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Zuher: Es gibt nicht DIE eine queere Community…

Zuher Jazmati ist 30 Jahre alt, Sternzeichen Skorpion und lebt in Berlin. Zusätzlich zu seinem Dayjob arbeitet er als Podcaster, DJ und Campaigner und macht politische Bildungsarbeit, wobei er aus einer antirassistischen, intersektionalen Perspektive für verschiedene Auswirkungen von Diskriminierung sensibilisieren will.

Zuher Jazmati

Zuher, wie hast du die Corona-Zeit erlebt?

Unterschiedlich! Ich habe da eine komplexe Perspektive drauf: es war nicht alles super, es war nicht alles mega schlimm… Da ich sehr aktiv bin und viel Energie in meine Projekte investiere, bin ich eben auch oft ziemlich erschöpft und müde. Da kam mir der Lockdown als Zwangspause eher gelegen. Gleichzeitig war die Situation für mich auch belastend, weil da ja Menschen dran sterben. Trotzdem habe ich es als positiv und notwendig erlebt, dass ich mir Zeit für mich, Zeit zum Runterkommen nehmen konnte. Das gilt glaube ich für viele Freiberufliche und Leute aus dem Veranstaltungssektor. – Gigs als DJ und Workshops wurden abgesagt, das war auch schmerzhaft. Das fehlt mir auch am Meisten: Feiern, auflegen, Menschen durch Musik glücklich machen. Ich glaube, auf die Frage gibt es keine einfache Antwort, das war und ist ein Einschnitt in das Leben von jedem Menschen.

Und wie war es für Dich, als es im Sommer wieder zu Lockerungen gekommen war?

Da hab ich auch an die Menschen aus Risikogruppen gedacht, die das nicht genießen können. Das betrifft auch Menschen mit denen ich Kontakt habe, wie meine Großmutter und meinen Vater. Oder Menschen mit Behinderung, für die Corona echt nochmal viel gefährlicher ist. Menschen, die eben nicht so jung, nicht so sportlich oder nicht so gesund sind wie ich. Ich bin immer wieder mit der Angst vor dem Virus und den Gedanken daran konfrontiert, was eine Ansteckung zum Beispiel für meine Familie bedeuten würde.

Jetzt wird es ja auch kälter, da fährt man vielleicht weniger mit dem Fahrrad und benutzt mehr öffentliche Verkehrsmittel. Da sehe ich auch immer mehr rücksichtslose Leute, die ihre Maske nicht tragen und sich nicht an die Regeln halten. Dann habe ich auch mehr Angst vor dem Virus. Denn was heißt diese Gefährdung dann z.B. für meine Großmutter oder für meinen Vater? Dass ich sie noch weniger sehen kann? Die Kontakteinschränkungen, die es gab, waren ja schon echt schmerzhaft. Wenn ich dann fahrlässiges Verhalten beobachte, verstärken sich meine Befürchtungen weiter.

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Zuher (unten, Mitte) ist Teil unserer Printanzeige zum Thema queere Solidarität und #WirFürQueer.

Was sind für dich wichtige Themen derzeit in der queeren Szene?

Ich sehe die queere Szene differenzierter: also dass auch und vor allem in der sogenannten ‚queeren Szene‘ viele unterschiedliche Menschen zusammengefasst werden, die alle mit unterschiedlichen Lebensrealitäten und Formen von Diskriminierung konfrontiert sind. Zum Beispiel haben viele Menschen große Probleme an Geld zu kommen. Beispielsweise wenn sie als Künstler_innen oder Sexarbeiter_innen tätig sind. Oder weil Auftritte erschwert oder verboten werden oder sie allgemein illegalisiert sind. Queere Orte, die vor Corona geschaffen wurden, haben Probleme weiter zu existieren. Als Beispiel kann ich die Queer Arab Party nennen, die alle zwei Monate stattgefunden hat. Dort haben sich Menschen mit arabischem Hintergrund zum Feiern getroffen. Aber feiern geht nicht mehr. Wenn solche und auch andere Safer Spaces wegfallen, fehlen auch die Möglichkeiten zur gegenseitigen Unterstützung und Vernetzung. Das kann vor allem für Jüngere bedeuten, dass sie in einem queerfeindlichen Lebensumfeld wie möglicherweise intoleranten Familien bleiben müssen und sich nicht entfalten können.

