Die Berliner Dragqueen Gitti Reinhardt ist eins der Gesichter der aktuellen Kampagne „Selbstbewusst! Einzigartig!“ von ICH WEISS WAS ICH TU. Aufgetranst ist sie als DJane auf vielen Partys anzutreffen. Über ihre Arbeit, ihr Leben und Intoleranz auch innerhalb der Szene sprach sie mit Autor Kriss Rudolph.
0 Uhr 31. Den ersten Song spielt sie schon, während der Dancefloor noch dekoriert wird und den letzten Schliff bekommt. Gitti Reinhardt selbst ist schon längst fertig geschmückt. Ein Outfit, das ein wenig an Zirkus und Burlesque-Revue erinnert – auch als Bardame in einem Western-Saloon würde sie ohne weiteres durchgehen. Für die Verwandlung, wenn aus ihrem Alter Ego Benjamin Gitti wird, nimmt sie sich gerne viel Zeit und lädt Freunde dazu ein. Dann hören sie Musik und glühen mit dem einen oder anderen Sekt vor. Christian und David sind oft schon bei diesem Vorspiel dabei, später im Club sowieso – und weil sie nicht nur Gitti-Fans sind, sondern auch Gentlemen, tragen sie ihr die schweren CD-Koffer.
„Ich bezeichne mich gerne als größten Fan“, schwärmt David, der sie erst seit einem knappen Jahr kennt. „Sie ist nicht so abgehoben wie manch andere Transen, die sich für was Besseres halten.“ Viele Hetero-Frauen, berichtet er, finden Gitti toll, weil sie Stil hat. David begleitet Gitti nicht nur bei ihren Auftritten, die beiden gehen auch oft zusammen aus. Da kann es vorkommen, dass Benjamin kurz vorher feststellt, dass er Lust hat, als Gitti zu gehen.
„Vielleicht habe ich gerade einen neuen tollen Fummel im Ausverkauf gefunden, mit dem will ich mich dann zeigen“, erklärt Gitti. „Praktisch ist es auch, wenn man einen Bad Hair Day hat. Perücke drauf – und ich muss mir darum keinen Kopf mehr machen.“
Sie hat ein Talent dafür, dass Leute sich wohl fühlen
0 Uhr 47. Die ersten Leute tanzen. Manche Gäste begrüßen Gitti persönlich, wenn sie reinkommen, andere bringen ihr einen Schnaps zur DJ-Kanzel. Ab und zu kommt jemand, um sich sein Lieblingslied zu wünschen. Gitti hört geduldig zu, antwortet freundlich – das ist bei DJs nicht selbstverständlich.
„Sie ist so ein positiver, offener Charakter, wahnsinnig freundlich“, sagt Christian, der schon seit sieben Jahren mit Gitti befreundet ist und zu den meisten ihrer Gigs mitkommt, um den Sound zu checken oder ihr zwischendurch etwas zu trinken zu besorgen. „Sie hat ein Talent dafür, dass die Leute sich wohl fühlen.“
1h32. Beim Christopher Street Day ist sie mal doof von der Seite angequatscht worden, erzählt Gitti, als sie eine Pause macht und ihre DJ- Kollegin übernimmt. Ein Mitarbeiter der BSR, der Berliner Stadtreinigung, hat ihr damals nachgerufen: „Was ist das denn für eine Vogelscheuche?“ Gitti erzählt das mit einem Lächeln, nachtragend ist sie nicht. Nicht bei so einer Kleinigkeit, wenn sie überzeugt ist, der Mann hat das nicht böse gemeint.
Als Gitti zur Bar stolziert, drehen sich viele nach ihr um, vor allem die Frauen. Auf High Heels und mit Perücke ist sie nämlich fast 2 Meter groß – aber damit ist sie noch längst nicht die größte Dragqueen in Berlin.
Auch wenn nicht alle mit dem Begriff glücklich sind, Gitti bezeichnet sich selber lieber als Transe. „Dragqueen klingt mir zu geschwollen. Ich bin halt so ‘n Mädchen.“ Zum Mädchensein gehört auch, dass sie selbst kein affektiertes Rumgezicke mag. Dem Image des männerfressenden Sexluders, das ständig „druff und besoffen“ ist, auf dem Klo herumlungert und auf den nächsten Mann wartet – dem wird sie ohnehin nicht gerecht, und das will sie auch gar nicht. Von solchen Schubladen hält sie nicht allzu viel.
