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Allein unter Schafen

In der kargen und archaischen Landschaft Yorkshires gibt es nichts außer Wind, Regen und jede Menge Schafe. Nicht unbedingt ein Ort, an dem man als schwuler Mann enden möchte. Und doch spielt hier eine der wahrhaftigsten und berührendsten Liebesgeschichten dieses Filmjahres.

Die schwule Liebesgeschichte „God’s Own Country“ startet Ende Oktober in die Kinos.

In der kargen und archaischen Landschaft Yorkshires gibt es nichts außer Wind, Regen und jede Menge Schafe. Nicht unbedingt ein Ort, an dem man als schwuler Mann enden möchte. Und doch spielt hier eine der wahrhaftigsten und berührendsten Liebesgeschichten dieses Filmjahres „God’s Own Country„.

Von dem Hügel aus, den Gheorghe erklommen hat, erstreckt sich die Landschaft nach allen Seiten schier endlos in die Ferne. So früh im Jahr sind die weiten Wiesen und Felder zwar noch schmutzig-braun, aber zusammen mit dem dramatisch sich auftürmenden Wolken hinterlässt diese archaische, nur marginal durch Menschenhand gezähmte Wildnis einen tiefen Eindruck.

Es ist schön hier, aber auch einsam.

„Es ist schön hier“, sagt der Landarbeiter Gheorghe zu Johnny, „aber auch einsam“. In diesem kleinen Satz hat die rumänische Aushilfe bereits das ganze Dilemma des Jungbauern Johnny zusammengefasst. Touristen und Romantiker mag diese abgelegene Ecke in Yorkshire ganz im Norden Englands als ungestümes Paradies auf Erden erscheinen.

Für den Mittzwanziger Johnny aber, der hier auf einer heruntergekommenen abgeschieden gelegenen Farm seinen Leben fristet, ist der Blick auf die Schönheit der Natur verstellt. Die Viehzucht wirft kaum noch etwas ab, die Lebensumstände sind ärmlich, die Abgeschiedenheit und Einsamkeit eine Herausforderung.

Sich im Pub des nächstgelegenen Dorfes die Kante zu geben, ist die einzige Abwechslung, die ihm nach den anstrengenden Arbeitstagen bleibt. Auf dem Viehmarkt in der Stadt ergibt sich dann sogar auch mal ein Quickie im Viehtransporter. Viel mehr aber ist nicht. Seit der Vater nach einem Schlaganfall als Arbeitskraft ausfällt, lastet die Verantwortung für den kleinen Hof ganz auf Johnny (gespielt von Josh O’Connor). Wem das Leben so wenig Perspektiven bietet, verliert nicht nur den Blick auf die Schönheit der Landschaft, in der er lebt, er verliert auch jegliche Freude.

Als Gheorghe als Saisonarbeiter angeheuert wird, hat sich Johnny längst durch seine Unzufriedenheit zum Kotzbrocken entwickelt. Er begegnet dem Arbeitsmigranten mit größtmöglicher Unfreundlichkeit und unverhohlenen Ressentiments, nennt ihn provozierend „Zigeuner“ und beäugt ihn misstrauisch.

Doch Gheorghe (Alec Secareanu), der sich als kompetenter Schafbauer und Landwirt erweist, lässt sich viel, aber nicht alles gefallen. Vor allem aber gelingt es ihm, den Panzer, in den sich Johnny eingesperrt hat, zu knacken. Wie das geschieht, fast wortlos, mit kleinen, kaum wahrzunehmenden Gesten, das ist eine der großen Stärken dieses wunderbaren Films.

Intensität und Authentizität

„God’s Own Country“, das autobiografisch gefärbte Langfilmdebüt des Briten Franics Lee, ist in sich so stimmig, so umwerfendend und bis ins kleinste Detail perfekt, dass man als Zuschauer manchmal vor Glück weinen möchte.  Schwule Liebe unter Viehhirten, da drängt sich selbstverständlich ein Vergleich mit „Brokeback Mountain“ auf, und tatsächlich gibt es sogar motivisch ähnliche, zentrale Szenen (etwa der erste Sex während eines mehrtägigen Arbeitseinsatzes auf einer abgelegenen Weide).

Doch nicht nur, dass in „God’s Own Country“ die Homophobie in der umgebenden Gesellschaft und Dorfgemeinschaft nur subtil angedeutet, im Vergleich zu Ang Lees Oscar-Gewinnerfilm wirkt „God’s Own Country” ungemein schmutziger, rigoroser und ja: authentischer.

Kuhscheiße im Stall

Der Schlamm auf den Feldern, die Kuhscheiße im Stall, die Geburt von Lämmern, das Verenden von Tiere sind ein so selbstverständlicher und quasi dokumentarischer Teil von Francis Lees Drama wie die windgepeitschte Landschaft und das unwirtliche Wetter. Und die beiden umwerfenden Hauptdarsteller ziehen dem Kadaver so souverän das Fell ab wie sie Wunden verarzten und Steinmauern reparieren, als hätten sie ihr Leben lang nie etwas Anderes getan.

God's Own Country
Foto: Edition Salzgeber

Mit der gleichen Intensität und Authentizität entwickeln sie vor der Kamera aber auch die sexuelle Leidenschaft und schließlich mehr und mehr auch Nähe und Zärtlichkeit. Der Weg dahin ist nicht leicht, für keinen der beiden Männer. Johnny hat dabei den schwierigsten Part zu durchstehen.

Doch nicht, weil er sein Schwulsein verdrängen würde – anders als „Brokeback Mountain“ handelt dieser Film eben nicht von einem verhinderten oder gesellschaftlich unmöglichen Coming-out –, sondern weil seine Vorstellung von Schwulsein, von schwuler Sexualität so verkümmert zu sein scheinen. Wer hier aufwächst, redet generell nicht viel, schon gar nicht über Gefühle.

Das gilt für die Säufer im Pub, für Johnnys mürrischen, mit der eigenen Gebrechlichkeit hadernden Vater wie für die schmallippige Großmutter (Gemma Jones), die ihnen den Haushalt macht. Und so muss Johnny erst einmal lernen, Gefühle überhaupt zuzulassen, zu ihnen zu stehen und notfalls eben auch ohne Worte auszudrücken. Wie das allein das Gesicht eines Menschen verändert, das zeigt Josh O’Connor mit einer geradezu Oscar-würdigen Leistung.

„God’s Own Country“. GB 2017. Regie und Buch Francis Lee. Mit Josh O’Connor, Alec Secareanu, Ian Hart, Gemma Jones. 104 min. Offizieller Kinostart: 26.10.

http://www.gods-own-country.de/

Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=nlnesFnHdQQ

Von Axel Schock

Freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.