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Gesundheit & Safer Sex

Ü50 in der Szene: Bitte Altersgrenzen missachten

Die „Generation Schwulenbewegung“ kommt in die Jahre. Selbstbewusst nutzen die über 60-Jährigen die Angebote der Homo-Szene – solange die Gesundheit mitspielt. Ein Stimmungsbericht aus Hamburg.

Die „Generation Schwulenbewegung“ kommt in die Jahre. Selbstbewusst nutzen die über 60-Jährigen die Angebote der Homo-Szene – solange die Gesundheit mitspielt. Ein Stimmungsbericht aus Hamburg.

„Die Szene tue ich mir mit 70 nicht mehr an“, stellt Karl-Heinz klar. Er will nicht mehr in einer Bar auf seinen Traumprinzen warten. „Man muss sich einfach klarmachen: Für die Szene ist man alt, auch wenn man selbst einen ganz anderen Eindruck hat“, erklärt der pensionierte Berufsschullehrer. „Wenn man sich jeden Tag im Spiegel sieht, merkt man nicht, wie man altert.“

Der Verzicht auf Bars fällt dem Single leicht. Sex sucht er eher im Freien, zum Beispiel im Stadtpark. „Mir macht das Jagen Spaß“, sagt Karl-Heinz und lacht. „Die Typen, die ich da abbekomme, würden mich in einer Bar mit dem Arsch nicht anschauen.“

Cruising kann auch sehr gesellig sein. Bei einem Streifzug durch die Dünen von Ibiza hat Karl-Heinz vor bald 20 Jahren einen fast 20 Jahre jüngeren Mann kennengelernt. Sex hatten sie nicht, aber beim Wiedersehen im Strand-Supermarkt haben sie sich zum Essen verabredet. So lernte Karl-Heinz eine schwule Trekking-Gruppe kennen. Mit ihnen wandert er seitdem jedes Jahr mindestens einmal durch die Mittelgebirge, den Harz kennt er fast auswendig.

In Homo-Bars geht Karl-Heinz nicht mehr – und ist trotzdem gut vernetzt mit anderen Schwulen. Derzeit organisiert er mit einem Ehrenamtskollegen vom schwulen Infoladen Hein & Fiete eine „Gay History Tour“ durch St. Pauli. So wie Karl-Heinz sind viele ältere Männer in der Community präsent – sie sind es so gewohnt. „Es gibt ein hohes Interesse an spezifischen Beratungs- und Freizeitangeboten für schwule und bisexuelle Männer über 50“, sagt Heiko Gerlach. Der Diplom-Pflegewirt hat gemeinsam mit Christian Szillat schwule Hamburger befragt und die Antworten im Auftrag der AIDS-Hilfe Hamburg ausgewertet. „Männerliebende Männer 50 plus in Hamburg“ heißt ihre Studie, die sie unter anderem auf Radio Pink Channel vorgestellt haben. Eine besondere Generation, finden die beiden Fachleute: Sie seien die Ersten, die ihre Homosexualität relativ offen gelebt hätten. Es sei nicht verwunderlich, wenn diese nun offensiv die Berücksichtigung ihrer Lebenslagen im Alter einforderten.

Solange der Körper mitmacht, geht das schwule Leben jenseits der Fünfzig also fröhlich weiter. Auch Eckhard ist vor ein paar Jahren noch regelmäßig in die Sauna gegangen. Er weiß noch, welche Angebote es gibt: Partner-Rabatt am Freitag, Wellness am Sonntag und mittwochs „40up“ mit Preisnachlass für über 40-Jährige. „Für mich könnte sie schon einen ,70up‘-Tag machen“, sagt Eckhard und lächelt. Die letzten Jahre hat der gelernte Elektriker mehr Zeit im Krankenhaus als in der Sauna verbracht. Nach einer Herz-Operation ist Eckhard 2013 in ein Altenheim in St. Georg gezogen, Abteilung „Regenbogen“. „Das hat nichts zu bedeuten“, sagt Eckhard, „ich bin hier der einzige Schwule weit und breit.“

Dass er mal Hilfe bräuchte, konnte sich Eckhard lange nicht vorstellen. Sogar seine HIV-Infektion hat er weggesteckt. 1990 bekam Eckhard die Diagnose und hat durchgehalten, bis die ersten Kombinationstherapien verfügbar waren. „Jetzt bin ich seit über zwölf Jahren unter der Nachweisgrenze“, erzählt er stolz. „HIV macht mir keine Probleme – die kamen erst durchs Älterwerden.“ Inzwischen sind einige zusammengekommen. Auf Eckhards Tisch in dem 20 Quadratmeter großen Zimmer liegen akkurat aufgereiht: ein Armband zum Blutdruckmessen, ein Gerät zur Blutzuckerbestimmung, eine Insulinspritze. Des Weiteren ein Asthmaspray und eine Pappschachtel mit Hustenbonbons. „Diese Vielfalt der Beschwerden macht mich kaputt“, sagt Karl-Heinz. „Da habe ich immer im Hinterkopf: Was kommt als nächstes?“

Auch Jibben macht sich manchmal Sorgen, „dass die Knochen nicht mehr so mitmachen“. Aber davon lässt er sich nicht runterziehen. Sein Gegenmittel: viel machen. Der 68-Jährige betreut drei Websites, darunter das schwul-lesbische Portal hamburg.gay-web.info. „Ich hoffe, dass das ein Grund ist, warum ich oben noch fit bin“, sagt der breitschultrige Mann mit dem weißen Kinnbart und tippt sich dabei an den Kopf. „Philipp ist natürlich auch ein Grund“, fügt Jibben sanft hinzu, „als junger Ehemann, der einen manchmal schon auf Trab hält.“ Seit 15 Jahren ist Jibben mit Philipp (41; gemeinsam auf dem Foto zu sehen) zusammen, 2006 haben die beiden geheiratet. Beim Straßenfest zum Hamburg Pride sitzen die beiden jedes Jahr im Orga-Container, nehmen Fundsachen an und sorgen per Funkgerät dafür, dass jeder Stand Strom und Wasser bekommt. Von der Szene hat Jibben noch nicht genug. „Das liegt auch daran, dass ich mit 50 zum ersten Mal in eine schwule Bar gegangen bin“, vermutet Jibben. „Im Nachhinein hätte ich gerne früher damit angefangen“, sagt Jibben, „weil ich bestimmt einiges verpasst habe.“

Jibben-Philipp-Web
Seit 15 Jahren ist Jibben (68) mit Philipp (41) zusammen, 2006 haben die beiden geheiratet. „Philipp ist natürlich auch ein Grund, dass ich fit bleibe“, sagt Jibben.

Von Philip Eicker

Arbeitet freiberuflich als Autor und Magazinredakteur, unter anderem für die Deutsche Aidshilfe, das Erzbistum Berlin und das queere Stadtmagazin Siegessaeule.