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Kultur & Szene

Homophobie in der Elektroszene: Der Fall Ten Walls

Der DJ und Producer Marijus Adoamitis, wohl besser bekannt unter dem Namen Ten Walls, hat diesem Sommer gleich zwei grundlegende Tatsachen unterschätzt: Die Macht von Social Media sowie die Solidarität der elektronischen Musikszene. Eine rückblickende Analyse.

Was war vorgefallen? Im Laufe der letzten beiden Jahre hatte sich Ten Walls durch Produktionen wie „Requiem“ und „Walking with Elephants“ in der Elektro- und Schwulenszene einen Namen gemacht und es folgten zahlreiche Buchungen für Festivals und Clubs. Mit anderen Worten: Es lief hervorragend für Adoamitis. Das ist seit dem 3. Juni vorbei. In einem homophoben Facebook-Post bezeichnete Ten Walls Homosexuelle als „Menschen anderer Rasse“ und brachte Homosexualität mit Pädophilie in Verbindung. Mit dieser Aktion beendete der Litauer quasi über Nacht seine eigene Karriere.

Auf seinen Post erntete er einen gewaltigen Shitstorm – sowohl von Fans als auch von Künstlerkollegen. Innerhalb kürzester Zeit wurden öffentlich viele seiner Gigs abgesagt, Kooperationen von anderen Künstlern gekündigt und zum Boykott seiner Musik aufgerufen. Als Reaktion darauf ließ der homophobe Künstler neben einer halbherzigen Entschuldigung die Absage seiner gesamten anstehenden Tour verlauten. Ob er damit vor den Reaktionen der Öffentlichkeit resignierte, oder einen Versuch startete, die Scherben seiner Karriere aufzusammeln – wer weiß das schon. Fest steht aber, dass der Fall Ten Walls in seinem Verlauf einmalig ist.

Ten Walls war nicht der erste Künstler, der sich homophob äußerte, aber …
Vor ihm gab es zwar schon andere Künstler, die homophobe Ausfälle hatten, wie Chris Brown, Paris Hilton oder Tracy Morgan. Diese wurden dafür auch kritisiert, kamen jedoch durchweg nur mit einem Kratzer im Image davon. Warum also fiel die Reaktion von Fans, Kollegen und Veranstaltern bei Ten Walls so viel drastischer aus?

Es ist wohl ein Zusammenspiel von 3 Faktoren:

  1. Der Zeitpunkt des Posts:
    Besonders im Mai und Juni dieses Jahres war das Thema Homosexualität durch die Öffnung der gleichgeschlechtlichen Ehe in Irland und den USA und der dazu gehörigen Debatte in aller Munde. Dabei war die Debatte von einer großen Solidaritätsbewegung geprägt. Es gibt sicherlich keinen „guten Moment“ sich als Homophober zu outen – das war aber sicherlich der schlechteste Augenblick.
     
  2. Der krasse Inhalt des Posts
    Zum Vergleich: Chris Brown wurde dafür kritisiert, dass er das Wort „gay“ als Schimpfwort benutzt hatte. Das ist natürlich auch nicht gut. Ten Walls setzte dagegen noch mal einen drauf: Mit seinem Post und der Vermischung von Homosexualität und Pädophilie hat er unmissverständlich ausgedrückt, welche menschenfeindliche Einstellung er zur LGBT-Community hat.
     
  3. Die große Solidarität innerhalb der elektronischen Musikszene
    Fakt ist: Die Elektroszene ist in und aus der der Schwulenszene entstanden. Solidarität und Akzeptanz sind seit ihrer Gründung zentraler Bestandteil der Technokultur und gehörten trotz der fortschreitenden Kommerzialisierung noch immer fest zum Genre. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass dort die Reaktion auf ein homophobes Szenemitglied entsprechend heftig ausfällt.

Was bleibt vom Fall Ten Walls?
In jedem Fall hat die elektronische Musikszene eindrucksvoll bewiesen, dass sie ihre Grundwerte und Ursprünge nicht vergessen hat. Natürlich könnte man einigen der am Shitstorm beteiligten Scheinheiligkeit vorwerfen – zumal die Absagen von den Veranstaltern erst nach dem öffentlichen Aufschrei kamen. Am Ende zählt jedoch, wie konsequent auf eine offensichtlich völlig inakzeptable Meinung reagiert wurde – und die Reaktion auf Ten Walls Facebook-Post war vielleicht vieles, nicht aber inkonsequent.

Comeback-Pläne
Trotz des wohl nachhaltig beschädigten Images plant Marijus Adoamitis ein baldiges Comeback. Bis Anfang Oktober war es still um ihn geworden. Nun allerdings meldete sich Ten Walls mit einem ausführlicheren Entschuldigungsbrief erneut an seine Fans, in dem er beteuert seine Aussagen sehr zu bereuen. Außerdem kündigte er darin die Zusammenarbeit mit einer elektronischen Oper er an, deren Thema die Akzeptanz und Toleranz von LGBT-Gruppierungen in Litauen ist. Ob Ten Walls also wieder in der elektronischen Musikszene Fuß fassen kann wird sich in den nächsten Monaten zeigen.

Zum Hintergrund:
http://www.gaystarnews.com/article/walking-elephants-star-says-gays-are-another-breed-pedophiles040615/

http://www.groove.de/2015/06/08/ten-walls-homophober-facebook-post-loest-proteststurm-aus/

https://thump.vice.com/de/article/ten-walls-bereut-seine-homophoben-uerungen-und-entschuldigt-sich?utm_source=thumpfb

TenWalls
Ten Walls vor seinem homophoben Post: ein gefeierter Star.

Von Malte Steinhoff

Wirtschaftsinformatiker, Meditationslehrer, DJ, Labelbetreiber und Teil des Digitalisierungsteams der Deutschen Aidshilfe