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„Tunten, Spinner und Positive zwecklos“

HIV-Positive sind in der Schwulenszene keineswegs vor Ablehnungen sicher. Grund dafür ist nicht nur die Angst vor einer Infektion.

HIV-Positive sind in der Schwulenszene keineswegs vor Ablehnungen sicher. Grund dafür ist nicht nur die Angst vor einer Infektion.

Eben noch sah alles nach einem geilen, lustvollen Date aus. Fotos und Komplimente waren ausgetauscht, die Vorlieben abgestimmt und man hatte sich mit Dirty Talk schon ein wenig in Stimmung gebracht.

Mit einer kleinen Nebenbemerkung hat sich Marco dann aber um den Spaß gebracht. Dass mit ihm nur Safer Sex zu haben ist, steht klar in seinem PlanetRomeo-Profil.

HIV-positiv-Bild
Wer hat Angst vor’m positiven Mann?

Dass er dies beim Chat aber sicherheitshalber noch einmal erwähnte, ließ seinen Datepartner hellhörig werden: „Wieso, bist du etwa HIV-positiv????

 „Ich konnte aus diesem Satz förmlich heraushören, wie er die Fragezeichen panisch in die Tastatur gehackt hat“, erzählt Marco. Noch während er seine Antwort eintippte – „Ist das für dich ein Problem?“ –, rauschte auch schon die nächste Message ein: „Ihr kranken Virenschleudern! Man sollte euch hier allen ein Warnschild verpassen.“

Es wird niemanden wundern, dass aus der geilen Nacht nichts wurde. Gut zwei Monate liegt das Ganze zurück, aber wenn Marco jetzt davon erzählt, schwankt er immer noch zwischen Wut und Kränkung. „Ich hab ja schon viel Dummheit beim Online-Cruisen und auch sonst in der Szene erlebt, aber das ging mir echt an die Nieren.“

Dass Ben vergleichbare Erlebnisse bislang erspart blieben, hat einen einfachen Grund: „Ich bin nach meinem Testergebnis vor eineinhalb Jahren solchen Gesprächen aus dem Weg gegangen, weil ich wusste, dass die nicht immer angenehm sind.“ Nun aber hat ihn ausgerechnet ein guter Freund gegenüber einem Kumpel, mit dem ein Dreier geplant war, als HIV-positiv geoutet. „Daraufhin hatte ich mit seinem Kumpel ein ziemlich anstrengendes Telefonat. Er redete mir ins Gewissen, dass ich mich gefälligst immer outen müsse. Der Typ hat gar nicht gemerkt, dass er mich behandelt wie einen Leprakranken im Mittelalter.“

Was Ben dabei besonders ärgerte: „Der war intelligent genug, um immer wieder vorauszuschicken, dass er jetzt nicht doof oder ablehnend klingen wolle und er mich grundsätzlich ja möge. Was er sich aber nicht auszusprechen traute war, dass es ihm einfach nicht geheuer ist, wissentlich mit einem Positiven ins Bett zu gehen, obwohl wir Kondome nehmen wollten. Solange ihn aber seine Sexpartner im Glauben lassen, sie seien negativ, steht einem Sexdate für ihn nichts im Wege.“

Ziemlich paradox findet dies Ben: „Wir machen ja gerade deshalb Safer Sex, weil wir wissen, dass der andere das Virus hat oder wir uns eben nicht sicher sein können, ob oder ob nicht.“ Mit logischen Argumenten allerdings kommt man da nicht immer weiter, wie Ben bei diesem Gespräch feststellen musste.

