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Sexarbeit in Berlin: Raus aus dem Schatten

SMART Berlin ist eine Beratungsstelle und ein Infoprojekt für Sexarbeitende. Unser Autor hat sich mit Dennis Herrmann, der bei SMART Berlin arbeitet, über das Projekt unterhalten.

Welche Idee steckt hinter SMART Berlin – wen beratet ihr und wie läuft eine Beratung üblicherweise ab? 

SMART Berlin ist eine Beratungsstelle und ein Infoprojekt für (cis und trans) männliche, nicht-binäre und trans weibliche Sexarbeitende. Unser Ziel ist es, den Sexarbeiter*innen vielseitigen Support anzubieten – sei es beim Einstieg, Ausstieg oder einer Umorientierung oder Professionalisierung. Wir bieten Beratung und Informationen zu allen möglichen Themen dieser Arbeit entsprechend: sexuelle Gesundheit, Rechte, Gesetze, Umgang mit Kund*innen und Kolleg*innen, benötigte Ressourcen usw. Sexarbeiter*innen können zu unseren regelmäßigen, wöchentlichen Beratungen kommen. Oder sie kontaktieren uns via Email, Telefon oder Social Media.

In welcher Lebenssituation stehen die Menschen, die zu Euch kommen? 

Die Menschen die zu uns kommen, stehen oft an unterschiedlichen Punkten in ihrer Karriere, aber haben alle den Wunsch, ihre Arbeit irgendwie professioneller, erfolgreicher und auch weniger prekär zu gestalten. Manche fangen gerade erst an, andere sind bereits lange dabei. Häufig haben die Leute ein konkretes Bedürfnis, wie bspw. einen STI-Test oder sind auf der Suche nach bestimmten Ressourcen. Oder sie sind sich unsicher, wie sie mit einem bestimmten Gesetz das ihre Arbeit betrifft, umgehen sollen. Da die Lebenswelten von Sexarbeitenden sich häufig ändern, sind viele oft auch nur zu Besuch in Berlin und wir sehen sie dann wieder, wenn sie wieder mal in der Stadt sind.

Smart Berlin findet ihr unter www.smart-berlin.org

Welche Fragen tauchen häufig auf?  

Oft gestellte Fragen betreffen bspw. die sexuelle Gesundheit, welchen wir mit Aufklärung und der Möglichkeit, einen mit uns zusammenarbeitenden Arzt zu besuchen, begegnen. Auch gibt es häufig Unsicherheiten mit dem sogenannten ProstituiertenSchutzGesetz, welches bspw. eine Zwangsregistrierung von Sexarbeitenden vorsieht. Auch hier versuchen wir, möglichst gut über Risiken und auch Rechte aufzuklären. Ansonsten spielt natürlich der Arbeitsalltag eine große Rolle, der Umgang mit Kund*innen, das Bewerben der eigenen Dienstleistungen etc. Nicht selten haben die Menschen auch sehr persönliche Bedürfnisse auszuloten, wie sie mit anderen Lebensfaktoren, wie bspw. Migration oder Transidentität im Bezug auf ihre Arbeit umgehen können.

Menschen in der Sexarbeit leben und arbeiten leider in einem Schattendasein, teilweise in regelrechten Doppelleben. Dies ist zurückzuführen auf die noch immer anhaltende soziale Stigmatisierung, institutionelle Diskriminierung, sowie gesetzliche Benachteiligung.

Sex- Arbeit ist sicher weniger tabuisiert als früher – dennoch arbeiten die Menschen in einem Bereich, der gesellschaftlich wenig oder gar nicht anerkannt ist. Wie berührt das die Escorts, mit denen ihr sprecht? 

Menschen in der Sexarbeit leben und arbeiten leider in einem Schattendasein, teilweise in regelrechten Doppelleben. Dies ist zurückzuführen auf die noch immer anhaltende soziale Stigmatisierung (bspw. mangelnde Akzeptanz von Familie und Freund*innen, mangelnde Wertschätzung der Arbeit und allgemein verbreitete Vorurteile), institutionelle Diskriminierung (wie bspw. auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt oder im Bankwesen), sowie gesetzliche Benachteiligung (bspw. durch die Pflicht zur Anmeldung oder das Überschneiden mit Migrationsauflagen).

