Kategorien
Kultur & Szene Politik & Gesellschaft

„Wir könnten Aids besiegen“

Musiker Elton John hat ein Buch über seine Erfahrungen mit und sein Engagement gegen AIDS geschrieben. Eine Besprechung von Axel Schock.

„Love is the Cure“ von Elton John.

Popmusiker Sir Elton John erzählt in seinem Buch „Love ist the Cure“, wie seine persönlichen Erfahrungen mit Aids sein Leben geprägt und ihn zum Aktivsten gemacht haben. Von Axel Schock

Öffentliches soziales Engagement von Prominenten ist bisweilen eine etwas zweischneidige Angelegenheit. Für manche sind Charity-Einsätze nämlich nichts weiter als eine perfekte Win-Win-Situation. Mit minimalem Aufwand (bei Gala-Empfängen in die Kameras lächeln) gibt’s im Gegenzug Pluspunkte fürs Image, gute Presse und für die Veranstalter größere Medienaufmerksamkeit.

In nicht wenigen Fällen lassen sich Stars ihren Auftritt bei Benefiz-Abenden sogar noch in Form großzügiger „Aufwandsentschädigungen“ honorieren. Bei der einen oder anderen Person des öffentlichen Lebens mag man deshalb die Ernsthaftigkeit des sozialen Engagements durchaus anzweifeln.

Mitte der 80er Jahre, Aids entwickelte sich in rasantem Tempo zu einer kaum greifbaren Bedrohung, schloss sich auch Elton John dem Reigen jener Künstler an, die ein gutes Werk für für die Betroffenen tun wollten. John spendete großzügig Geld, trat bei Aids-Galas auf und nahm mit Dionne Warwick, Stevie Wonder und Gladys Knight eine Benefiz-Single zugunsten der American Foundation for AIDS Research auf.

Mehr noch: Er kümmerte sich über viele Jahre auf sehr vielfältige Weise um den 14-jährigen Ryan White, der wegen seiner HIV-Infektion aus dem Schulunterricht verbannt und in seiner Heimatstadt eine wahre Hexenjagd erleiden musste.

„Ich schäme mich zutiefst, dass ich damals nicht mehr unternahm.“

Elton John tat also bereits einiges mehr, als lediglich mit einem Red-Ribbon am Revers auf roten Teppichen zu kalten Buffets zu marschieren. Und doch urteilt er heute selbstkritisch: „Ich schäme mich zutiefst, dass ich damals nicht mehr unternahm.“ Und weiter:

„Ich verwendete nicht genug Zeit oder Anstrengung darauf, gegen Aids zu kämpfen. Und diejenigen zu unterstützen, die daran erkrankt waren, obwohl ich das leicht hätte tun können und auch hätte tun sollen.“ Stattdessen habe er sich dem Kokain, dem Alkohol und anderen Exzessen gewidmet.

Elton Johns Buch „Love ist the Cure“, das heute parallel in mehreren Sprachen, darunter auch in deutscher Übersetzung erscheint, ist zunächst eine sehr ehrliche, offenherzige und dabei glaubwürdige Abrechnung mit seinem damaligen egozentrischen Lebenswandel, der zwar vielerlei Genuss, aber wenig Verantwortung kannte:

„Ich hatte alles auf der Welt – Reichtum, Ruhm, alles – aber ich bekam einen Tobsuchtsanfall, wenn mir die Vorhänge in meinem Hotelzimmer nicht gefielen. Ich hatte völlig die Bodenhaftung verloren. Es war einfach nur peinlich.“

Hollywood-tauglichen Rührseligkeit

Nicht der Tod seines Musikerfreundes Freddie Mercuy, nicht das Engagement seiner Freundinnen Elizabeth Taylor und Prinzessin Diana – es ist die Begegnung mit dem aidskranken Schüler aus Kokomo, Indiana, die für Elton John die einschneidend wird. So zumindest schildert es John, und man mag ihm bei aller Hollywood-tauglichen Rührseligkeit dennoch glauben schenken.

