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Crystal Meth & Sexdates gegen schlimme Gedanken

Wer traut sich, auf einer Bühne vor Publikum sein Sex- und Liebesleben auszubreiten – vom ersten feuchten Traum im Kinderbett bis zu schlechten Erfahrungen mit Crystal Meth? Ben Strothmann hat’s getan – und bis zum 31. März kann ihm die Welt online dabei zusehen. In seiner One-Man-Show „Coming Clean“ erzählt der 42-Jährige aus seinem Leben, erst als schwuler Teenager in Milwaukee, dann als erfolgloser Schauspieler New York.

Wer traut sich, auf einer Bühne vor Publikum sein Sex- und Liebesleben auszubreiten – seit dem ersten feuchten Traum im Kinderbett bis zu schlechten Erfahrungen mit Crystal Meth? Ben Strothmann hat’s getan – und aktuell kann ihm die Welt online dabei zusehen. In seiner One-Man-Show „Coming Clean“ erzählt der 42-Jährige aus seinem Leben, erst als schwuler Teenager in Milwaukee, dann als drogenabhängiger Escort in New York.

[Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel enthält Diskussionen über Alkohol- und Drogenkonsum, sowie über sexuelle Grenzüberschreitungen.]

Ben fasst sich beim Sprechen mit der rechten Hand ans Herz. im Hintergrund ist ein Foto von Ben als kleiner Junge an die Wand projeziert.

Anfangs ist das lustig: seine erste große Liebe zu einem Zeichentrick-Hahn, seine artistischen Verrenkungen, um sich selbst zu blasen – und seine schwule Neugeburt als Schauspieler in New York. Doch plötzlich wird sein Stück ernster. Das Publikum hat noch immer viel zu lachen, aber Ben berichtet, wie ihn sein früheres Leben allmählich fertiggemacht hat. Aus Neugier und Geldnot beginnt er, als Escort zu arbeiten. Er berichtet, wie er seine Freier ausnutzte und wie die ihn im Gegenzug abservierten. Immer stärker bestimmten Drogen sein Leben. Der Titel deutet es an: „Coming Clean“ endet versöhnlich. Ben hat seine Sucht überwunden, weil er Frieden mit sich selbst geschlossen hat. Ein Gespräch über Drogen, Sex, und die Liebe zu sich selbst.

Ben, in „Coming Clean“ erzählst du offen aus deinem Leben, auch über Sexarbeit und Drogenkonsum. Hattest du beim Schreiben manchmal Angst, deine Freund*innen zu schockieren?

Ben Strothmann: Sehr oft sogar! In meiner Show sage ich sogar einmal zum Publikum: „Hört mal, nicht alle wissen davon. Sagt bitte nicht weiter, was ihr heute Nacht hier hört.“ Zuerst dachte ich, dass ich das Stück nur einmal aufführe und dann nie mehr darüber sprechen werde. Das Lustige daran: Diese erste Aufführung war in einer Kirche, die Judson Memorial Church in New York. Die Gemeinde sieht Künstler*innen als Bot*innen Gottes. Deshalb dürfen sie dort auftreten. Sie sagen dir nicht, was du dort machen darfst oder nicht. Ihre einzige Regel ist: Bitte verzichtet auf Hassreden!

Zu Beginn wirkt dein Stück wie Comedy. Alles ist zum Lachen. Dann wird es ernster und drastischer. Du beschreibst zum Beispiel, wie du als Escort einem deiner Kunden einen bläst und dabei in Tränen ausbrichst. Schon damals ist dir durch den Kopf gegangen: „Some time this will sound funny like a scene of ,Showgirls‘.“ (Anm. der Redaktion – auf deutsch etwa: „Irgendwann wird dies so lustig wie eine Szene aus ,Showgirls‘ klingen.“)

Als ich mit der Show zum ersten Mal auf die Bühne gegangen bin, hatte ich keine Ahnung, dass es Comedy ist. Ich sprach zum Publikum, die Leute lachten, und ich dachte mir: „Oh, das ist offenbar lustig…“ Dabei war mir schon beim ersten Entwurf von „Coming Clean“ klar, dass es ein Stück über radikale Selbstliebe wird. Akzeptier dich so wie du bist – komme, was da wolle! Ganz ohne Grund. Denn: Was kannst du sonst mit deinem Leben anfangen? Ich wollte den Leuten zeigen, wie ich das geschafft habe.

Mir war schon beim ersten Entwurf von „Coming Clean“ klar, dass es ein Stück über radikale Selbstliebe wird.

In einigen krassen Szenen unterbrichst du dein Stück und sprichst zum „kleinen Ben“, dem Kind in dir. Auf einer Leinwand erscheint dann ein Kinderfoto von dir.