Bei vielen sorgt dies natürlich für Unsicherheiten und auch (existenzielle) Ängste. Manche verinnerlichen Gefühle von Scham, andere wiederum sind sehr stolz auf sich selbst und ihre Arbeit und fordern die ihnen zustehenden Rechte und Anerkennung. Die Reaktionen auf diese komplexen Probleme sind also sehr verschieden, aber alle sind sich einig, dass ihnen eine bessere Behandlung durch die Gesellschaft aber auch den Staat und die Politik zusteht. 

An der Stelle sehen wir auch eine gesellschaftliche Verantwortung: In Diskussionen werden Begrifflichkeiten wie (Zwangs-)Prostitution, Menschenhandel und Sexarbeit immer wieder vermischt, was letztendlich allen Betroffenen schadet und ihnen nicht die entsprechend notwendige Unterstützung bietet. Wir sollten den betroffenen Menschen zuhören und sowohl Zwang in den Ursachen abwenden, als auch Sexarbeitende in ihren Bedürfnissen entgegenkommen und sie in ihren Lebenslagen unterstützen.

In Diskussionen werden Begrifflichkeiten wie (Zwangs-)Prostitution, Menschenhandel und Sexarbeit immer wieder vermischt, was letztendlich allen Betroffenen schadet.

Nun hatten wir zwei bis drei Jahre Pandemie, wie hat das denn die Sex-Arbeit insgesamt verändert?  

Während der Pandemie haben die bereits bestehenden Probleme stark zugenommen. Einnahmen gingen den Bach herunter, die Obdachlosigkeit nahm zu. Viele mussten irgendwie weiter arbeiten aber wollten gleichzeitig gesund bleiben. Zeitweise gab es das Verbot zur Sexarbeit, welches als eine der letzten COVID-Maßnahmen gelockert wurde – zu einer Zeit als Clubs, Restaurant und Massagesalons bereits lange wieder offen hatten. Die ohnehin schwierige Situation wurde ausgenutzt, um Forderungen vom Verbot der Sexarbeit salonfähiger zu machen, Sexarbeiter*innen wurden teilweise in alter Manier als Gesundheitsrisiko angekreidet. Natürlich geht da bei den Betroffenen auch Vertrauen verloren, wenn solche diskriminierenden Äußerungen fallen. Wir haben bemerkt, dass das Klima gegen Sexarbeitende teilweise rauer und auch aggressiver wurde, sowohl politisch als auch auf der Straße.

Gleichzeitig wurden natürlich auch Beratungsstellen wie unsere durch COVID in ihrer Arbeit beeinträchtigt, weswegen wir Unterstützung nicht in einem Ausmaß anbieten konnten wie wir gerne hätten oder wie sie gebraucht gewesen wäre. Wir bemerken, dass die psychische Gesundheit, soziale Isolation, der Verlust von Kontakten und auch der Konsum von Drogen seit der Pandemie vermehrt aufkommende Themen sind.

Sexarbeiter*innen haben aber unglaublich viel Geduld und Raffinesse, sich an wechselnde Bedingungen anzupassen und einen eigenen Umgang mit diesen zu finden. Gerade der Zugang zu Resourcen und der Austausch mit Kolleg*innen sind hier entscheidende Kriterien, um einen Unterschied zu machen.

Wir leben in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, beeinflusst das eurer Ansicht nach auch die Sexarbeit?  Können Sexarbeiter*innen noch von ihrer Arbeit leben?

