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„Nicht HIV hat diese Männer getötet, das Stigma hat sie getötet.“ – Schwul in Ghana

m ersten Teil der Reportage hat Kojobesia über seine Jugend als Schwuler in Ghana berichtet. Hier hat er auch Erfahrungen mit Sexarbeit gemacht. Darüber ist Kojobesia zur Menschenrechtsarbeit gekommen.

Im ersten Teil der Reportage hat Kojobesia über seine Jugend als Schwuler in Ghana berichtet. Hier hat er auch Erfahrungen mit Sexarbeit gemacht. Darüber ist Kojobesia zur Menschenrechtsarbeit gekommen.

2003 bat ihn ein Ex-Freund um Hilfe. Der arbeitete als Entwicklungshelfer und hatte einen Termin bei USAID. Die US-amerikanische Behörde unterstützt unter anderem Informationskampagnen zu HIV. „Die suchen jemanden, der viele schwule Männer kennt – du musst da hin“, bat der Freund. Kurz darauf saß der gerade einmal 20 Jahre alte Kojobesia als einziger Mann in einer Runde von Sexarbeiterinnen. „Wir haben uns gegenseitig vorgeworfen, uns die Kunden wegzuschnappen“, erzählt Kojobesia und lacht laut. Doch sein Auftritt überzeugte. Kojobesia wurde zum „Peer Educator“, zog von Siedlung zu Siedlung, sprach schwule Bekannte an und unterhielt sich mit ihnen über Safer Sex. Sein Arbeitsmaterial: Bilder, Kondome und ein Holzdildo. „Oft saßen wir nur zu dritt oder viert unter einem Baum zusammen“, erinnert er sich, „mit dem Rücken zu den Nachbarn, damit wir in Ruhe reden konnten.“ Die mühselige Arbeit an der schwulen Basis war gleichzeitig der Startpunkt für die erste Aidshilfe-Organisation für schwule Männer in Ghana: Brother’s Keeper.

Die Präventionsarbeit stieß schnell an wirtschaftliche Grenzen. „Die häufigste Frage der Leute war: Wie kommen wir denn an Kondome und Gleitmittel?“, erinnert sich Kojobesia. Die sind in Ghana ein Luxusgut. Das Land boomt und gilt als afrikanische Musterdemokratie. Durchschnittsverdiener kommen auf zwei Euro pro Tag. Gemeinsam mit UN-Organisationen organisierten Brother’s Keeper deshalb Anlaufstellen in Kliniken. Dort erhalten schwule Männer kostenlos Kondome – und eine respektvolle Beratung. Keine leichte Aufgabe im tiefreligiösen Ghana. In einer Umfrage von 2013 erklärten 98 Prozent der befragten Ghanaer Homosexualität für inakzeptabel, der höchste Wert unter 40 Staaten. „Wir gelten als doppelte Sünder“, sagt Kojobesia. „Schwulsein ist nicht nur per Gesetz verboten, sondern auch durch die Bibel.“ Als Kojobesia einmal wegen einer Gonorrhoe-Infektion in eine Klinik kam, griff die Schwester nach der Diagnose zur Bibel und kritisierte seine Sünden. „Ich musste ihr sagen: Ich bin zur Behandlung hier, nicht zur Bekehrung!“

Inzwischen bemüht sich auch die ghanaische Regierung darum, die von HIV besonders betroffenen Schwulen besser zu erreichen und das medizinische Personal zu sensibilisieren. Der Global Fund unterstützt diesen Prozess. Wieder war Kojobesia als Fachmann für schwulen Sex als einer der Ersten mit dabei. Zunächst informierte er nur die Ärzte und Schwestern in den Anlauf-Kliniken, später in den großen Krankenhäusern, die auf HIV spezialisiert sind. „Das war ein toller Job“, sagt Kojobesia, „aber durch diese Arbeit habe ich gemerkt: Mein Volk kommt um aus Mangel an Erkenntnis!“ Der gläubige Christ zitiert die Bibel, um die schwierige Situation schwuler Positiver zu beschreiben. „Wenn die Leute nicht selbstbewusst auf eine Behandlung bestehen, werden sie nach einer HIV-Diagnose ohne Folgetermin nach Hause geschickt“, sagt Kojobesia. Allein 2014 seien acht seiner Bekannten an Aids verstorben. „Nicht HIV hat diese Männer getötet“, betont Kojobesia, „das Stigma hat sie getötet. Sie bekommen nicht genügend Unterstützung, weil sie schwul sind.“

Kojobesia hat seine Lebensaufgabe gefunden: Schwulen Männern Recht zu verschaffen, Schritt für Schritt. Angefangen hat er dort, wo es am dringendsten ist: im Gesundheitssystem. Diese Aufgabe verfolgt er auch aus der Ferne weiter. Derzeit lebt er in Hamburg und macht eine Ausbildung zum Speditionskaufmann. Mit einem Zeugnis aus Deutschland will er in ein paar Jahren nach Ghana zurückkehren. Sein Traum: ein Community-Zentrum, in dem Schwule, Lesben und Transmenschen Kraft tanken können. „In Ghana musst du stark sein“, sagt Kojobesia, „sonst buttern sie dich unter. Wenn dich jemand angreift, dann schau dich um, such‘ dir Verbündete – oder greif‘ dir was, um dich zu wehren.“ In der Not muss ein schwuler Mann manchmal den ersten Stein werfen.

*Name von der Redaktion geändert. „Kojobesia“ heißt in der ghanaischen Umgangssprache ein Mann, der – in den Augen der Mehrheitsgesellschaft – nicht besonders männlich wirkt.

Blog-being gay in Ghana
Kojobesia wurde zum „Peer Educator“, zog von Siedlung zu Siedlung, sprach schwule Bekannte an und unterhielt sich mit ihnen über Safer Sex.

Von Philip Eicker

Arbeitet freiberuflich als Autor und Magazinredakteur, unter anderem für die Deutsche Aidshilfe, das Erzbistum Berlin und das queere Stadtmagazin Siegessaeule.