Elton John hat den Kampf gegen Aids zu seinem Lebensthema gemacht (Foto: David Shankbone)
Elton John hat den Kampf gegen Aids zu seinem Lebensthema gemacht (Foto: David Shankbone)

Erfahren hatte John demnach vom Schicksal des Jungen im Wartezimmer seines Arztes. (Ja, auch Popstars lesen dort die ausgelegten Zeitschriften.) Ryan war durch eine mit HIV-verunreinigte Blutkonserve mit dem Virus infiziert worden. Als dies bekannt wurde, durfte er seine Schule nicht mehr besuchen. Und seine Familie musste heute kaum mehr vorstellbare Schikanen und Demütigungen erleiden. Doch die Familie ging an die Öffentlichkeit, zog mehrfach vor Gericht – und wurde noch schlimmer attackiert.

John nahm Kontakt zur Familie auf, freundete sich mit Ryan an und stand ihm bis zu seinem Tod am 8. April 1990 bei. Vier Monate später verabschiedete der US-Kongress zu Ryans Ehren den noch heute gültigen Ryan White Comprehensive AIDS Resources Emergency Act (CARE), über den bis heute nicht-versicherten und einkommensschwachen Menschen mit HIV und Aids die Behandlung finanziert wird.

„Ich bin nur dank Ryan hier. Er inspirierte mich dazu, mein Leben in Ordnung zu bringen und meine Aids-Stiftung zu gründen.“

Die intensiven Begegnungen mit Ryan hätten entscheidend zu einem Bewusstseinswandel beitragen, schreibt John. Er wollte nicht weiter als „unbeteiligter Zaungast“ die Katastrophe verfolgen. Lediglich seinen Namen für einen guten Zweck hergeben oder ab und zu ein paar Songs auf der Bühne spielen. „Ich wollte meine Ideen und Energie einbringen, und ich wollte meine Zeit opfern.“

1990 begibt er sich in eine Drogenklinik, danach klinkt er sich für ein Jahr aus dem Musikgeschäft aus und arbeitet ehrenamtlich beim Projekt „Open Hand“ in Atlanta. Das Projekt versorgt Aids-Patienten zuhause mit warmen Mahlzeiten. 1992 gründet er schließlich mit der Elton John AIDS Foundation (EJAF) seine eigene Stiftung. Mittlerweile ist sie einer der führenden gemeinnützigen Aids-Organisationen weltweit.
Bis heute wurden rund 275 Millionen US-Dollar aufgebracht und damit weltweit Hunderte Hilfs- und Präventionsprogramme unterstützt.

Elton John weiß um den Wert seines Namens und Promistatus auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten. Er nutzt ihn für seine Stiftung und nun auch für dieses Buch. Man könnte es als Teil einer Selbstinszenierung – der egozentrische Popstar geläutert  zum aufopfernden Wohltäter – abtun. Doch das Konzept dahinter erscheint weitaus durchdachter.

Griffig und verständlich

Elton John erzählt von verschiedenen Hilfsprojekten von Haiti über Thailand und der Ukraine und den  dortigen Begegnungen im Rahmen seiner Stiftungstätigkeit.
In dem er dabei die besonderen Problematiken anhand von Einzelschicksalen herausarbeitet, thematisiert er griffig und verständlich, unterfüttert mit reichlich Fakten, die aktuellen Problemen im Kampf gegen Aids. Vom Verbot des Spritzentauschs, über die Kriminalisierung und Stigmatisierung bis hin zur Preispolitik der Pharmaindustrie und der wachsende Homophobie in vielen Ländern.

„Love is the Cure“ schlägt in diesen 200 Seiten zudem den großen historischen Bogen von den Versäumnissen der US-Gesundheitsbehörden unter der Präsidentschaft von George Bush bis in die Gegenwart. Dabei stellt es einige wichtige Fragen! Wie etwa kann es sein, dass lediglich etwa 14 Prozent der US-Bevölkerung Afroamerikaner sind, sie aber 44 Prozent der Neuinfektionen ausmachen?

