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Der SPIEGEL bedauert zutiefst…

Da wurde sie nun vollzogen: Die hochumstrittene Verleihung der Kompassnadel an das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL. Wie war die Stimmung? Was sagten Preisträger und Laudator zur monatelangen Diskussion um dieses Ereignis? Ein Bericht von Christian Scheuss.

Die umstrittene Verleihung des Community-Preises „Kompassnadel“ vom „Schwulen Netzwerk NRW“ zum CSD in Köln an das Nachrichtenmagazin SPIEGEL und die Reaktionen.

Die Frage hing unausgesprochen über den Köpfen der rund 500 Besucherinnen und Besuchern beim CSD-Empfang von „Aidshilfe NRW“ und „Schwules Netzwerk NRW“ am vergangenen Samstag. Wie wird sich der Stellvertreter der SPIEGEL-Redaktion Markus Verbeet zur massiven Kritik verhalten, die anlässlich der Verleihung des Community-Preises, der Kompassnadel, über ihn hereingebrochen ist? Die Vorwürfe, der SPIEGEL habe sich in Bezug auf die Berichterstattung über HIV und Aids in den Achtziger und Neunziger Jahren eher die Hände schmutzig gemacht denn sich mit Ruhm bekleckert, ist unbestreitbar Fakt. Jederzeit für alle im SPIEGEL Online-Archiv abrufbar.

Die Deutsche AIDS-Hilfe distanzierte sich bereits Ende Januar diesen Jahres deutlich von der Entscheidung des Schwulen Netzwerk NRW, die Kompassnadel an den Spiegel zu vergeben und kündigte an, nicht an der Verleihung teil zu nehmen.

Die spannende Frage am Tag der Verleihung: Wird sich Markus Verbeet entschuldigen, irgendein Versprechen abgeben, als Geste der Versöhnung?

„Es war nicht alles gut, was wir damals geschrieben haben. Es gab Grenzüberschreitungen. Es gab nicht nur zugespitzte Darstellungen, sondern auch verletzende Worte. Manches hätten wir auch damals besser wissen müssen und ich ahne, was für Verletzungen wir hervorgerufen haben. Das bedauere ich. Das bedauere ich sehr!" so Verbeet.

Doch reicht das?

 „Immer diese scheiß klebrige Harmonie-Sauce hier in Köln“, schimpft ein Berliner Besucher, der sich bei den Rauchern vor dem feinen städtischen Veranstaltungsort, dem Gürzenich, einfindet. Es entspinnt eine Diskussion darüber, ob das von Verbeet geäußerte „Bedauern“ denn nun als Entschuldigung gewertet werden kann, oder nicht. Der Aids-Aktivist Marcel Dams, der die Laudatio auf den umstrittenen Preisträger hielt, hatte zuvor in seiner Rede betont, wie wichtig das Leitmedium für ihn während des Coming-outs mit seiner gegenüber homosexuellen Lebenswelten aufgeschlossenen Berichterstattung gewesen sei.

Das war aber in der 2000er Jahren. Die „Schwulenseuchen“-Artikel aus der Zeit der Aids-Krise verurteilt er und sagt: „Ich finde auch, dass es Zeit für eine längst überfällige Entschuldigung ist. Nicht nur hier und heute, sondern am besten auch am Ort des Geschehens — im Blatt.“

Arne Kayser, Landesvorsitzender der Aidshilfe NRW, und damit Mitgastgeber der Veranstaltung, versuchte in seiner Rede, das Zähneknirschen des Dachverbandes bei der Nominierung zu formulieren: „Auch wir sehen die Verleihung ebenso kritisch und verkennen nicht, dass in der Vergangenheit Menschen durch die polarisierende Berichterstattung des SPIEGEL nachhaltig verletzt, viele sogar traumatisiert wurden“. Aber er gibt auch resigniert zu, dass man einen Preisträger, den man eingeladen hat, nicht nachträglich noch ein paar neue Vertragsbedingungen aufdrücken kann: „Die Redakteure, die die angesprochenen Artikel seinerzeit verantwortet haben, arbeiten heute nicht mehr beim SPIEGEL. Sie sind nicht hier und so können wir heute auch keine Entschuldigung hören.“

