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Leben mit HIV

Der Zufallsaktivist – Portrait der irischen Dragqueen Panti Bliss

Panti Bliss, die „Queen of Ireland“, ist eine aus Irland stammende und weit über die Landesgrenzen hinaus bekannte Dragqueen. Ihr Engagement ist vielfältig: für die „Ehe für alle“ in Irland aber vor allen gegen Homophobie und Stigmatisierung von HIV-Positiven. „Leider trauen sich viele Menschen nicht, offen über ihre HIV-Infizierung zu sein.“

Die niederländische Zeitschrift hello gorgeous sprach mit Rory O’Neill (47). In Irland und weit über die Landesgrenzen hinaus kennt man ihn als die Dragqueen Panti Bliss. „Leider trauen sich viele Menschen nicht, offen über ihre HIV-Infizierung zu sein.“

„Seit Panti mainstream geworden ist, muss ich mir gut überlegen, was ich sage: Sie wird jetzt nämlich manchmal so furchtbar ernst genommen.“ So Rory O’Neill, der als Panti Bliss 2014 zu internationalem Ruhm kam, nach einem Vorfall im irischen Fernsehen, in dem sie einige Medienpersönlichkeiten der Homophobie bezichtigte. In einer eloquenten Ansprache einige Zeit später erläuterte Panti ihre Aussage. Die Ansprache ging um die Welt und bekam Millionen Views auf YouTube.

2015 war das Jahr, in dem Irland in einem Referendum über die Öffnung der bürgerlichen Ehe für Personen gleichen Geschlechts abstimmte. „Es war komisch und irgendwie auch erniedrigend. Zusammen mit vielen ehrenamtlichen Helfern aus der LGBTI-Community bin ich von Tür zu Tür gegangen und habe angeklopft, um die gleichen Rechte zu erbetteln, die andere Menschen auch haben. Ich weiß nicht, wie ich mich gefühlt hätte, wenn das Ergebnis des Referendums ein ‚Nein’ gewesen wäre.

„Wenn du mich fragst, wie ich Aktivist geworden bin, dann kann ich diese Frage gar nicht so einfach beantworten. Die Leute nennen Panti ‚die LGBTI-Kämpferin’, aber ich sehe mich nicht wirklich so. In meinem Kopf sind Aktivisten Menschen in verqualmten Räumen, die sich über das System oder eine bestimmte Situation aufregen und mit der Erstellung von Pamphleten und Plakaten beschäftigt sind. Wenn ich schon ein Aktivist bin, dann ein sehr egoistischer. Es muss um etwas gehen, das mich persönlich betrifft und von dem ich merke, dass es Anderen ähnlich geht. Dann bin ich auf jeden Fall bereit, meine Meinung auszusprechen. Während all diese anderen, echten Aktivisten die wirkliche Arbeit machen.

Das Leben als Panti

Rorys Einstieg in das Thema Drag erfolgte, nachdem er einen Sommer lang bei seinem Bruder in London zu Besuch war und von Leigh Bowery in den Bann gezogen wurde. „Leigh war dieser große, bizarre underground Entertainer, der jeden mit seinen Kostümen und Auftritten erstaunte. Ich war von diesem Mann, der sein Leben komplett nach seinen eigenen Vorstellungen führte, fasziniert: erhaben und mitreißend fand ich ihn. Als ganz normaler Junge aus einem entlegenen irischen Dorf hatte ich nie daran gedacht, dass ein solches Leben auch für mich in Frage kommen könnte.

Natürlich, manchmal habe ich keine Lust. Dann sitze ich wieder irgendwo in einer Garderobe mit meinen Sachen um mich herum; und dann weiß ich, dass ich das zweistündige Ritual, das ich schon tausende Male wiederholt habe, einfach durchziehen muss. Aber ich muss sagen: Wenn die Schminke einmal aufgetragen ist und wenn diese übertriebene Frau, die ich spiele, wieder Menschen um sich hat, dann ist es auch eine sehr dankbare Aufgabe.

Je nach Auslastung kann es vorkommen, dass ich viele Abende hintereinander Panti bin. Ich versuche auf jeden Fall, jeden Sonntag ein paar Stunden als mein Alter Ego in meiner eigenen Kneipe zu verbringen. Dann höre ich Musik und lasse mich mit Touristen fotografieren. Aber Panti hält auch Vorträge, sie hat Medienauftritte und es wird erwartet, dass sie bei bestimmten Events dabei ist. Daneben tritt sie in ihrer eigenen Theatershow auf. Diese Shows sind immer eine Mischung aus Stand-up-Comedy und Kabarett in Monologform. Panti redet sehr gerne und sehr viel.“

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Rory O`Neill (47) alias Panti Bliss.