Leben retten und dabei Geld verdienen

Die Hersteller von Generika sind für John die stillen Helden in diesem Kampf. Er verlange keineswegs, dass sich gewinnorientierte Firmen in Wohltätigkeitsorganisationen verwandeln. „Wenn sie Leben retten und dabei Geld verdienen können, umso besser“, schreibt John. „Aber wenn sie sich bewusst dafür entscheiden, auf Kosten der Menschen noch mehr Geld zu verdienen, dann sollten sie sich schämen.“

Elton John und sein Lebenspartner David Furnish (l.), der auch als Kurator der Stiftung arbeitet (Foto: EJAF)

Dank Elton Johns Promistatus und seinem sehr persönlichen Zugang zum Thema könnten tatsächlich Menschen sein Buch in die Hand nehmen, die sich sonst  kaum für die akuten Probleme und Debatten im Zusammenhang mit Aids interessiert hätten.
Und vielleicht dient seine gleichermaßen persönliche wie kämpferische Schrift auch  bei den nächsten Gala-Diners als weiterbildende Handreichung an Menschen aus Politik, Wirtschaft und Pharmaindustrie. Passend wäre es allemal.

Elton Johns leicht lesbarer, aber immer auch sehr faktengespickter Rundumschlag mündet in einer simplen, hoffnungsvollen These. Selbst ohne weitere wissenschaftliche Forschungserfolge könnte die Ausbreitung der Seuche eingedämmt werden – durch Kondome, Prävention, gesundheitliche Aufklärung und Nadelaustauschprogramme.

„Solange Aids ein Tabuthema bleibt, wird sich die Seuche weiter ausbreiten.“

Und indem allen betroffenen Menschen die notwendige Behandlung zugänglich gemacht wird. Zusätzliche 5 bis 7 Milliarden jährlich von jetzt an bis 2020 seien dafür notwendig, rechnet Elton John vor. Nur ein Bruchteil dessen, was die US-Bürger im vergangenen Jahr für Vitamine ausgaben oder die großen Wall-Street-Banken an Boni an ihre Manager auszahlten.

Die Kondomfeindlichkeit des Papstes, die Homophobie in den Köpfen ugandischer oder auch ukrainischer Politiker, die Vorurteile und Ängste in den Köpfen vieler Menschen. All dies könne hingegen nur über einen unablässigen Dialog bekämpft werden.

„Wenn wir uns nicht davor fürchten, der Realität ins Auge zu blicken, wachsen unser Wissen und damit auch unser Mitgefühl. Das sind die Mittel, die Aids besiegen können.“

„Der Sieg über Aids erfordert Liebe, und zwar viel Liebe.“
Schreibt Elton John und liefert zum Abschluss dann doch noch eine Kalenderspruchweisheit. Das klingt ein bisschen danach, als ob sie bald zu einer Verszeile in einer Popballade werden könnte. Aber man kann von einem Musikstar, nicht unbedingt erwarten, dass er mal schnell die Lösung für eines der größten globalen Probleme zur Hand hat. Auch wenn er Gründer einer Aids-Stiftung ist.

Sollte er mit seinem Buch die Spendenfreudigkeit verstärken und nicht zuletzt das politische Bewusstsein für die aktuellen Probleme im Kampf gegen Aids schärfen können, hätte John auch schon viel erreicht. Mehr als seine Kollegen, die sich damit begnügen, in Abendrobe über rote Teppiche zu schreiten.

Elton John: „ Love is the Cure. Über das Leben, über den Verlust und wie wir Aids besiegen können“. Aus dem Englischen von Heike Schlatter und Henning Dedekind. Hoffmann und Campe, gebunden, 224 Seiten, 19.99 Euro

Link zur Elton John Aids Foundation