Tim hat aufgrund seines Positivseins noch keine Ausgrenzung oder Diskriminierung durch andere Schwule erlebt. (Foto: privat)Dass solch irrationale Ängste vor einer HIV-Übertragung auch unter Schwulen und bisexuellen Männern stark verbreitet sind, ist spätestens seit einer ICH WEISS WAS ICH TU-Umfrage aus dem Jahr 2010 nicht mehr nur ein subjektiver Eindruck, sondern durch Zahlen belegt. Jeder fünfte Teilnehmer dieser Befragung gab an, einen HIV-Positiven nicht auf den Mund küssen zu wollen, weitere 20 Prozent waren sich unsicher. Das Ergebnis hat auch Jochen Drewes erstaunt. „Ich bin überzeugt, dass diese Männer wissen, dass sie sich durch Küssen nicht mit HIV infizieren können“, sagt der Berliner Gesundheitswissenschaftler.

Zum anderen gab ein Drittel der Befragten an, sie würden sich schämen, wenn sie sich mit HIV infizieren sollten. „Schuld und Scham, das sind dann auch genau die Gefühle, mit denen viele Positive kämpfen“, sagt Drewes. „‚Wer sich heute noch infiziert, ist selber schuld, rücksichtslos oder unvernünftig‘ – diese Haltung sitzt in manchen Köpfen ziemlich fest.“

Kampagnenteammitglied von ICH WEISS WAS ICH Tim dagegen glaubt, die Frage danach, wie man sich infiziert hat, sei heute nicht mehr so moralisch behaftet. Ausgrenzung und Diskriminierung durch andere Schwule hat Tim aufgrund seines Positivseins nicht erlebt. Wahrscheinlich, weil er so offen mit seiner Infektion umgeht, glaubt er. Er hat aber eine Vermutung, warum einige Schwule Positive so vehement ablehnen: „Sie haben Angst davor, sich mit ihren sexuellen Phantasien und ihrem Wunsch nach kondomlosem Sex auseinanderzusetzen. Schließlich haben wir Sex ohne Kondom sehr lange stigmatisiert, nicht ohne Grund… Und manchen fällt es offenbar nun sehr schwer zu akzeptieren, dass es mittlerweile auch andere Möglichkeiten wie den Schutz durch Therapie gibt.“

Die Nichtinfektiosität gut therapierter HIV-Positiver ist in weiten Teilen der Szene noch nicht angekommen, findet Engelbert. (Foto: privat)Tim vermutet bei den Negativen und Ungetesteten, die Positive ablehnen, die Angst davor, dass ein Damm brechen könnten, wenn sie einmal die Freiheit kondomlosem, aber trotzdem durch die Therapie geschützten Sex mit einem nicht mehr infektiösen Partner erleben würden.

Doch die Message von der Nichtinfektiosität gut therapierter HIV-Positiver ist in weiten Teilen der Szene noch gar nicht angekommen, so der Eindruck von Engelbert, der in der Münchner AIDS-Hilfe aktiv ist. „Wenn ich als Positiver eine Rückweisung erlebe, geschieht das unabhängig von meinem Therapiestatus. Eine Nachfrage, ob ich denn Medikamente nehme oder nicht, kommt dann in der Regel gar nicht mehr.“

Marco ist sich dennoch sicher, dass Bewegung in die Köpfe kommt. „Diese paranoide Angst vor Positiven wird desto schneller verschwinden, je offener und selbstbewusster wir werden und das Wissen um die Schutzwirkung der Medikamente verbreiten.“

Den verbalen Faustschlag beim Online-Chat hat er inzwischen weggesteckt. „Eigentlich bin ich froh, dass der Typ sich rechtzeitig selbst disqualifiziert hat und ich nicht mit ihm in der Kiste gelandet bin“, sagt Marco. „Sex mit Blödmännern geht einfach gar nicht. Was das angeht, bin ich sogar stolz auf mein diskriminierendes Arschlochverhalten.

Von Kriss Rudolph

Autor & Journalist, freie Mitarbeit u.a. für IWWIT-Blog und t-online.de, aktuell Chefredakteur MANNSCHAFT Magazin (Deutschland) und Online-Chef MANNSCHAFT.com, früher Chefredakteur der Zeitschrift MÄNNER (2015-2017)