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Politik & Gesellschaft

„Nicht viel überlegt, sondern einfach gemacht“

Nico Woche (33) arbeitet freiberuflich als Drehbuchautor. Seit Ende 2010 engagiert er sich beim „Mobilen Salon“, einem Angebot der Schwulenberatung Berlin. Einmal in der Woche besucht er Rainer* und leistet dem 73-Jährigen Gesellschaft: Die beiden essen gemeinsam zu Mittag, gehen spazieren oder unterhalten sich einfach nur so.

Begleitdienst für Senioren mit Nico Woche (Foto: Guido Woller )
Begleitdienst für Senioren mit Nico Woche (Foto: Guido Woller )

Nico Woche (33) arbeitet freiberuflich als Drehbuchautor. Seit Ende 2010 engagiert er sich beim „Mobilen Salon“, einem Angebot der Schwulenberatung Berlin.

Der kostenlose Besuchsdienst soll verhindern, dass schwule Senioren vereinsamen. Ein Interview über schwule Gemeinsamkeiten in allen Generationen und die Motive für ein Ehrenamt.

Nico, du engagierst dich bei einem „Besuchsdienst für ältere schwule Männer“ – was macht man da so?

Die Vereinbarung ist: Ich treffe mich einmal in der Woche mit Rainer*. Manchmal gehen wir was Essen, aber oft laufen wir einfach nur so durch Berlin und unterhalten uns.

Über was sprecht ihr dann?

Rainer geht gern ins Theater. Also geht es oft mit Kultur los, und dann kommen wir ins Reden. Manchmal besprechen wir auch sehr Persönliches, was eben gerade so anliegt.

Klingt nach Smalltalk. Die Kultur ist ja oft auch nur ein Spiel. Erst mal unterhalten wir uns über ein Theaterstück, das Rainer gesehen hat. Man kann nicht sofort darüber sprechen, was einen innerlich bewegt. Das hielte man ja gar nicht aus! Oft sind die persönlichen Sachen auch nur Beiwerk, Inspirationen, die man gar nicht bewusst wahrnimmt. Allein schon mit einem älteren Menschen zusammen zu sein, gibt mir eine andere Zeitperspektive auf mein Leben. Das ist schwer in Worte zu fassen. Aber ich denke mir dann: So alt wirst du auch mal, und zwar bald. Das hilft mir beim Nachdenken, wie ich später mal leben will.

Ihr seht euch mittlerweile seit fast drei Jahren. Wie würdest du euer Verhältnis beschreiben? Seid ihr Bekannte? Salon-kollegen?

Inzwischen sind wir längst Freunde geworden. Wir treffen uns circa einmal pro Woche. Manchmal öfter, manchmal seltener, aber immer freiwillig. (lacht)

Zwischen dir und Rainer liegen fast vier Jahrzehnte. Wo fallen euch Unterschiede auf?

So groß sind die Unterschiede gar nicht. Wir kommen immer wieder drauf, dass vieles in unseren Leben sogar sehr ähnlich läuft. Rainer hat vielleicht andere Hosen an als ich, aber beim Einkaufen kann er mir mehr Tipps geben als ich ihm. (lacht) Und ob man sich wie heute im Internet verabredet oder wie früher in der Bar – am Ende macht man doch das Gleiche.

Aber als schwuler Mann lebt es sich heute leichter, oder? Als Rainer so alt war wie du, war Homosexualität gerade erst legalisiert.

Das schon. Aber im Alltag hat sich so viel nicht verändert. Heute ist es leichter, sich zu outen und trotzdem erfolgreich zu sein. Aber für die Schule gilt das schon nicht mehr. Und die neue Freiheit macht ja auch Druck: Warum outest du dich nicht? Warum sitzt du noch so alleine rum? Es ist doch so einfach, jemanden zu finden! Ich kann mir vorstellen, dass ein Coming-out früher ein ganz anderes Zugehörigkeitsgefühl geschaffen hat. Heute interessiert das keine Sau mehr. Du musst alleine damit klarkommen.

Warum besuchst du einen älteren schwulen Herrn? Du könntest ja zum Beispiel auch Lesepate einer Grundschülerin sein?

