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Erst seit 12 Jahren nicht mehr „sittenwidrig“ – Der Beruf des Sexarbeiters

Das Prostitutionsgesetz hat nicht nur bei Strichern und Escorts zu mehr Absicherung und Selbstbewusstsein geführt. Dennoch ist es in die Kritik geraten. Von Axel Schock

Auch wenn diese drei schlichten Paragrafen erst nach langem und zähen politischen Ringen formuliert wurden, ihre Verabschiedung war nicht mehr und nicht weniger als ein gesellschaftlicher Meilenstein: Seit dem 2002 gilt in Deutschland die Prostitution nicht mehr als „sittenwidrig“. Wer sexuelle Handlung gegen vorab vereinbartes Entgelt anbietet, macht sich damit nicht mehr strafbar, sondern kann seinen Lohn sogar notfalls gerichtlich einklagen. Mehr noch: Prostitution ist nicht mehr nur das sprichwörtlich „älteste Gewerbe der Welt“, sondern nunmehr auch (fast) ein Beruf wie jeder andere auch. Wer will, kann ihm mittlerweile nämlich auch ganz offiziell nachgehen: sozialversichert und mit Steuernum mer.

Wenn Tom die Steuer macht, gibt er auch Sexspielzeug und Gleitgel als berufsbedingte Ausgaben an. (Foto: Fotolia)
Wenn Tom die Steuer macht, gibt er auch Sexspielzeug und Gleitgel als berufsbedingte Ausgaben an. (Foto: Fotolia)

So wie beispielsweise Tom. Der 35-Jährige ist schon fast zehn Jahre als Escort tätig. Anfangs, sagt der gelernte Großhandelskaufmann, war es nur eine Notlösung. „Mein Beruf war eine Sackgasse, keine zehn Pferde hätten mich wieder zurück in ein Büro gebracht. Mit Sex schnelles und gutes Geld zu verdienen war zunächst ziemlich aufregend. Und steuerfrei dazu“ sagt Tom und lacht. Doch irgendwann kam der Punkt, als bei dem Aussteiger und Abenteurer dann doch die bodenständige süddeutsche Ader durchschlug. Auf Dauer ohne reguläre Krankenversicherung und gesetzliche Altersvorsorge dazustehen, war für Tom keine beruhigende Perspektive.
Durch die Möglichkeiten des Prostitutionsgesetzes gehört Tom inzwischen zum Heer der Freiberufler. Während andere als Masseure, Journalisten oder IT-Techniker ihre Dienste anbieten, liefert Tom eben Sex. Auf Wunsch frei Haus oder auch in seinem eigens dafür eingerichteten Studio. Dass er bei seiner Einkommensteuererklärung neben der Miete für das Apartment die Ausgaben für einschlägige Werbeanzeigen in Stadtmagazinen aber auch für Sexspielzeug und Gleitgel als berufsbedingte Ausgaben angibt, daran hat sich seine zuständige Sachbearbeiterin beim Finanzamt schon gewöhnt.
Wie jeder andere Selbstständige muss Tom nun sehen, dass sein Laden läuft und der Umsatz stimmt. Bundesweit einmalig berät das Berliner Projekt „querstrich“ Callboys, die ganz legal und bewusst als Escort arbeiten wollen.
Im Vergleich zu weiblichen Prostituierten gehen vergleichsweise wenige Männer diesen Weg. Für die meisten von ihnen ist die Sexarbeit eher ein gelegentlicher Zuverdienst; nur die wenigsten finanzieren sich ausschließlich darüber – und nur einige tatsächlich auch über einen längeren Zeitraum hinweg. Der Großteil der Kontakte läuft heute übers Internet, sagt Diplom-Sozialpädagoge Ralf Rötten von „querstrich“. Und die Konkurrenz ist so groß wie nie. Bei GayRomeo bieten allein in München über 1.000 Escorts ihre Dienste

Mit Anzeigen kann man als freiberuflicher Escort Kunden gewinnen. (Foto: privat)
Mit Anzeigen kann man als freiberuflicher Escort Kunden gewinnen. (Foto: privat)

an, in der Hauptstadt sind es sogar rund 1.800.

Auch deshalb hat die unlängst unter anderem durch Alice Schwarzer erneut angestoßene Debatte um das Prostitutionsgesetz in der schwulen Szene kaum für Aufregung gesorgt. Die Kritik: das Gesetz leiste der Zwangsprostitution und dem Menschenhandel Vorschub, weil nun auch Bordelle ganz legal betrieben werden können und die Behörden daher kaum mehr Kontrollmöglichkeiten hätten.
CDU/CSU und SPD haben ihn ihrem Koalitionsvertrag nun eine „umfassende Überarbeitung“ des Prostituiertengesetzes angekündigt, um damit besser gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution vorgehen zu können. Aktivisten wie Stephanie Klee halten davon wenig. „Ausbeutung, Gewalt und Zwang und natürlich auch Menschenhandel sind Straftatbestände, die im Rahmen der bestehenden Gesetze verfolgt gehören“, sagt die Mitbegründerin des Bundesverband erotische und sexuelle Dienstleitungen e.V. „Die Opfer muss man schützen und ihnen helfen. Aber indem man alles in einen Topf wirft, drückt man sich um die Strafverfolgung und auch um den Opferschutz.“ Die Folge: alle Menschen, die sich im Berufsfeld Prostitution bewegen, Kunden wie Anbieter, stehen wieder unter Generalverdacht.

Fälle von Menschenhandel und Zwangsprostitution landen in Köln in der Abteilung 26 der Kriminalpolizei. „Im Bereich der männlichen Prostitution haben wir jedoch keinerlei Erfahrungswerte“, sagt deren Leiter Hubert Derichs. Auch seine Hamburger und Berliner Kollegen können auf Nachfrage von keinen Fällen berichten. Wenn Männer anschaffen gehen, so der gemeinsame Tenor, dann geschieht dies zwar häufig auch aus einer sozialen Notsituation heraus, aber fast ausnahmslos ohne Zwang. „Zuhälterei ist ein Phänomen, das wir aus der Schwulenszene eigentlich nicht kennen“, sagt Derichs, „aber ein Dunkelfeld ist freilich nie ganz auszuschließen.“ So tauchen immer wieder Gerüchte über Minderjährige auf, die zu zahlungskräftigen Freiern auch in Deutschland verschleppt werden. Dass es nicht nur Gerüchte sind, weiß Helmut Wanner vom Berliner Stricherprojekt Subway, dem einige dieser Jungs, inzwischen erwachsene junge Männer, von ihrem Schicksal berichteten.

Auch wenn Zwangsprostitution unter Strichern und Freiern eine sehr rare Ausnahme darstellen, und nur wenige die Sexarbeit ganz offiziell zu ihrem Beruf machen wollen, hat das Prostitutionsgesetz für alle dennoch einen nachhaltigen Effekt: Weil ihre Tätigkeit nunmehr ganz offiziell anerkannt ist, können sie ihrem Job viel selbstbewusster und auch offener nachgehen. Wo früher ein Freier den Sexlohn folgenlos prellen konnte, haben Prostituierte nun die Möglichkeit, den zahlungsunwilligen Kunden zu verklagen. Auch wenn davon bislang nur wenige Gebrauch gemacht haben: Laut einer Umfrage des Arbeitskreises der deutschsprachigen Stricherprojekte sind fast 70% der befragten Männer grundsätzlich dazu bereit und damit übrigens deutlich mehr als ihre Kolleginnen.

Von Axel Schock

Freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.