Die Idee, mit meinem inneren Kind zu sprechen und ihm zu sagen „Ich liebe dich, Ben!“, ist organisch entstanden. Ich erinnere mich zum Beispiel an einen Menschen, den ich vor zwölf Jahren gedatet habe. Damals war ich zum ersten Mal auf Entzug. Ich habe ihm am Telefon erzählt, dass ich begonnen habe mit meinem inneren Kind zu sprechen. So als wäre ich sein Vater. Da habe ich gemerkt, dass er am anderen Ende der Leitung geweint hat. Da fiel mir auf: Oh! Ich habe etwas entdeckt, das anderen hilft, zu lernen, sich selbst zu lieben.

Ben zieht sich das T-Shirt über Mund und Nase und blickt ängstlich nach links in seinem Theaterstück über Crystal Meth Konsum.

Ist es dir früher schwer gefallen, dich selbst zu lieben?

Ja, sehr. Als ich das Stück geschrieben habe, hab ich mich sehr dafür interessiert, wie Leute auf den Gedanken kommen: „Wenn irgendwer wüsste, wie ich wirklich bin, dann könnte er oder sie mich nie lieben“. Warum werden Leute so? Und wie kann man jemandem helfen, der oder die sich in diesen Gedanken verrannt hat? Deshalb öffne ich mich in dem Stück so, um den Leuten zu sagen: „Hört mal! Ich steh hier auf der Bühne und rede darüber, wie ich ins Bett mache und andere Dinge tue, für die ich mich geschämt habe. Aber ich bin bestimmt nicht der Einzige hier im Raum, der sowas erlebt hat. Der Unterschied ist nur: Ich bin bereit, darüber zu reden.“ Alle sollen wissen, dass man offen und ehrlich mit der Welt sein kann – und trotzdem noch liebenswert! Ich möchte den Leuten Schritt für Schritt zeigen: So hab ich gelernt, mich selbst zu lieben. Zum Beispiel weil ich richtig gute Geschichten erzählen kann.

Eine dieser Geschichten ist dein erstes Mal – mit Crystal Meth und „Rich, dem Dealer“. Er hat dich nicht nur mit Drogen versorgt, ihr hattet auch geilen Sex. Warum hast du diese Begegnung so gut in Erinnerung?

Ich werde hier bestimmt nicht verkünden: „Sex auf Drogen ist so viel besser!“ (lacht) Aber das Gute an dieser Erfahrung war, dass ich es damals geschafft habe, die schlimmen Gedanken abzuschalten, die mir sonst im Kopf rumschwirren. Davor hatte ich noch nie in den Spiegel gesehen und mich als attraktiv empfunden. Diesen besonderen Moment beschreibe ich in meinem Stück: Ich geh ins Bad, schau in den Spiegel und bin begeistert, was ich sehe! Ich denke nur: „Nebenan ist dieser heiße Typ, mit dem ich gleich ins Bett gehe – und er bekommt all das. Nämlich mich! Was für ein Glückspilz!“ Obwohl das Gefühl künstlich erzeugt war, hat es mich befreit. Ich konnte den Sex genießen und fühlte mich mit Rich physisch und spirituell eng verbunden – ohne das blöde Gefühl, dass ich nicht gut genug bin. So wirkt Crystal Meth. Ein Arzt hat mir mal erklärt: „Auf Crystal Meth könntest du Sex mit einem Pferd haben und dabei denken, dass es großen Spaß macht.“ Es beseitigt die Fähigkeit, sich schlecht zu fühlen. Aber nur bis zu dem Punkt, wenn du wieder runterkommst. Dann ist plötzlich alles schrecklich und furchteinflößend.

Crystal Meth beseitigt die Fähigkeit, sich schlecht zu fühlen. Aber nur bis zu dem Punkt, wenn du wieder runterkommst. Dann ist plötzlich alles schrecklich und furchteinflößend.

Du hast mehrere Anläufe gebraucht, um wieder ohne Crystal Meth leben zu können. Die „Zwölf Schritte“ haben dir dabei geholfen. Ein Jahr lang hast du auch auf Sex verzichtet. Wie kam das?

Es gibt ja nicht den einen, richtigen Weg, um clean zu werden. Und in den „Zwölf Schritten“ steht nicht: „Du darfst keinen Sex haben!“ Aber ich hatte einen erfahrenen „Sponsor“, einen Mentor an der Seite. Er war ein kalifornischer Surfer-Dude mit Riesenbart. Einer seiner ersten Ratschläge war: „Kein Dating und keinen Sex für ein Jahr.“ Ich sagte ihm damals: „Ääääh…? Du kennst mich überhaupt nicht. Wie kommst du überhaupt darauf, zu entscheiden, dass ich das nötig hätte?“ Und er so: „Du wirst sehr mit der Beziehung zu dir selbst beschäftigt sein. Du kannst dich nicht drauf konzentrieren, wenn dich andere Beziehungen nebenher ablenken.“

Am Ende hast du das durchgezogen?

