Protest für sicheren Raum für Sexarbeit in Berlin
Es ist Februar 2025. Ein grauer Nachmittag. In der Berliner Goebenstraße versammeln sich Menschen mit einem Transparent, Warnwesten und roten Regenschirmen. Etwa zwanzig Menschen sind gekommen, Sexarbeiter*innen und Unterstützer*innen. Manche von ihnen halten Schilder hoch. „Full decriminalization now“ Steht darauf, „Support your local sexworkers“.
Sie stehen vor dem Büro des Berliner kommunalen Wohnungsunternehmen Gewobag, um gegen den plötzlichen Stopp des Café Julia, einem Nachtcafé für Sexarbeiter*innen zu protestieren. „Seit Jahren haben wir diesen Raum geplant, der nicht nur Beratung und Ressourcen bieten, sondern auch ein sicherer Ort für Menschen sein soll, die immer wieder an den Rand gedrängt werden.“, heißt es in einem Redebeitrag.
Das Café Julia war ein Traum, der beinahe Realität geworden wäre. Die Finanzierung durch den Senat war ebenso zugesagt. Auch die Kooperation mit der Berliner Stadtmission, welche das Eckhaus nahe der Berliner Frobenstraße tagsüber bespielt hätte, stand bereits fest. Die Sexworker wollten es nachts öffnen, entsprechend der Bedürfnisse der Arbeiter*innen vom Straßenstrich.
Kurfürstenkiez: Arbeitsalltag von Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern
Die Frobenstraße ist eine Seitenstraße im Rotlichtivertel des Kurfürstenkiez. Der Kurfürstenkiez war nie ein einfacher Ort, aber in den vergangenen Jahren hat sich der Druck spürbar erhöht. Mit den steigenden Mieten und den immer neuen Bauprojekten wächst auch die Feindseligkeit gegenüber jenen, die an diesem Ort arbeiten müssen. Wo früher Nachbar*innen noch grüßten oder zumindest wegsahen, gibt es heute häufiger Anzeigen, Beschwerden, nächtliche Polizeikontrollen. Gleichzeitig fehlt es an den niedrigschwelligen Orten, die Sicherheit schaffen könnten. Stehen auf der belebten Kurfürstenstraße gut sichtbar alle paar Meter die Sexarbeiter*innen, um ihre Kund*innen anzuwerben, ist der Standort in der Frobenstraße deutlich abgeschiedener. Diese Straße ist der Arbeitsplatz der trans Frauen.
Ein designierter Ort im öffentlichen Raum kann Vorteile haben. Kund*innen, die eine trans Frau treffen möchten, wissen, dass sie sie dort kennen lernen können. Man kann sich untereinander unterstützen und zusammen die Wartezeit totschlagen. Sichtbarkeit heißt an diesem Ort, einander zu finden.
Sichtbarkeit in der Sexarbeit: Zwischen Schutz und Gewalt
Zugleich ist die Sichtbarkeit eine Gefahr. Im Band „Trap Door: Trans Cultural Production and the Politics of Visibility“, herausgegeben 2017 von Tourmaline, Eric A. Stanley und Johanna Burton wird die Sichtbarkeit von trans Personen, die ab den 2010er Jahren weltweit auf völlig neue Weise angestiegen ist, als Falltür beschrieben. Nicht, wie ein Tür, durch die man durchgehen kann, weg von dem einen und hin zu einem anderen, vielleicht schöneren Ort. Sondern eine Falle, die einem jederzeit den festen Boden unter den Füßen rauben kann.
So sind die Sexarbeiter*innen der Frobenstraße mit Pöbeleien, Drohungen und körperlicher Gewalt konfrontiert. Immer wieder berichten sie davon, dass Männergrüppchen gezielt mit dem Auto an ihnen vorbei fahren, um sie mit Flaschen zu bewerfen und zu beschimpfen. Dies ist nur durch ihre spezifische Sichtbarkeit, eine Hypervisibility, die sie als trans feminine Personen, die Sexarbeit leisten und auf den öffentlichen Raum als Arbeitsplatz angewiesen sind, erfahren. Sichtbarkeit ohne Schutz, ohne Ressourcen, ist gefährlich. Die aktuellen Zahlen vom Trans Murder Monitoring der Organisation TGEU (Trans Europe and Central Asia) zeigen auch dieses Jahr, dass Sexarbeiter*innen 34% der weltweit ermordeten trans Personen ausmachen.
