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„Sturmland“: Fußball, Landflucht und Homophobie

Das Filmdrama „Sturmland“ erzählt zwar auch von einer Liebe unter Fußballern, vor allem aber von den Schwierigkeiten schwulen Lebens im konservativ-homophoben Ungarn.

Das Filmdrama „Sturmland“ erzählt zwar auch von einer Liebe unter Fußballern, vor allem aber von den Schwierigkeiten schwulen Lebens im konservativ-homophoben Ungarn. Von Axel Schock.

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‚Sturmland‘ in erster Linie eine Coming-out-Geschichte in einer zutiefst schwulenfeindlichen Atmosphäre. (Foto: Salzgeber Medien)

In Szabi steckt ein künftiger Fußballstar. Da ist sich nicht nur sein Vater, selbst ehemals Profikicker, sondern auch der Trainer des Nachwuchstalents sicher. Auch der Scout einer Erstligamannschaft hat bereits Szabi Potential erkannt. Doch Szabi schmeißt hin. Nach einem verpatzten Spiel mit seiner deutschen Mannschaft haut Szabi einfach ab – zurück in seine ungarische Heimat, wo er sich in dem heruntergekommenen Haus seiner verstorbenen Großeltern verschanzt.

In Deutschland zurück lässt er nicht nur die Chance auf eine mögliche Karriere, sondern auch seinen Teamkollegen und besten Kumpel Bernard (Sebastian Urzendowsky) zurück, mit dem er sich bei einem Streit in der Umkleide überworfen hat.

Handgreiflichkeiten unter der Dusche

Was genau diese Handgreiflichkeiten unter der Dusche ausgelöst haben, mag den Mannschaftskameraden vielleicht verborgen geblieben, dem aufmerksamen Zuschauer aber liefert der ungarische Regisseur Ádám Császi unverkennbare Signale dafür, was Szabi zu dieser Flucht getrieben hat.
Es sind nicht nur der Leistungsdruck sowie die Angst, die hohen Erwartungen womöglich nicht erfüllen zu können. Es ist die testosterongeschwängerte aggressive Machogesellschaft, die Szabi nicht mehr erträgt – wie auch die Angst, die ihn umtreibt. Die Angst, dass sie durch einen Blick, eine Gesten einen Satz von ihm plötzlich erkennen könnte, dass er keiner von ihnen ist – sondern auf Männer steht.

Auch wenn sich Császis Erstlingsfilm so anlässt: „Sturmland“ ist kein Drama zum medienwirksamen Tabuthema Nummer 1 – schwule Profi-Fußballer –, sondern in erster Linie die Geschichte eines Coming-out in einer zutiefst schwulenfeindlichen Atmosphäre.

Landlust-Lebenstraum

Szabi und Áron werden zu heimlichen Geliebten. Denn auf dem abgelegene Gehöft in der ungarischen Provinz, auf das sich Szabi wie ein Einsiedler zurückzieht und herzurichten beginnt, findet er in Áron (Ádám Varga) zunächst einen tatkräftigen Helfer – und nach einer zaghaft-unsicheren Phase der Annäherung – einen heimlichen Geliebten.
Für einen Moment erleben die beiden jungen Männer eine Art schwulen Landlust-Lebenstraum. Császi inszeniert ihn in sommerhellen und poetischen, mal mit subtiler, mal ziemlich direkter Homoerotik aufgeladenen Bildern. Da werden Bienen gezüchtet und Honig geerntet. Beim Dachdecken rinnt der Schweiß über die nackten Oberkörper, und abends fallen die Leiber begierig übereinander her.

Doch das Glück ist labil, das Verhältnis der beiden unsicher. Was sie voneinander wollen, wünschen, welche Gefühle sie miteinander verbinden, für all das haben sie keine Worte. Oder wagen es nicht auszusprechen. Dafür reden umso mehr die anderen über sie. Szabis pflegebedürftige Mutter, um die sich ihr Szabi aufopferungsvoll kümmert, erahnt was zwischen den beiden Männern vorgeht und denunziert ihn.

Das Idyll ist aber nicht nur durch die Anfeindungen und Ressentiments der Dorfbevölkerung in Gefahr, sondern auch durch einen überraschenden Gast. Bernard ist eigens aus Deutschland angereist, um Szabi seine Gefühle für ihn zu offenbaren.

Eine traumwandlerische Ménage à trois

Bernard kommt extra aus Deutschland anreist, um Szabi seine Gefühle für ihn zu offenbaren. (Foto: Salzgeber Medien)Je weiter die Handlung voranschreitet, desto treffender erweist sich der Titel des Filmes. „Sturmland“ schwelgt nicht nur in malerisch schönen Sommer- und Landschaftsszenerien, es brausen auch hochdramatisch heftige Emotionen hindurch: Hass und Gewalt, Eifersucht und zarte Liebesgefühle.

Zugegeben, Császi hat ziemlich viel in diesen Film gepackt, vielleicht sogar etwas zu viel. Selbst eine traumwandlerische Ménage à trois spendiert er den Zuschauern. Und freilich: es gibt schon ziemlich viele andere, vielleicht auch spannendere, überraschendere Coming-out-Filme. Doch man kann, man darf „Sturmland“ sich nicht anschauen, ohne sich immer bewusst zu machen, in welchem Land er produziert wurde! Er in einem Ungarn entstand, in dem seit vier Jahren unter der Ägide der national-konservativen Fidesz-Partei und Viktor Orbán nicht nur christlich-nationale Töne vorherrschen. Sondern auch offen antisemitisch und homophobe Strömungen staatlicherseits zumindest toleriert, wenn nicht sogar gefördert werden.

Überraschend – verstörend

Ein Ungarn, in dem 2013 durch eine Verfassungsänderung der Schutz der Familie ausdrücklich auf heterosexuelle Paare beschränkt wurde und bei den Gay Pride-Demonstrationen immer wieder mit gewaltsamen Übergriffen gerechnet werden muss. Und ein Land, in dem der wichtigsten Kulturfunktionäre der Regierung offen zum Kampf gegen die „Lobby der Schwuchteln“ aufrufen darf.

Wer sich all dies vor Augen hält, wird „Sturmland“ noch einmal mit ganz anderen Augen sehen. Und vielleicht auch das überraschende, verstörende, weil so wenig zeitgemäß erscheinende Ende differenzierter bewerten.

“Sturmland” (Viharsarok/Land of Storms). Ungarn/Deutschland 2014. Regie Ádám Csász. Mit András Sütö, Ádám Varga, Sebastian Urzendowsky. 105 Minuten, deutsch-ungarische Originalfassung mit Untertiteln.

Trailer

„Sturmland“ läuft im Rahmen der Gay Film Nacht im November in diesen Kinos. Und nicht nur das: Vor dem Spielfilm wird der Kurzfilm von ICH WEISS WAS ICH TU mit Barbie Breakout über Ausgrenzungserfahrungen in der Szene auf der großen Leinwand zu sehen sein.

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Von Axel Schock

Freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.