Ich habe eine Anzeige vom Mobilen Salon in der Siegessäule gesehen. Manchmal hat man ja so ein Gefühl: Da musst du dich jetzt melden! Ich habe nicht viel überlegt, sondern es einfach gemacht. Bei uns ging das dann recht schnell. Rainer war mein erster Salonpartner und ist es bis heute geblieben. Ich finde es schöner, es bei dieser Erklärung zu belassen. Wenn ich jetzt meine Motive durchleuchten wollte, würde ich nur Gründe erfinden. Es funktioniert ja oft so mit Sachen: Man macht sie einfach. Da sollte man hinterher nicht so tun, als hätte es genaue Gründe dafür gegeben.

www.siegessaeule.de

Du hast offenbar keine Berührungsängste gegenüber älteren Menschen.

Ich habe schon neben dem Studium soziale Sachen gemacht, aber damals für Geld. Ich habe als Nachtwache in einer Demenz-WG in Berlin gearbeitet und in Norwegen als ambulanter Altenpfleger. Auch dort war das nicht so sehr Pflege, sondern schon an der Grenze zum Besuchsdienst: Ich habe regelmäßig vorbeigeschaut, Kaffee gekocht und Medikamente kontrolliert. Auch meinen Zivildienst habe ich in Norwegen gemacht, in einer Lebens- und Arbeitsgemeinschaft für geistig behinderte Menschen.

Woher kommt dein Interesse fürs Soziale?

Beim Zivildienst ist das einfach so passiert. Später war das auch eine praktische Sache: Man hat ja dann Berufserfahrung und bekommt die entsprechenden Jobs. Mir hat das nichts ausgemacht. Es war sogar ein schöner Ausgleich zu meiner Drehbucharbeit, wo ich viele Stunden alleine hinter dem Computer verbringe. Auf der anderen Seite ist so ein Ehrenamt ja nicht nur ein großes Opfer, sondern man tut sich auch selbst etwas Gutes. Dinge zu tun, weil man sie für sinnvoll hält und nicht, weil man dafür bezahlt wird, ist nicht nur sinnstiftend, sondern gibt einem auf merkwürdige Art auch ein Gefühl der Freiheit.

Beim Mobilen Salon geht es auch darum, die schwule Community zu fördern. Seid ihr beide, Rainer und du, Pioniere der alternden schwulen Gesellschaft?

Das sind ja nicht nur wir beide. Auch viele andere engagieren sich. Das ist das Gute an der Schwulenberatung Berlin: Sie bietet einen Treffpunkt für die vielen Leute, die hier in Berlin in ihren Wohnungen nebeneinander her leben. Der Mobile Salon ist ja nur ein Anfang, eine Art Kennenlern-Portal. Von da ab sollte man das dann wieder selber organisieren. Ich bin ja nicht angestellt bei der Schwulenberatung. Wenn mir das keinen Spaß mehr macht, kann ich jederzeit raus. Das find ich gut.

*Name geändert

Besuchsdienste für schwule Senioren in Deutschland:

Berlin: Mobiler Salon

Schwulenberatung Berlin, Ansprechpartner: Oliver Sechting (o.sechting@schwulenberatungberlin.de) und Marco Pulver (m.pulver@schwulenberatungberlin.de), Telefon: (030) 23 36 90 70

http://www.schwulenberatungberlin.de/

Frankfurt am Main: Rosa Paten

Aidshilfe Frankfurt, Ansprechpartner: Norbert Dräger (norbert.draeger@frankfurt.aidshilfe.de), Telefon: (069) 13 38 79 30

http://www.frankfurt-aidshilfe.de/content/rosa-paten

München: Das Patenprojekt

SUB München, Ansprechpartner: Ulrich Fuchshuber, Telefon: (089) 856 34 64 24

https://www.subonline.org/

Von Philip Eicker

Arbeitet freiberuflich als Autor und Magazinredakteur, unter anderem für die Deutsche Aidshilfe, das Erzbistum Berlin und das queere Stadtmagazin Siegessaeule.