Und auf der individuellen Ebene?

Da sehe ich vor allem die psychische Belastung durch Isolation und Einsamkeit. Die tritt bei queeren Menschen neben den Problemen eines Lebens unter erschwerten Bedingungen noch verstärkt auf. Wer jetzt allein ist, das stelle ich mir schrecklich vor! Besonders dann braucht man ja eigentlich die Nähe, die man in einer Gemeinschaft haben kann. Grade Menschen in marginalisierten Communities brauchen die Nähe, das Zusammenfinden, Vernetzen, den Austausch. Es ist ein großes Problem, dass da viel nicht mehr stattfinden kann.

Was bedeutet für dich (queere) Solidarität?

Dass Menschen füreinander einstehen, füreinander da sind bei Problemen. Solidarität fängt für mich vor allem mit der Arbeit an sich selbst an. Dabei meine ich Empathie mit und Sensibilisierung für Marginalisierungsformen, von denen ich nicht betroffen bin. Dass ich mich, wenn ich hetero bin, solidarisch mit Menschen verhalte, die nicht hetero sind. Dass ich mich, wenn ich weiß bin mit Menschen solidarisch verhalte, die nicht weiß sind. Oder dass ich als nicht beeinträchtigte Person solidarisch mit Menschen bin, die nicht abled sind. Es geht mir darum, sich empathisch mit den Lebenswelten anderer auseinander zu setzen, um solidarisch sein zu können. Sein Wissen und seine Vorstellungen von Menschen zu überprüfen und auch mal zu erweitern. Da wünsche ich mir, dass jede_r sich selbstreflektiert und wir unsere Privilegien checken, uns für solidarisches Verhalten einsetzen.

Was wünschst du dir zukünftig für die queere Coomunity?

Für mich gibt es nicht DIE queere Community, Einzahl. Sondern es gibt queere Communities in der Mehrzahl, denn wir sind nicht alle gleich. Mir ist es wichtig, die Unterschiedlichkeit der Gruppen anzuerkennen, die in dem Begriff ‚queere Community‘ zusammengefasst werden und vor allem die unterschiedlichen Machtverhältnisse anzuerkennen, die es ja real gibt. Wir sitzen eben nicht alle im selben Boot mit einer queeren Person aus Moria oder einer, die von Abschiebung bedroht ist. Das möchte ich aus dem Oberbegriff „queer“ raus differenziert haben, so können wir den existierenden Unterschieden gerechter werden.

Zuher Jazmati

Gibt es ein Projekt, das aus deiner Sicht zur Zeit besondere Unterstützung braucht – und wenn ja, warum?

Ja, die queeren Projekte in Nigeria, die sich gegen Polizeigewalt stark machen. Als ich in London gelebt habe, hatte ich Kontakt zu der dort existierenden großen nigerianischen Community. Und hier in der Schwarzen Community gehen viele Tweets zu dem Thema viral, in der Tagesschau siehst du aber gar nichts davon! Nigeria ist das bevölkerungsreichste Land des afrikanischen Kontinents und es gibt grade richtig viele Proteste dort – die Medien hier schenken dem null Aufmerksamkeit! Ich mache hier deshalb mit meinem Kollegen Dominik den Black Brown Queeren Podcast (BBQ). Black lives matter gilt auch für afrikanische Länder!

Möchtest du hier noch etwas loswerden?

(Lacht) Ja: Wear your mask, check your privileges!


Auch die queere Szene ist von der Coronavirus-Pandemie betroffen, sei es durch mögliche Einsamkeit oder durch finanzielle Schwierigkeiten. Ihr wollt helfen oder sucht Hilfe? #WirFürQueer listet Projekte auf, die Hilfe anbieten oder selbst Unterstützung suchen. Klickt Euch durch und findet eine passende Hilfs- oder Soliaktion!

Von Ewwe Meron Barf

Dipl. Sozialwissenschaftler, schreibt unter anderem für die Deutsche Aidshilfe. Themenschwerpunkte sind insbesondere trans/enby.