Kategorien
Kultur & Szene

Schwule Männer in der Corona-Pandemie: „Es herrscht große Verunsicherung“

Die Corona-Krise bestimmt seit mehr als einem Jahr unseren Alltag. Hygiene-Maßnahmen, Kontaktbeschränkungen und die Schließung von Safe Spaces können für schwule Männer besonders belastend sein. Das spürt auch Stefan Meier, der als Berater beim schwulen Checkpoints Mann-O-Meter in Berlin-Schöneberg arbeitet. Wir haben uns mit ihm unterhalten.

Die Corona-Krise bestimmt seit mehr als einem Jahr unseren Alltag. Hygiene-Maßnahmen, Kontaktbeschränkungen und die Schließung von Safe Spaces können für schwule Männer besonders belastend sein. Das spürt auch Stefan Meier, der als Berater beim schwulen Checkpoints Mann-O-Meter in Berlin-Schöneberg arbeitet. Wir haben uns mit ihm unterhalten.

IWWIT: Stefan, du führst im Jahr durchschnittlich 150 Beratungsgespräche. Welche Anliegen haben die Männer, die zu dir kommen?

Stefan Meier: Wir sind eine der wenigen Einrichtungen, die sich explizit an schwule Männer richtet. Die Gründe für einen Besuch bei uns sind dabei so vielfältig wie das schwule Leben selbst. Manche Männer kommen mit Fragen, die sich um das Coming Out drehen, über den Umgang mit Ängsten und Depressionen bis hin zu allem, was sich rund um die sexuelle Gesundheit dreht. Wir verstehen uns als eine Art Erste Hilfe für die Ratsuchenden. Oft kommen sie zwei-, dreimal zu uns. Wenn sich ihr Anliegen in dieser Zeit nicht klären lässt, vermitteln wir sie gezielt an Beratungsstellen oder Therapeut*innen. Es kommen aber auch ab und zu Mütter zu uns, deren Kinder sich im Coming-out befinden.

Sexuelle Gesundheit bedeutet mehr als die Abwesenheit von Krankheit.

Ein Mann steht während der Corona-Pandemie in seiner Wohnung beim Fenster. Er trägt eine Maske und schaut sehnsüchtig nach draußen.

Was verstehst du unter sexueller Gesundheit?

Das wird ja jetzt fast philosophisch. Sexuelle Gesundheit bedeutet für mich auf jeden Fall mehr als die Abwesenheit von Krankheit im Sinne von viralen oder bakteriellen Infekten. Sexuell gesund zu sein, heißt auch, dass ich Freude an meiner Sexualität habe und mich und meinen Körper kenne und weiß, was mir Lust bereitet oder was eben nicht. Das bedeutet auch, dass man die Möglichkeit wahrnehmen kann, seine Fetische selbstbestimmt auszuleben.

Was meinst Du mit „selbstbestimmt ausleben“?

Damit meine ich genau das: deutlich machen, was ich mag und was ich nicht mag, aber eben auch zu wissen, was meinen Sexpartner geil macht und was ich ihm davon geben kann oder will. Wenn sich jemand auf eine Sexpraktik wie Fisting einlässt, sollte diese Person wissen, ob sie das auch wirklich will und geil findet. Es kommt häufig vor, dass wir Dinge tun, weil wir Angst vor Ablehnung haben und nicht wissen, wie die gegenüberliegende Person auf eine Absage reagieren würde. Wenn jemand keinen Analverkehr mag, ist das vollkommen OK. Gleiches gilt auch für den Konsum von Substanzen beim Sex.

Es kommt häufig vor, dass wir Dinge tun, weil wir Angst vor Ablehnung haben und nicht wissen, wie die gegenüberliegende Person auf eine Absage reagieren würde.

Nimmst Du seit dem ersten Corona-Lockdown eine Veränderung innerhalb der Community wahr?

Es herrscht große Verunsicherung, die sich ganz unterschiedlich zeigt. Menschen, die depressiv sind und immer gesagt bekommen, sie sollen in Kontakt mit anderen Menschen sein, und auch gelernt haben, dass ihnen das hilft, nehmen die Einschränkungen als sehr bedrückend wahr. Ihnen fehlt die Nähe und der Austausch mit anderen. Ängstliche Menschen sind durch die Flut an Nachrichten über Corona verunsichert. Viele schwule Männer werden aktuell auf sich selbst zurückgeworfen, da ihnen die Anbindung an ein familiäres Umfeld fehlt – durch die Schließung von Bars, Clubs, Saunen und anderen queeren Einrichtungen fallen Orte weg, die wichtig für ihre seelische Gesundheit sind.

Durch die Schließung von Bars, Clubs, Saunen und anderen queeren Einrichtungen fallen Orte weg, die wichtig für die seelische Gesundheit schwuler Männer sind.