Eigene Räume für trans* Sexarbeiterinnen: Mehr als nur ein Café
Aus diesem Grund kämpfte TransSexworks, eine Berliner Gruppe aus transSexarbeitenden, so lange für einen Raum, den sie selbst verwalten und den Bedürfnissen der eigenen Community entsprechend gestalten können. Die Immobilie der Gewobag wäre fußläufig vom trans* Straßenstrich gelegen, hätte nicht nur als Café, sondern auch als Wäsche- und Duschmöglichkeit, als Zufluchtsort vor Gewalt und zum sozialen Beisammensein dienen sollen. Alltäglichkeiten eines würdevollen Lebens, die für trans* Sexarbeitende nicht selbstverständlich sind.
Nicht nur Armut erschwert ihnen den Zugang zu sicheren Räumen. Auch fehlende Papiere, Rassismus, Lücken im Lebenslauf und Transmisogynie spielen eine Rolle. Selbst wer sich einen Cafébesuch leisten kann, ist nicht überall willkommen oder fühlt sich dort wohl. Das Hurenstigma zieht sich durch die gesamte Gesellschaft. Es macht die Räume für jene, die es besonders hart trifft, klein und selten.
Die Gewobag wirbt online mit der „Diversität“ der Hauptstadt. Trotzdem hatte sie ihre Räume nach einer Zusage an das Projekt plötzlich an einen anderen Interessenten vermietet. Nun soll dort ein Dentallabor einziehen. Dieses Unternehmen ist nicht auf den Standort in Straßenstrich-Nähe angewiesen. Es bringt aber ein sauberes Image für das Viertel.
Wer nach Erklärungen sucht, vermutet schnell, dass die Gewobag das Café Julia als Spekulations-Joker genutzt hat, um eine höhere Miete zu erzielen. Was wirklich geschah, bleibt unklar.
Wenn Sexarbeit aus dem Netz verschwindet: Zensur auf Social Media
Die Kundgebung, um gegen den geplatzten Traum vom eigenen Space zu protestieren, ist eine der letzten großen Aktionen, die transsexworks sichtbar machen konnte. Der Instagram-Account, der mit über 10.000 Followerinnen international vernetzt war und für Nutzer*innen Bildung, Empowerment, Spendenmöglichkeiten und Community war, wurde im August von der zu Meta gehörigen Plattform ohne Warnung und natürlich ohne Begründung gesperrt. Eine Bitte, die Entscheidung noch einmal zu überprüfen, blieb wirkungslos.
Sexarbeitende haben seit jeher eine ambivalente Beziehung zu den sozialen Medien. Sie waren auf fast jeder Plattform Pionierinnen, machten sie, wie im Falle von Tumblr oder Twitter, durch ihren Content für eine breite Masse attraktiv und prägten insbesondere die Finanzierungsmodelle (Beispiel: Onlyfans). Die Europäische Allianz für die Rechte von Sexarbeiterinnen (European Sex Workers Rights Alliance, ESWA) zeigte 2022 in einer Studie, dass Plattformen Sexarbeitende systematisch mit Shadowbans belegen und ihre Accounts löschen.
„Die Zensur beschränkt sich nicht auf Bilder oder sexuelle Inhalte. Selbst Bildungs-, politische oder aktivistische Beiträge werden häufig markiert und entfernt. Begriffe wie „Sexarbeit“, „OnlyFans“ oder „Escort“ werden von Moderationsalgorithmen automatisch geflaggt – unabhängig davon, in welchem Zusammenhang sie verwendet werden. Dadurch wird schon das einfache Erzählen aus dem eigenen Leben, das Bewerben einer legalen Dienstleistung oder das Posten über Menschenrechte zum Grund für eine Löschung. Das schrieb Yigit Aydinalp, Programmdirektor bei ESWA, im Mai 2025 in einem offenen Brief an Meta.