Natürlich beeinflusst die schwierige Wirtschaftslage auch Sexarbeitende. Nicht nur, dass weniger Geld für sexuelle Dienstleistungen ausgegeben wird und somit weniger Einkommen vorhanden ist, auch sind die Lebenserhaltungskosten gestiegen und mehr Geld geht für Miete, Essen, Kleidung usw. drauf. Wie in allen selbstständigen Berufen, ist es häufig unklar, wieviel Geld man tatsächlich verdienen wird. Mal gibt es einen guten Monat der Rücklagen erlaubt, mal gibt es einen schlechten Monat bei welchem man ans eigene Ersparte muss. Eine Zukunftsplanung ist dadurch nochmal weitaus schwieriger. Viele Sexarbeiter*innen sind daher auch oft in anderen Jobs tätig oder nutzen ihre Skills für andere Berufe, und sorgen somit für eine Art Grundsicherung. Nichtsdestotrotz schätzen viele die Sexarbeit als eine zeitlich relativ flexible und eigenständige Arbeit, um Einkommen zu erzielen. Die ökonomischen Umstände sind für alle Sexarbeitenden sehr verschieden und individuell geprägt. Es gibt Menschen, die mittels Sexarbeit der Armut entkommen wollen und dennoch prekär leben und arbeiten und es gibt genauso Menschen, die sexuelle Dienste sehr erfolgreich anbieten und dies als Vollzeitjob und einzige Verdienstquelle betreiben. In beiden Fällen muss die Tätigkeit als Arbeit verstanden und respektiert werden und der Fokus sollte darauf liegen, wie die Menschen besser, sicherer und selbstbestimmter arbeiten und leben können. Was den Unterschied macht und die Erfahrungen beeinflusst sind häufig sich überschneidende Formen von Diskriminierung oder Privilegien: Sprachkenntnisse, Migrationsstatus, Gender, unterschiedlicher Zugang zu Ressourcen oder Communities etc. Dies alles macht leider einen Unterschied auch im Verdienst und Arbeitsalltag.

PrEP ist in der Szene ein großes Thema.  Wie geht ihr damit um, was ratet ihr?  Auch im Hinblick auf Geschlechtskrankheiten und sexuelle Gesundheit insgesamt? 

Unsere Gesundheitsberatung beinhaltet natürlich auch das Thema PrEP und wir raten zur Einnahme von PrEP und vermitteln an Stellen um diese zu erhalten. Gleichzeitig klären wir auch auf, dass PrEP eben nur vor HIV schützt, aber nicht vor anderen, teils sogar häufiger vorkommenden Geschlechtskrankheiten. Daher raten wir zur gleichzeitigen Verwendung von Kondomen – zumal die Nutzung von Kondomen auch im sog. ProstituiertenSchutzGesetz vorgeschrieben ist. [Anmerkung der Redaktion: Kondome schützen vor einer HIV-Übertragung. Sie senken außerdem auch das Risiko, sich mit anderen Geschlechtskrankheiten anzustecken. Einen vollständigen Schutz bieten sie gegen Geschlechtskrankheiten jedoch nicht. Deswegen sind regelmäßige Tests wichtig. Mehr Infos unter www.iwwit.de/kondome.] Viele Sexarbeitende sind daran interessiert sich nicht mit Geschlechtskrankheiten anzustecken, schließlich ist der eigene Körper auch irgendwo ein Arbeitsmittel und bei einem Ausfall gäbe es keine bezahlte Krankschreibung. Daher stoßen wir auf Interesse und Eigeninitiative bei diesem Thema und merken, dass viele Sexarbeitende bereits mindestens ein gewisses Grundwissen zu dem Thema haben und sich weiter informieren möchten.

Caspar ist Sexarbeiter. Und er ist trans*männlich. Caspar mag seinen Beruf. Für ihn ist Sexarbeit ein Job, wie jeder andere auch, den er mal toll, mal scheiße findet. Um sich vor HIV zu schützen, nimmt Caspar die PrEP.

Sex unter Drogeneinfluss, bzw. Substanzen ist ja auch ein Thema, das die Szene beschäftigt.  Was ratet ihr Leuten, die zu euch kommen?  

Unser Ansatz ist derjenige der sogenannten „Harm Reduction“, also der Reduzierung von Gefahren. Wir klären auf zum sichereren Gebrauch von Drogen oder vermitteln bei Bedarf an medizinisches Personal und Suchthilfen. Bzgl. der Arbeit denken wir, dass es am Besten ist, nüchtern zu arbeiten, auch um möglichen Gefahrensituationen besser begegnen zu können. Doch der Bedarf an Chemsex von Seiten der Kundschaft ist teilweise hoch. Daher appellieren wir auch an die Kundschaft, fair und verantwortungsbewusst beim Buchen sexueller Dienstleistungen zu handeln.

