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Leben mit HIV

Eine rundum positive Beziehung

Ein Haus auf dem Land mit Hühnerstall, eine romantische Hochzeit in der Dorfkirche – das Leben von Thilo und René klingt so idyllisch. Aber auch das gehört zu ihrem Leben: Beide sind seit über 20 Jahren HIV-positiv und kämpfen mit Langzeitfolgen. Zu zweit werden sie auch damit fertig.

Ein Haus auf dem Land mit Hühnerstall, eine romantische Hochzeit in der Dorfkirche – das Leben von Thilo und René klingt so idyllisch. Aber auch das gehört zu ihrem Leben: Beide sind seit über 20 Jahren HIV-positiv und kämpfen mit Langzeitfolgen. Zu zweit werden sie auch damit fertig. Was macht eine HIV-positive Beziehnung aus?

Das Landleben hat einen festen Rhythmus. Jeder Tag beginnt mit Kraftfutter, Kaffee und Tabletten. Das Futter bekommen die Tiere. Thilo (52) und René (48) halten Hühner und Schafe. Den Kaffee und die Tabletten nehmen die beiden Männer selbst. Thilo ist der Peniblere, deshalb zählt er nicht nur seine Pillen ab, sondern auch die für seinen Mann: drei Stück gegen HIV, eine gegen Allergie und eine fünfte gegen die Schmerzen in den Beinen. „Ich sage immer zu Thilo: Mein tägliches Gift gib mir heute“, berichtet René und lacht: „Die Medikamente sind trotz allem eine Form von Gift, die ich meinem Körper antue.“ Aber ohne das wohldosierte Gift würden sich HIV-Viren in den Körpern der beiden ausbreiten.

„Bei uns hat HIV einen ganz anderen Stellenwert“

Außer der spöttischen Vater-unser-Variation sind nicht viele Worte nötig. Für Thilo und René ist HIV Alltag: Sie sind ein positives Ehepaar. Schon in den 90er-Jahren bekamen sie die Diagnose. „Alles Grundsätzliche ist geklärt“, sagt Thilo. „Aber ich kümmere mich schon darum, dass René seine Tabletten nimmt. Sie müssen möglichst regelmäßig genommen werden, um ihre volle Wirkung zu erzielen.“ Bei den HIV-Tabletten wäre René ohne seinen Mann nachlässiger. Bei den Mitteln gegen die schmerzenden Beine nicht. „Ohne sie überstehe ich den Tag gar nicht“, betont René. Nur die Menge variiert: „Nehme ich die zweite Tablette erst abends? Oder gönne mir schon früher eine?“ Das gilt vor allem für Arbeitstage. „Als Kellner läuft man viel“, erklärt René. „Wenn ich die Sechs-Stunden-Schicht hinter mich gebracht habe, muss ich schon nachmittags erhöhen.“ Dann tut alles weh, von den Fußsohlen bis hoch in die Oberschenkel. „Das Virus hat mir die Nerven kaputt gemacht“, meint René.

Jeder hat seinen eigenen Umgang mit HIV

Als René 1993 seine Diagnose bekam, gab es noch kein Mittel gegen HIV. Als es dann welche gab, rieten ihm die Ärzte, mit der Therapie abzuwarten. Die Nebenwirkungen galten als zu stark. Erst 2013 hat René mit der Kombitherapie begonnen. „Bis dahin hat das Virus einiges kaputt gemacht, das ich nun nicht mehr aufgebaut bekomme“, erläutert René. Anders als bei Thilo hat sich das Immunsystem nicht davon erholt. „Leute, die in den 1980er- oder 1990er-Jahren infiziert wurden, haben einfach größere Schäden davongetragen und sind oftmals weniger leistungsfähig“, stellt Thilo fest. Ein unbefangenes, fast normales Leben zu führen sei nicht mehr so einfach. „Bei uns hat HIV einen ganz anderen Stellenwert.“

Weil die täglichen Pillen nicht so gut wirken, wie erhofft, geht René auch nur ungern zu den regelmäßigen Check-ups beim HIV-Schwerpunktarzt. „Ich hab einfach keinen Bock“, sagt René mit Nachdruck: „Ich sitze drei Stunden in der Bahn und eine halbe Stunde im Wartezimmer, nur um mich dann zehn Minuten über Blutwerte zu unterhalten, bei denen sich nichts tut. Das nervt mich!“ Statt alle drei Monate, wie es die Deutsche Aidshilfe empfiehlt, geht René nur noch alle vier Monate zum Kontrolltermin.

