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LGBT-Aktivismus in der Karibik: „Ich bin ein Kämpfer“

Nach einem Bericht von Human Rights Watch kam es zwischen 2009 und 2012 in Jamaica zu 231 Gewalttaten gegen Schwule, Lesben, Bisexuelle und Trans*menschen (LGBTs). Zusammen mit den Anti-Homosexuellen-Gesetzen nährt das die HIV-Epidemie auf der Insel.

Nach einem Bericht von Human Rights Watch kam es zwischen 2009 und 2012 in Jamaica zu 231 Gewalttaten gegen Schwule, Lesben, Bisexuelle und Trans*menschen (LGBTs). Zusammen mit den Anti-Homosexuellen-Gesetzen nährt das die HIV-Epidemie auf der Insel. Der gebürtige Jamaikaner Maurice Tomlinson wurde 2012 einer jamaikanischen Zeitung öffentlich geoutet. Seitdem wird er mit dem Tod bedroht. Das hat ihn nicht davon abgehalten, sich weiterhin für LGBTs und Menschen mit HIV auf den karibischen Inseln einzusetzen.


Maurice, was macht Jamaika zu einem der unsichersten Länder für LGBTs?
Eine Kombination aus Kultur, Religion und Musik. Angefangen hat es mit der Ankunft der amerikanischen Evangelisten Ende der 1970er. Das fiel zusammen mit dem Auftreten von HIV und Aids. Die Musiker von heute wuchsen in jener Zeit auf und wurden durch ihren fundamentalistisch-christlichen Hintergrund gezwungen, in die Kirche zu gehen, wo sie die Anti-Homo-Predigten der Evangelisten hörten. Die jamaikanische Musik ist die homophobste Musik der Welt mit Texten, die zur Ermordung von Schwulen und zur Vergewaltigung von Lesben aufrufen. Die Musik hört man überall, im Bus, im Radio, auf der Straße. Heutzutage sind keine amerikanischen Evangelisten mehr notwendig, um Hass zu verbreiten. Wir haben unsere eigenen Hassprediger.

2012 hat man dich im Jamaica Observer öffentlich geoutet, danach musstest du das Land verlassen. Warum haben sie das gemacht?
Wenn man glaubt, dass Homosexuelle ein Gräuel und für Katastrophen wie Orkane und Erdbeben verantwortlich sind, dann fühlt man sich verpflichtet, diese Information weiterzugeben. Das sieht man auch bei der Gewalt gegen Homosexuelle. Es geht nicht nur darum, sie zusammenzuschlagen, sondern vor allem darum, Homosexualität auszurotten. Diese Sorte Ideologie kann nur religiös begründet sein.

Und trotzdem bist du mit einem Pfarrer verheiratet. Bist du mit deinem Glauben nie in Konflikt geraten?
Doch, sicher. Mein Vater hat sich im Fernsehen ständig die Evangelisten mit ihren Hasspredigten angeschaut. Als Kind fragte ich mich immer: Wie kann der christliche Glaube nur so gemein und hasserfüllt sein? Wie kann man an einen Gott glauben, der so viel Hass verbreitet? Jesus ging mit allen und hat niemanden ausgeschlossen. Es geht nicht um meine Sexualität, sondern um meine Menschlichkeit. Wenn man alles Negative herauswringt, bleibt ein Glaube übrig, der jeden umarmt und bereichert.
Laut UNAIDS sind 32 % der homosexuellen Männer in Jamaika HIV-infiziert. Es besteht ein direkter Zusammenhang zwischen Homophobie und Unwissen.
In der Tat. Das ist aber nicht nur ein Problem der Homosexuellen. Sechzig Prozent geben an, dass sie auch Sex mit einer Frau haben, weil sie glauben, so würden sie von ihrer HIV-Infektionen geheilt. Auf diese Weise entsteht eine Brücke in die heterosexuelle Bevölkerung.

Wo bekommt man eine gute HIV-Versorgung in einem homophoben Land?
Das ist schwierig. In kleinen Ländern wie der Dominikanischen Republik trauen sich die Menschen nicht, Hilfe zu suchen. Man wartet dort, bis man krank wird, und fliegt dann ins Ausland, um Medikamente für einen Monat zu holen. Reisen kostet Geld, man kann das nicht immer machen, sodass es eben oft keine Medikamente gibt. Dadurch können Resistenzen entstehen, was zum Tod führen kann.

In Jamaika ist es etwas besser. Wenn du in Kingston wohnst, kannst du nach Montego Bay [Anm.d.R.: nach Kingston die zweitgrößte Stadt Jamaikas] fahren, um dir dort Medikamente zu besorgen. Das ist natürlich leichter, wenn du genug Geld hast, um zu reisen.

Du bist äußerst aktiv auf Facebook, wo jeder sehen kann, was du gerade tust. Warum bist du so offen?
Das ist Teil meiner Strategie, die homosexuelle Bevölkerung Jamaikas so sichtbar wie möglich zu machen. Über uns gibt es viele Mythen, und auf diese Weise hoffe ich, für mehr Klarheit zu sorgen. Man hat viel Angst vor LGBTs. Ich zeige, wie langweilig, aber auch wie fantastisch mein Leben mit meinem Mann und meinem Sohn ist.

Was hält dich auf Trab?
Es gibt vieles, was mich motiviert. Zuallererst mein Glaube. Und auch die Berichte der Menschen, für die ich arbeite und die sich ständig über Facebook an mich wenden und mich bitten, etwas für sie zu tun. Ich kenne die Gewalt, und man kann zwei Dinge tun, wenn man mit ihr konfrontiert wird: weglaufen oder sich wehren. Ich bin ein Kämpfer.

Glaubst du, dass es in Sachen Menschenrechte vorangeht?
Wenn man sich in einen Sturm begibt, ist es schwierig zu sehen, wo genau man sich befindet. Aber ich sehe sehr wohl Fortschritte. Die Märchen und Unwahrheiten verschwinden so langsam. Wir werden unsere Rechte bekommen, national wie auch international. Und immer mehr Menschen offenbaren sich: Verbündete und LGBTs selbst. Dieses Sichtbarmachen ist wichtig für uns. Wir müssen aus dem Schatten treten.

Und wie ist die Lage von Menschen mit HIV?
Ich bin begeistert von den HIV-Medikamenten und der Forschung zur funktionellen Heilung. Heutzutage weiß man viel mehr über die Wirkung der Medikamente auf die Viruslast. Auch auf diesem Gebiet müssen wir hart arbeiten, um Mythen zu widerlegen. Ich bin total glücklich in meinem Job, aber eigentlich möchte ich ihn nicht. Aids muss Geschichte werden.

Maurice-mit-Copyright
Seit er in Jamaika öffentlich geoutet wurde, wird Maurice Tomlinson (44) mit dem Tod bedroht.

 (Dieser Text erschien – ungekürzt – zuerst im HIV-Magazin hello gorgeous. Herzlichen Dank an Herausgeber und Autor Leo Schenk sowie Fotograf Henri Blommers für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.)