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Leben mit HIV

Sicherheitsgefühl im Arsch?

Der Lusttropfen ist beim Blasen ungefährlich – aber wer glaubt schon, was er weiß?

Im „Präejakulat“ spiegelt sich das ganze Drama um Safer Sex, für Aidshilfe-Berater ist der stete Lusttropfen die Königsdisziplin. Denn wer glaubt schon, was er weiß? Eine Glosse von Holger Wicht

So nett sehen sie aus, bevor sie feucht werden!

Wahrscheinlich ist es noch niemandem aufgefallen, aber das männliche Glied erinnert in gewisser Weise an Gremlins: Wenn es feucht wird, wird’s ernst.

Man muss das vielleicht erklären: Der Film „Gremlins – Kleine Monster“ drehte sich 1984 um hinreißende Kuscheltiere, die sich aber rasch zu bissigen Bestien wandeln konnten. Wenn Sie mit Flüssigkeit in Berührung kamen, nahm das Unheil seinen Lauf.

Nun wird ein Penis bekanntlich nicht bissig, wenn er mit … sagen wir mal … Speichel in Berührung kommt. Sobald aber beim Oralverkehr Flüssigkeit aus dem Penis heraus kommt, zieht sich der Bläser nicht selten erschrocken zurück, denn der Tropfen verheißt Unheil. Das liegt an 30 Jahren HIV-Prävention: „Raus bevor es kommt!“ – diese Botschaft haben die meisten Menschen zutiefst verinnerlicht. Wer Sperma in den Mund bekommt, so haben wir’s gelernt, riskiert eine HIV-Infektion.

Nun kann der Lusttropfen zwar laut Dr. Sommer dann und wann schwanger machen, ist aber kein Sperma. Wissenschaft und Prävention haben für die – wie es so unschön heißt – Vorflüssigkeit von Anfang an eine eindeutige Sondergenehmigung ausgestellt:  Die Viruskonzentration darin reiche für eine HIV-Übertragung beim Oralverkehr nicht aus. Etwas lyrischer formuliert: Von den ersten Frühlingsboten bekommt man keinen Sonnenbrand.

Sperma nee, Lusttropfen okay? Wer hat diese Botschaft je so einfach geschluckt?

So einfach könnte es also sein: Sperma nee, Lusttropfen okay. Aber mal ehrlich, diese  Botschaft wie auch den edlen Tropfen selbst haben die meisten von uns doch nie ohne weiteres geschluckt. Für viele Menschen ist der Lusttropfen ein Liebestöter. Und von Anbeginn bis heute ist er die Königsdisziplin des Beratungsgesprächs. Denn in diesem Tröpfchen Körperflüssigkeit spiegelt sich das ganze Universum von Safer Sex, all das Wissen von Übertragungswahrscheinlichkeiten wie all die Ängste und Eventualitäten, die Menschen keine Ruhe lassen.

... aber dann!

Anders formuliert: Wir wissen, dass nichts passieren kann – aber lässt uns das ruhig blasen?

In der Realität sieht’s doch so aus: Solange wir nix sehen und schmecken, ist alles okay, dann wird uns das bisschen Flüssigkeit nicht umbringen. Sobald der Lusttropfen sich aber in die Wahrnehmung drängt, kann er, so klein er ist, erdrutschartige Sorgen ausschwemmen.

Es geht ja schon damit los, dass es sich nicht immer nur um einen Tropfen handelt; man wird mit sehr verschiedenen Mengen konfrontiert. Und wenn es sich eben mal nicht um einen Lusttropfen, sondern um ein Lustrinnsal oder gar einen Luststrom handelt – ist das nicht vielleicht gerade die Ausnahme von der Safer-Sex-Regel? Summieren sich dann nicht die extrem wenigen Viren pro Mikroliter und überschreiten die gefährliche Grenze?

Ist das überhaupt noch Vorflüssigkeit? Oder nicht vielleicht doch schon Sperma? Es gibt Männer mit viel Vorflüssigkeit und Männer mit spärlichem Sperma. Konsistenzen variieren. Beide Flüssigkeiten kommen kurz nacheinander aus derselben Öffnung. Lusttropfen und Ejakulat – das sind für den Praktiker Begriffe mit geringer Trennschärfe!

Und mal ehrlich: Dass eine „geringe Viruskonzentration“ für eine Infektion nicht ausreicht, das ist doch eh ein arg wackliges Konstrukt. Jetzt hört man auch noch, im Rektum sei der Lusttropfen sehr wohl gefährlich. Da ist doch das Sicherheitsgefühl endgültig im Arsch!

Und überhaupt: Heute Nacht habe ich mir auf die Zunge gebissen, nach dem Abendessen mein Zahnfleisch mit Zahnseide aufgesäbelt und Schleimhäuten ist eh nicht zu trauen. Ist da dem Virus nicht jetzt, in diesem konkreten Fall, doch Tür und Tor geöffnet?

Mit dem Lusttropfen Freundschaft schließen?

Es ist ein Reigen irrationaler Ängste, die der Lusttropfen nährt, und sie sind umso schwerer handhabbar, weil ein paar berechtigte Zweifel mitschwingen. So ist das beim Safer Sex: Während wir nach voller Hingabe streben, rechnen wir heimlich in Wahrscheinlichkeiten – und stets mit dem Schlimmsten. Restrisiken sind in Kauf zu nehmen – schummeln sich aber aufgeblasen in den Vordergrund, weil Angst eine der geschicktesten Illusionistinnen unter der Sonne ist.

Mit Informationen kann man sie nicht immer aus dem Feld schlagen, die Angst, aber immerhin in ihre Grenzen weisen. Zum Glück wissen wir heute, dass selbst die volle Ladung Sperma im Mund im Vergleich zum ungeschützten Analverkehr nur ein geringes Risiko bedeutet. Vielleicht hilft uns das, mit dem Lusttropfen Freundschaft zu schließen?

Wenn nicht, empfehle ich die Beratungsangebote der Deutschen AIDS-Hilfe. Dort kennt man das Thema schon.

Die Wahrheit über den Lusttrofen aus der Forschung