Thilo dagegen macht sich achtmal im Jahr auf den Weg nach Berlin: viermal zum Blutabnehmen, viermal zum Auswertungsgespräch. Die vielen Arzttermine haben ihr Gutes, findet der gelernte Konditor- und Sicherheitsmeister: „Wenn was ist, wird es schnell erkannt und behandelt. Andererseits habe ich vor dem Termin oft das Gefühl: Oh Gott, welche Beschwerde kommt jetzt noch obendrauf?“ Seit er in HIV-Therapie ist, kann Thilo nicht mehr durchschlafen. Auch dagegen nimmt er inzwischen ein Mittel – „wieder eine Tablette mehr.“

Auch das Sexleben hat sich verändert. „Sex ist ja Definitionssache“, erklärt Thilo, „und wir kuscheln eben.“ „Ich habe einfach keine Lust mehr auf Sex“, erläutert René. „Mir fehlt gar nix. Aber meinem Mann.“ Aber auch Thilo hatte schon Phasen, in denen ihm alle Lust vergangen ist. „Anfang der 2000er bin ich öfter als Virenschleuder beschimpft worden“, erinnert sich Thilo. Wenn er sich als positiv geoutet hat, war der Sexpartner weg. „Und wenn ich nichts gesagt habe, hatte ich keinen Spaß, weil ich meinen Kopf nicht ausschalten konnte.“ Da war immer dieses Gefühl, als Infektionsrisiko dazustehen. „Das hat mir den Sex echt verleidet.“

„Wir können uns in den anderen reinfühlen.“

Der Vorteil einer HIV-positiven Partnerschaft: Beide verstehen gut, wie es dem anderen geht: „Das ist manchmal gut, weil wir uns in den anderen reinfühlen können“, erklärt René. Manchmal sind wir deswegen aber auch hyperempfindlich.“ René lacht und fügt hinzu: „Meistens ich.“

Zu zweit ist auch das Älterwerden besser zu ertragen. Das beschäftigt René stark: „Einer der ersten Gedanken nach meiner HIV-Diagnose war: Juhu, ich werde nicht alt!“, erinnert er sich. „Damit habe ich mich damals getröstet. Die Medikation hat mir mehr Lebenszeit geschenkt – und die fülle ich jetzt damit aus alt zu werden. Das ist nicht so prickelnd.“ Thilo ist gelassener: „Älterwerden war für mich nie ein großes Thema“, sagt er. Und das, obwohl er gehört hat, dass manche HIV-Positive schneller altern würden. Manche Fachleute befürchten, dass die chronische Infektion die Körperzellen schleichend schädigt. „Aber deshalb bin ich nicht panisch“, sagt Thilo. Er findet, dass sein „aggressiver Optimismus“ und Renés „dezenter Pessimismus“ eine gesunde Mischung ergeben. Das positive Paar ergänzt sich prima, das sagt auch René: „Wir beide passen schon wie Arsch auf Eimer.“

HIV-positive Beziehnung (Facebook-Post-Rene+Thilo)
René (li.) und Thilo (re.) ergänzen sich prima: „Wir beide passen schon wie Arsch auf Eimer.“

Von Philip Eicker

Arbeitet freiberuflich als Autor und Magazinredakteur, unter anderem für die Deutsche Aidshilfe, das Erzbistum Berlin und das queere Stadtmagazin Siegessaeule.