Aktuell wird das sog. „ProstituiertenSchutzGesetz“ eher als Schikane, Diskriminierung und (Teil-)Kriminalisierung wahrgenommen, denn als Schutz. Was es wirklich bräuchte, wäre eine gesetzliche Gleichbehandlung und die Festschreibung von tatsächlichen (Arbeits-)Rechten – unter Beteiligung und Anhörung von den Sexarbeitenden selbst.

Ihr seid ja kein aktivistisches Bündnis, aber dennoch die Frage: Habt ihr Forderungen an die Politik, etwa an den Senat, was sich beim Thema Sexarbeit verändern müsste?  Was wünschen sich die Escorts? 

Als geförderte Beratungsstelle stehen wir im Austausch mit dem Senat und versuchen in verschiedenen Arbeitskreisen unsere Expertise einzubringen. Wir sehen uns dabei klar an der Seite von Sexarbeitenden und versuchen ihre Lage wo möglich zu verbessern. Da die Sexarbeit ein zutiefst politisiertes und reguliertes Berufsfeld ist, haben wir natürlich auch Perspektiven auf die Politik, die vom Kontakt mit unserem Klientel beeinflusst werden. In Berlin haben wir an dem „Runden Tisch Sexarbeit“ mit Senat, Behörden, Betreiber*innen und Sexarbeitenden teilgenommen. Dabei wurden sehr gute Handlungsempfehlungen erarbeitet, welche bisher jedoch nur unzureichend umgesetzt werden. Wir wünschen uns, dass diese Ideen schneller und besser umgesetzt werden. Gleichzeitig müssen Projekte, die Sexarbeitende unterstützen oder sogar von diesen selbst angeführt werden, weiter gefördert und ausgebaut werden.

Was wir von Sexarbeitenden oft hören, ist dass sie sich eine Überarbeitung der aktuellen Gesetzeslage wünschen. Aktuell wird das sog. „ProstituiertenSchutzGesetz“ eher als Schikane, Diskriminierung und (Teil-)Kriminalisierung wahrgenommen, denn als Schutz. Was es wirklich bräuchte, wäre eine gesetzliche Gleichbehandlung und die Festschreibung von tatsächlichen (Arbeits-)Rechten – unter Beteiligung und Anhörung von den Sexarbeitenden selbst. Solch ein Gesetzestext wäre auch eine wichtige Voraussetzung um der anhalten Stigmatisierung und Diskriminierung von Sexarbeitenden zu begegnen. Wir müssen hier zum einen bessere Aufklärung in der Gesellschaft leisten, aber auch Gleichbehandlung und eine Verbesserung der Lebenslagen gesetzlich verankern. Wenn aktuell Sexarbeit haufenweise Sonderregelungen unterzogen wird, sie als unmoralisch oder als Gesundheitsrisiko dargestellt werden, dann ist es nicht verwunderlich wenn Diskriminierung gegen Sexarbeitende anhält und sogar existenzielle Probleme durch Institutionen verursacht, bspw. wenn sich jemand nicht für eine Wohnung bewerben kann, weil der Job nicht angegeben werden kann oder wenn eine Bank mal wieder das Konto einer Person in der Sexarbeit sperrt. Wir wünschen uns daher, dass unsere und die wichtige Arbeit anderer Kolleg*innen weiter fortgesetzt und gefördert wird, dass Betroffene selbst mehr Unterstützung erhalten, dass ihre Bedürfnisse auch durch gesetzliche Rechte Antwort erhalten und dass der vielseitigen Diskriminierung und Stigmatisierung durch Aufklärung und Gleichbehandlung begegnet wird.


HIV-Schutz in der Sexarbeit? Trans* Mann Caspar setzt auf die PrEP! Schau dir hier das Video dazu an: https://www.youtube.com/watch?v=Vxwz_OHgwEU

Von Michael G. Meyer

Michael G. Meyer lebt und arbeitet in Berlin, und schreibt über LGBTIQ-, Kultur-, Reise- und Medienthemen für verschiedene Zeitschriften und Magazine, aber auch fürs Radio.