Wieso sind diese Orte besonders für schwule Männer so wichtig?

Ein junger schwuler Mann, der noch zu Hause bei einer Familie lebt, in der sein Schwulsein nicht akzeptiert wird, muss jetzt mehr Zeit mit seiner homofeindlichen Familie verbringen. Dabei sind Konflikte vorprogrammiert, denn ihm fehlt Unterstützung und ein Safe Space, wo er so sein kann, wie er ist. Die sogenannte „Szene“ wird ja oft kritisiert, weil sie kommerzialisiert sei. Im Moment spüren wir aber, wie wichtig ihre soziale Funktion ist.

Was rätst Du deinen Klienten, die sich aufgrund der Krise einsam fühlen, um gut durch diese schwierige Zeit zu kommen?

Es ist erst einmal wichtig anzuerkennen, dass es schwierige Zeiten sind. Es hilft auch, sich zu verinnerlichen, dass es vielen Menschen gerade schlecht geht und dass sich viele einsam fühlen. Ich rate meinen Klienten auch, dass sie sich bewusst machen sollen, dass sie wenig an der Situation ändern können. Sie können nicht viel mehr tun, als Abstand halten, eine Maske tragen und ihre Hände waschen. Hilfreicher ist es aktuell, seine Aufmerksamkeit auf Dinge zu richten, die man kontrollieren und verändern kann.  

Gibt es noch andere Tipps, als positiv zu denken?

Wenn mir meine Freunde wichtig sind und ich sie nicht sehen kann, lade ich eben zu einem Cocktail via Zoom ein. Wenn ich gerne Wellness mache, dann kann es vielleicht schön sein, öfter zu Baden und ich kann vielleicht mein Badezimmer etwas pimpen und mir so meine eigene Wellnessoase schaffen. Es hilft auch oft schon, Routinen bewusst zu schaffen, die helfen, den Alltag zu strukturieren. 

Es hilft oft schon, Routinen bewusst zu schaffen, die helfen, den Alltag zu strukturieren.

Geht es Paaren im Moment besser als Singles?

Jein. Paare haben im Moment die Herausforderung, dass sie vielleicht mehr Zeit miteinander verbringen als vorher. Wenn beide im Home-Office sind und die Wohnung zu einem Büro verschmilzt, kann das auch schwierig sein und zu Konflikten führen.

Wie können Paare diese Situation meistern?

Eine Möglichkeit ist es, zu schauen, wie ich meinen Partner unterstützen kann – beruflich oder bei anderen belastenden Situationen. Eine andere Möglichkeit ist es, sich als Paar neu zu entdecken und zu schauen, was man zusammen machen kann. Es ist aber auch wichtig, dem anderen Raum zu lassen und sich gegenseitig Rückzugsmöglichkeiten zu gönnen. Es kann auch hilfreich sein, zu versuchen, etwas großzügiger mit dem eigenen Partner umzugehen und nicht jedes Wort auf die Goldwaage zu legen. Man sollte manchmal auch versuchen, sich immer wieder klarzumachen, dass hinter Vorwürfen oftmals das Kommunizieren von Bedürfnissen steckt.

Was ist dein Tipp an Menschen, die den nächsten Lockdown als Singles verbringen?

Singles sollten sich überlegen, was ihnen guttut und das verstärkt tun. Es ist ja auch jetzt immer noch möglich, sich mit einem Freund oder einer Freundin zu treffen, spazieren zu gehen oder sich zuhause zum Kochen zu verabreden. Oder Mann findet, wenn Mann möchte eben einen Fuckbuddy, mit dem man Sex haben kann und so sein Bedürfnis nach Sex und Nähe befriedigen kann. Das Corona-Testangebot is in deutschen Städten ja mittlerweile auch ausgeweitet, das dazu genutzt werden kann.

Ein Mann steht während der Corona-Pandemie in seiner Wohnung beim Fenster. Er trägt eine Maske und schaut sehnsüchtig nach draußen.

IWWIT ist für euch da! Auch die queere Szene ist von der Coronavirus-Pandemie betroffen, sei es durch mögliche Einsamkeit in der Isolation oder durch finanzielle Schwierigkeiten.

Doch wir lassen euch nicht hängen! Deswegen haben wir unsere Kampagne #WirFürQueer ins Leben gerufen: Ihr seid nicht allein! Wir helfen uns gegenseitig! Gemeinsam schaffen wir es durch diese harten Zeiten! Mehr Infos findet ihr auf iwwit.de/wir-fuer-queer.

Auf gayhealthchat.de beraten wir dich zudem täglich zwischen 17 und 20 Uhr – schnell, vertraulich und kostenlos.

Von Jörn Valldorf

Chefredakteur einer Fachzeitschrift für Mediation, Mediator und Coach, lebt in Berlin. PrEP-Aktivist, schreibt seit 2018 auch für aidshilfe.de