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„Du warst nicht dabei!“

BBC-Moderator Ray Gosling gewährte einem aidskranken Freund Sterbehilfe. England diskutiert.

BBC-Moderator Ray Gosling tötete in den 80ern seinen aidskranken Freund – auf dessen Wunsch. Jetzt diskutiert England über Sterbehilfe

Während der Frühling sich in Europa langsam vorankämpft, sitzt in Robin Hoods Heimat Nottingham ein alter Mann in einem Pflegeheim und wartet darauf, dass die englische Öffentlichkeit sich darüber einig wird, ob er ein Mörder oder ein Held ist: Ray Gosling.

Der bekannte ehemalige Fernsehmoderator der BBC hat am 16.2. in einer TV-Dokumentation zur besten Sendezeit ein Geständnis abgelegt: Er habe Anfang der 1980er einen Mann getötet, nachdem dieser ihn darum gebeten hatte.

„Er war ein junger Kerl. Er war mein Liebhaber. Und er hatte Aids“, erzählt Gosling dem TV-Team, während er auf einem Friedhof spazieren geht. „Die Ärzte sagten, sie könnten nichts mehr für ihn tun. Und er hatte fürchterliche Schmerzen. Ich bat den behandelnden Arzt: ,Lassen Sie uns für ein paar Minuten allein‘. Er verließ das Zimmer. Ich habe dann ein Kissen genommen und ihn erstickt. Als der Arzt zurückkam, sagte ich einfach: ,Er ist gerade gestorben‘. Mehr wurde dazu nie gesagt.“

Die Behörden wurden noch während der Sendung informiert, Gosling am Vormittag des 17.2. verhaftet und am 18.2. bis zur Eröffnung des Verfahrens wieder auf freien Fuß gesetzt. Gosling gab nach längeren Verhören die Identität seines Freundes preis. „Sonst säße ich heute noch in einer Zelle“, sagt er. Und er betont weiterhin, er und der Getötete hätten sich darauf geeinigt gehabt, den jeweils anderen umzubringen, sollte er unheilbar an den Folgen von Aids erkranken und dazu nicht mehr selbst in der Lage sein.

Die Gesetzgebung des englischen Königreichs betrachtet Tötung auf Verlangen zwar als Verbrechen, das mindestens mit hohen Bewährungsstrafen zu ahnden ist, sieht in Fällen von Familienzugehörigkeit aber Ausnahmen vor. Ob die hier zur Anwendung gebracht werden können, ist zweifelhaft.

Goslings Fall wurde von einem medialen Tsunami begleitet, jede Boulevardzeitung auf den britischen Inseln hatte tagelang kaum ein anderes Thema. Gosling wurde zur Symbolfigur für die Frage, ob Menschen anderen Menschen dabei helfen dürfen zu sterben.

Die Diskussion wird von Politikern, Kirchenvertretern und Juristen in den Medien und von einer sehr viel breiteren Öffentlichkeit im Internet geführt. Allein auf „Facebook“ gibt es zwei Dutzend Gruppen, mit mehreren Tausend Mitgliedern zum Thema. Sie heißen  „I support Ray Gosling“, „Free Ray Gosling, legalize Euthanasia“ oder „Stop harassing Ray Gosling”, aber auch  „Ray Gosling is either insane, a pathological liar or a murderer“.

Neben den bekannten Grundauffassungen zum Thema Sterbehilfe – der freie Wille des Menschen versus  Gottes Allmacht, Leben zu geben und zu nehmen – gibt es hochinteressante und sehr differenzierte Debatten zwischen HIV-Positiven. „Ich finde es verstörend, dass es diese Gruppe gibt und sage als HIV-positiver Mann sehr deutlich: Ich möchte nicht mit einem Kissen erstickt werden“, schreibt ein 33-Jähriger aus London, woraufhin ihm ein 55-jähriger „Charles“ antwortet: „Du warst nicht dabei, Mitte der 80er nicht, und im Krankenzimmer von Ray Goslings Freund schon gar nicht. Für mich ist er ein Held, der den Mut hatte, etwas zu tun, zu dem ich damals  zu feige war.“

Ältere Menschen argumentieren in dieser Diskussion häufiger für Sterbehilfe als jüngere: „Wir brauchen eine Gesetzesänderung“, schreibt die 70-jährige Constanze. „Ich möchte meinen Kindern nicht zumuten, in die Schweiz oder in die Niederlande reisen zu müssen, um meine Leiche abzuholen, sollte ich mich für diesen Weg entscheiden. Ray Gosling, Sie haben meine volle Unterstützung.“

Die Polizei hat bis Mitte April Zeit, ihre Ermittlungen abzuschließen Ob es zu einer Anklage kommt, ist noch unklar. Die britische Öffentlichkeit steht dabei zu einem großen Teil hinter Gosling. „Ich habe keine Ahnung, was mit mir passiert“, sagte Gosling der Nottinghamer „Evening Post“, „aber ich habe wunde Schultern von all den Umarmungen, die mir Leute auf offener Straße zu Teil werden lassen. Und das ist ein gutes Gefühl.“ Paul Schulz

Foto: Channel 4

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