Komische Reaktionen eher von Schwulen
Oft wird sie von den Leuten als Frau wahrgenommen, nicht als Transe. Selbst von Leuten, die ihr Alter Ego Benjamin kennen. Da war mal ein Mann in einer Bar, der ihr zuraunte, sie sehe aus wie seine Ex-Freundin. Auf dem Oktoberfest, als Gitti im Dirndl unterwegs war, das ihr eine ansehnliche Oberweite verschaffte, wurde sie von einer Frau gefragt: Sind deine Brüste echt? Einmal bekam sie einen eindeutigen Antrag von einer Lesbe, ein anderes Mal sogar von einer Heterofrau. Wenn es mal komische Reaktionen gibt, wenn man sie meidet und hinter ihrem Rücken tuschelt, dann eher von Schwulen. Aber das ist wohl eher ein Zeichen von Angst und zeugt von deren Unsicherheit mit zur Schau gestellter Weiblichkeit.
„Viele Leute sehen in mir ein Lustobjekt“, sagt Gitti, die nicht zu den Transen gehört, die sich besonders aufreizend anziehen. „Ich zetere auch nicht rum wie andere Kolleginnen, bin nie superbetrunken und immer höflich – eher Everbody’s Darling.“ Sich selber sieht sie eher als Animateur. Denn ihre Kunstfigur lebt ein sexloses Leben. Und das schon seit Beginn, vor zehn Jahren. Von Benjamin kann man das nicht sagen. Ist er in zivil unterwegs, lernt er mehr Männer kennen als Gitti. „Ich bin ja auch als Kerl ein heißer Feger“, sagt sie lachend. Allerdings ist er Single. Gitti steht bei der Partnersuche irgendwie im Weg. Weil sie oft als DJane gebucht wird, ist sie schließlich auch allgegenwärtig. Lernt Benjamin einen netten Mann kennen und erzählt ihm von Gitti, erweist sich seine zweite Identität meist als hinderlich. „Alle finden Transen ganz lustig, aber wenn es der eigene Freund ist, der aufgetranst im Club rumläuft, dann will man das lieber nicht.“
Schubladendenken auch in der Szene
Darum macht sie gerne mit bei der neuen IWWIT-Kampagne Selbstbewusst! Einzigartig! Weil es ein Gegenbild zu dem bietet, was die einschlägigen Magazine zeigen: Schwule, die männlich sind, trainiert und stark. „Das ist doch nicht alles!“, stöhnt die Berliner Dragqueen Gitti. Da sind sie wieder, die Schubladen, die einem das Leben oft schwer machen. So ein Denken ist in der Szene verbreitet, sagt sie. Aber sie wird trotzdem weiter als Gitti Reinhardt das Berliner Nachtleben bereichern – dafür macht es ihr viel zu viel Spaß.
„Aber es ist nicht immer nur heile Welt“, sagt sie. Einmal, in der Silvesternacht, ist ihr jemand aus der U-Bahn nach Hause gefolgt. Sie rannte ins Treppenhaus und konnte rechtzeitig in ihre Wohnung flüchten – dort wartete sie dann weinend, bis der Mann verschwunden war. Opfer von körperlicher Gewalt ist sie nicht geworden, Gitti hatte Glück bislang. Denn sie kennt genug Kolleginnen, die auf dem Nachhauseweg vom Club „eins aufs Maul bekommen“ haben, wie sie sagt. So was passiert leider, auch im ach so verrückten, toleranten Berlin.
2 Uhr 28. Gitti geht zurück an die Turntables. Zwei Frauen beobachten sie interessiert. Vielleicht wird eine von beiden ihr später ihre Nummer zustecken oder sich nach der Echtheit ihrer Brüste erkundigen. Man weiß es nicht. Aber von einem kann man hoffentlich ausgehen. Wenn ihr Feierabend beginnt, wird Gitti sicher nach Hause kommen. Ihre Freunde David und Christian werden schon dafür sorgen, dass ihr nichts passiert.