Ja, weil ich irgendwann im Laufe meiner Entzugsversuche festgestellt habe: Sexdates sind das Einzige, womit ich Alkohol und andere Drogen ersetzen konnte. Es gab Nächte, in denen ich gerade ins Bett wollte und dachte: „Hm. Eigentlich könnte ich noch schnell jemanden einladen.“ Also hab ich ein Date klargemacht, der Typ kam vorbei, wir hatten Sex, und er ging wieder. Danach dachte ich wieder: „Hm. Wenn ich eh gleich ins Bett gehe, kann ich noch schnell einen anderen einladen.“ So hatte ich manchmal drei Männer hintereinander. Ich will mich nicht darüber beschweren, aber ich habe allmählich erkannt: So wie Alkohol und Drogen habe ich einen anderen Menschen als Ausweg benutzt, um nicht mit meinen Gedanken alleine zu sein.

Ich gehe heute viel einfühlsamer mit meinen Sexpartnern um.

Was hast du mitgenommen aus deiner sexuellen Fastenzeit?

Ich glaube, ich gehe heute viel einfühlsamer mit meinen Sexpartnern um. Nach der „#MeToo“-Debatte gebe ich es nur ungern zu, aber viele meiner Sexpartner habe ich nur eingeladen, um sie zu benutzen. So war mein Gehirn damals konditioniert nach sieben Jahren voller Pillen, Alkohol und dem Versuch, vor mir selbst davonzulaufen. Am Ende habe ich erkannt: Ich habe kein Recht, einem Menschen sowas anzutun! Jeder Mensch existiert um seiner selbst willen, jeder Mensch hat seine eigenen Bedürfnisse. Deshalb habe ich mir dann tatsächlich eine sexuelle Auszeit genommen, um mein Verhältnis zu Sex und Intimität zu verändern.

Eine nützliche Erfahrung, um den Corona-Lockdown zu überstehen…

Ja, es wirkt so, als hätte ich für die Pandemie trainiert, oder? Lasst uns nochmal 14 Monate dranhängen! (lacht) Aber im Ernst: Das vergangene Jahr im Lockdown war für mich eine großartige Gelegenheit um zu begreifen, dass ich es sogar genießen kann, allein zu sein. Es fühlt sich dann an, als wäre ein guter Freund von mir zu Besuch. Aber bis zu diesem Punkt war’s ein hartes Stück Arbeit.

Ben kniet und schaut nach rechts oben. Hinter ihm stehen auf einer virtuellen Tafel verschiedene Kritzeleien, wie "BEN + DOUG" in einem Herz, "I LOVE DOUG", "1 + 1 = BEN LOVES DOUG", oder "GURL!" in einem Kreis.

Was hilft dir denn dabei, dich okay zu finden?

Nur ein Beispiel. Früher dachte ich oft, dass mein Freundeskreis sich dauernd verändert. Deshalb hab ich mir buchstäblich eine Tabelle gemacht, um meine besten Freunde nicht zu vergessen. Sie erinnert mich daran: Es gibt Leute, die mich lieben und immer geliebt haben! Manchmal fühle ich mich noch einsam, aber nicht mehr auf eine traurige Art. Inzwischen schätze ich meine eigene Gesellschaft.

Dein Stück ist noch online. Aber können wir dich auch mal live in Deutschland sehen?

Tja… schwer zu sagen. Eigentlich wollte ich im Juli beim CSD in Konstanz auftreten und davor beim „Animal Pride“, einem Festival für Tierrechte. Danach wollte ich durch Deutschland touren. Ich hab schon meine erste Impfdosis bekommen, aber ich weiß natürlich, dass ich das Coronavirus trotzdem noch weitergeben könnte, auch wenn ich selbst nicht erkranke. Da wäre es verantwortungslos, schon rumzureisen. Der Animal Pride ist am 3. Juli, und wir haben schon März… Ich befürchte, so schnell klappt das nicht mit unserer Immunisierung.


Ben Strothmann (42) lebt in New York und arbeitet als Theaterfotograf, Schauspieler und Dragqueen. Als Honey LaBronx moderiert er den Podcast „Big Fat Vegan Radio“ und in seiner „Vegan Drag Queen Cooking Show“ auf YouTube kocht er gutes Essen ohne tierische Zutaten. Eine Aufzeichnung seines Theaterstücks „Coming Clean“ ist bis aktuell online verfügbar (Ticket: 18 Dollar) auf:

www.vegandragqueen.com/coming-clean-a-play-by-ben-strothmann


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Ben verneigt sich auf der Bühne in seinem Theaterstück über Crystal Meth Konsum. vor einem Publikum, das ihm eine Standing Ovation gibt.

Von Philip Eicker

Arbeitet freiberuflich als Autor und Magazinredakteur, unter anderem für die Deutsche Aidshilfe, das Erzbistum Berlin und das queere Stadtmagazin Siegessaeule.