Zum 13. Mal wurde der Preis vergeben, der jeweils an eine öffentlich wirksame Person oder Organisation mit Strahlkraft. Die „Kompassnadel“ geht zugleich jeweils an eine Person oder Organisation, die ehrenamtlich tätig ist. Gerade bei den VIPs ist die Abwägung, die jeweils zum Jahreswechsel erfolgt, schwierig. Zudem muss die Auswahl gut begründet sein, sonst beginnt der Stress. 2011, bei Hannelore, war der schon groß. Hannelore Kraft (SPD), Ministerpräsidentin von NRW, war gerade mal wenige Monate im Amt, da wurde sie bereits als Kompassnadel-Kandidatin verkündet. Vorab in freudiger Erwartung vergeben, dass sie ihre Wahlversprechen der rechtlichen Gleichstellung auf Landesebene auch wahrmache. Kritiker schmeckten diese Vorschusslorbeeren für noch nicht geleistete Arbeit nicht.

In diesem Jahr war der Sturm der Entrüstung aus gutem Grund groß wie nie. Martin Dannecker, der Vorjahrespreisträger, verweigerte sich dem Ritual, die schwere Kompassnadel-Skulptur an den Neuen zu überreichen. Er blieb daheim. Die unter dem Dach der Aidshilfe NRW arbeitende  Landesarbeitsgemeinschaft „Positiv Handeln“ entschied sich gegen einen Boykott. Sie produzierte stattdessen schicke orange Buttons mit schwarzer Trauerschleife, ausgehändigt an die Gäste als stilles Zeichen des Protestes.

Kein Problem gibt es in der Regel bei den Nominierungen aus der Community. Ihre praktische ehrenamtliche Arbeit ist unverzichtbar. Und alle symbolische Unterstützung von Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, wäre nutzlos, gäbe es nicht die vielen Engagierten in den Schwulengruppen vor Ort. Darin sind sich alle einig. Da aber der Promi-Glamour schnell den Stellenwert des anderen Part dieses Preises in den Schatten zu stellen droht, vor allem, wenn es darüber zum Eklat kommt, sei hier gesagt: Das Projekt „queerblick“, das 2009 in Dortmund startete, und seitdem schwule und lesbische Jugendliche dazu einlädt, sich über das Medium Video in eigenproduzierten Clips mit der eigenen Lebenswelt zu beschäftigen, ist ein mehr als verdienter Preisträger. Falk Steinborn, der Initiator von „queerblick“ nahm den Preis stellvertretend für seine Gruppe entgegen.  

„Ich bedauere zutiefst“. War’s das? Die rauchenden Diskutanten vor dem Gürzenich befürchten es. Denn der SPIEGEL-Chef hat streckenweise relativiert („Es war nicht alles gut“). Vor allem aber hat er konkret nichts weiter versprochen. Möglichkeiten hätte er dazu gehabt. Zum Beispiel eine wissenschaftlich begleitete Aufarbeitung der damaligen Berichterstattung. Eine Schulung der Redaktion mit tatkräftiger Unterstützung des Bundesverbandes lesbisch-schwuler JournalistInnen (BLSJ) zur Vermeidung der auch heute noch vorkommenden diskriminierenden Formulierungen in Veröffentlichungen. Oder eine vom Verlag unterstützte Kampagne gegen Stigmatisierung von Menschen mit HIV / Aids.

Es müsste etwas folgen, so ist man sich in dem kleinen Raucherkreis einig. Sonst wäre die Versöhnungs-Absicht des Schwulen Netzwerks ins Leere gelaufen.

Nachtrag: Auf SPIEGEL Online findet sich am Montagnachmittag (8. Juli) kein Hinweis auf die zwei Tage zuvor stattgefundene Preisverleihung an die Redaktion. Ob es im nächsten gedruckten Heft erwähnt wird, erfahren wir zum Erscheinungstermin 15. Juli…

(Christian Scheuß)

https://www.csd-empfang-nrw.de