu enttäuscht sein, wenn währenddessen Nebenwirkungen auftreten. Außerdem muss man sich darauf einstellen, dass in diesem Zeitraum häufigere Kontrollen nötig sind.

Kann es passieren, dass sich meine HIV-Therapie mit Medikamenten, die ich wegen anderer Krankheitsbilder einnehmen muss, nicht vertragen?

Dieses Problem der Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Medikamenten kann tatsächlich bestehen und muss vom Arzt jeweils abgeklärt werden. Das gilt übrigens auch für den Konsum von Substanzen wie Partydrogen. Es ist daher ratsam, gegenüber dem behandelnden Arzt offen und ehrlich zu sein, damit er dies bei der Auswahl der HIV-Medikamente entsprechend berücksichtigen kann.

Was passiert, wenn nach und nach mehrere der HIV-Medikamente für meine Therapie nicht mehr in Frage kommen?

Bedrohliche Einschränkungen in der Auswahl der HIV-Medikamente, zum Beispiel aufgrund solcher Wechselwirkungen, kenne ich aus meinem Praxisalltag eigentlich nicht. Etwas anders sieht es bei Patienten aus, die schon viele Jahre in Therapie sind und bei denen sich im Laufe der Behandlung Resistenzen gebildet haben. Da stößt man dann tatsächlich manchmal an Grenzen, wenn man die Therapie umzustellen möchte.

HIV-Positive, die schon sehr lange in Therapie sind, haben häufig nicht nur mit möglichen Resistenzen zu tun. Darüber müssen sie hinaus auch mit Langzeitwirkungen der Medikamente zu kämpfen. Müssen sich darauf alle HIV-Patienten über kurz oder lang einstellen?

HIV-Mediziner, gerade wenn sie schon sehr lange in diesem Bereich arbeiten, sind inzwischen sehr sensibilisiert und aufmerksam, was die Langzeit-Nebenwirkungen angeht. Zumal wir heute viel früher, das heißt quasi präventiv behandeln. Nämlich zu einem Zeitpunkt, bei dem die Infektion noch keine schlimme Schäden verursacht hat. Umso wichtiger ist es, dass man solche langfristigen schweren Nebenwirkungen vermeidet.

Erfahrt hier, unter welchen Folgeschäden Langzeittherapierte heute leiden können.

Von Christina Laußmann

Redakteurin und Lektorin der Deutschen Aidshilfe.