„Was ich als Problem betrachte, ist das alles beherrschende Stigma, das Tabu, über HIV zu sprechen.“

„Es kommt regelmäßig vor, dass ich als Panti von Männern angesprochen werde, die mir von ihrer HIV-Infizierung erzählen. Dass sie zum Beispiel gerade die Diagnose bekommen haben, oder dass sie HIV schon seit Jahren als Geheimnis mit sich herumtragen. Ich selbst bin immer offen damit gewesen, dass ich HIV-positiv bin. Ich muss nun einmal geradeheraus über solche Sachen sprechen können. Aber vielleicht war es für mich auch einfacher, weil ich Teil der schwulen Szene war und auf Stöckelschuhen durch die Gegend rannte.“

Derzeit bedeutet es auf jeden Fall, dass ich der einzige bekannte Ire bin, der öffentlich HIV hat. Das hat zur Folge, dass Männer, die ebenfalls HIV-positiv sind und Fragen darüber haben oder die sich auch einfach mal mit jemand austauschen möchten, zu mir kommen. Ich habe immer ein offenes Ohr und ich versuche, Menschen zu beruhigen. Denn schau mal: Ich nehme jeden Morgen meine Pillen, ohne groß darüber nachzudenken. Den Rest des Tages ist es dann kein Thema mehr für mich. Als ich 1995 meine Diagnose bekam, sah die Welt noch ganz anders aus.“

„Manchmal wird mir vorgeworfen, dass ich die Sache nicht ernst genug nehmen würde. Aber na ja, ich kann nur für mich selbst sprechen. Ich habe keine Beschwerden und HIV bereitet mir im Alltag kaum Schwierigkeiten. Was ich aber als Problem betrachte, ist das alles beherrschende Stigma, das Tabu, über HIV zu sprechen. Das bedeutet nämlich, dass Menschen Angst haben, sich testen zu lassen. Oder dass sie es verschweigen, wenn die Diagnose HIV-positiv lautet. Das führt zu allen möglichen seelischen – oder, wenn man seine Pillen nicht nimmt – gesundheitlichen Problemen.

Wenn morgen alle Menschen mit HIV in Irland ihr Coming-out hätten, dann wäre das Stigma übermorgen verschwunden. Das haben wir in Irland in den vergangenen Jahren auch bei Homosexualität gesehen. Ganz viele Schwule, Lesben und Bisexuelle haben sich geoutet, sodass heutzutage fast jeder jemanden kennt, der „so“ ist. Das macht es für die Gesellschaft viel leichter, diesen Menschen die gleichen Rechte zu gewähren, die alle anderen auch haben.“

„Ich wünschte mir, ich könnte in meiner Bar PrEP verteilen.“

Heutzutage kann man sich an manchen Wochenenden im Souterrain der Panti Bar testen lassen. Das erspart einem den Weg in die Klinik. Es ist total wichtig, dass man sich regelmäßig testen lässt, denn je schneller man eine Infizierung entdeckt, umso besser es ist für die eigene Gesundheit und die von anderen Leuten. Ich wünschte mir, ich könnte in meiner Bar PrEP verteilen. Die Entwicklungen können mir nicht schnell genug gehen! Wie ich schon sagte, empfinde ich meine eigene HIV-Infizierung nicht als problematisch, aber ich sehe, dass es für Andere durchaus ein Problem sein kann. Und je schneller wir HIV stoppen können, desto besser. Darum sage ich nie ‚nein’, wenn man mich fragt, ob ich für ein Interview zu diesem Thema zur Verfügung stehe.“

Niederländischer Original-Text: Gerrit Jan Wielinga. Text redaktionell bearbeitet.

Mehr Panti!

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„Es kommt regelmäßig vor, dass ich als Panti von Männern angesprochen werde, die mir von ihrer HIV-Infizierung erzählen“, so Panti Bliss.

Suche auf YouTube nach ‚Panti’s Noble Call’ für ihre inzwischen weltberühmte Ansprache über Homophobie und wie diese Menschen unterdrückt.

Schau dir den Dokumentarfilm Queen of Ireland an. In dem Film geht es unter anderem um die Rolle, die Panti in der Zeit des irischen Referendums über die Öffnung der Ehe spielte.

Besuche die Panti Bar online auf pantibar.com. Und solltest du mal in Dublin sein, dann geh’ doch mal auf ein Getränk vorbei.