Diese Zensur trifft auch Personen, Gruppen und Vereine in Ländern, in denen Sexarbeit legalisiert oder entkriminalisiert ist. Der Konzern stellt damit seine eigenen Moralvorstellungen über die örtlichen Gesetze und exportiert die Kriminalisierung der Sexarbeit aus den USA nach Europa.
Mit einem gelöschten Account verschwinden oft Jahre an geteiltem Wissen. Hinweise auf Gefahren, Materialien zur rechtlichen Beratung, Informationen für Migrant*innen, Kunstprojekte, Trauerbekundungen und Community-Geschichte sind dann weg. Alles wird mit einem einzigen Klick gelöscht.
Sexarbeitende können sich weder als Individuen online zeigen noch ihre Persönlichkeiten, Träume und Schicksale zum Ausdruck bringen. Sie dürfen auch nicht für sich selbst einstehen oder politische Diskurse mitbestimmen.
Plattformen, Profite und Rechte von Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern
Selbst in Deutschland, wo Sexarbeit unter bestimmten Rahmenbedingungen legal ist, dominieren einige Tech-Unternehmen den virtuellen Raum, den Sexworker nutzen können. Die Plattformen sind von hohen Gebühren, schlechtem Service und der Priorisierung der Kundinnen-Egos vor der Sicherheit der Sexarbeiterinnen geprägt. Hurenstigma in Sprache und Struktur und keine Möglichkeiten der Mitbestimmung für die Nutzerinnen kommen noch hinzu. Mit ihnen ist viel Geld zu machen, solange sich kaum jemand für die Ungerechtigkeiten, denen sie ausgesetzt sind, interessiert.
Wer spricht über Sexarbeit – und wer wird zum Schweigen gebracht?
Die Medien, sozial oder traditionell, sind paradoxerweise voll vom Thema Sexarbeit. Sex sells und Selling Sex verkauft sich gleich doppelt so gut. Über Sexarbeitende zu sprechen ist erlaubt, wird honoriert und hat schon so manche Publizist*innenkarriere befeuert. Auch dieses Jahr blieb die Community nicht von einer Debatte um die Kriminalisierung der Sexarbeit in Deutschland verschont.
Dabei ist unwichtig, wer die besseren Argumente oder die gelebte Erfahrung hat. Der Raum, in dem die Debatte ausgetragen wird, lässt nur eine der vielen Perspektiven auf das Thema zu: Die Perspektive derer, die mit echten Sexarbeitenden keine Räume teilen. Es ist praktisch, wenn man über eine Gruppe redet, die nicht antworten kann. Da muss man sich nicht um Präzision, Augenhöhe und Respekt dieser Gruppe gegenüber bemühen.
Trotz allem: Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter schaffen sich Raum
Auf dem Rückweg von der Kundgebung wirken die roten Regenschirme wie kleine, trotzige Punkte im grauen Stadtbild. Ja, das Café Julia wurde verhindert. Ja, TransSexworks wurde von Meta zum Schweigen gebracht. Und doch sucht die Gruppe weiter nach Möglichkeiten für ihren selbstverwalteten Raum im Kurfürstenkiez. Und doch gibt es bereits einen neuen Instagram-Account und überdies eine neue Website, die in Zukunft die Dokumentation und Vernetzung unabhängig von Meta & Co. ermöglichen soll. Diese Community kann nicht gelöscht werden. Es gibt keine Welt ohne Sexarbeiterinnen.
FAQ: Häufige Fragen zu Sexarbeit, Rechten und sicheren Räumen
Hier beantworten wir zentrale Fragen zu Sexarbeit, den Arbeitsbedingungen von Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern sowie den Herausforderungen, die besonders trans Personen in diesem Beruf erleben. Die FAQ bieten Orientierung und Hintergrundwissen zu Rechten, Sicherheit und gesellschaftlichen Debatten.
Sexarbeit bezeichnet freiwillige sexuelle Dienstleistungen, die gegen Bezahlung erbracht werden. Der Begriff betont, dass es sich um Erwerbsarbeit handelt und nicht um Ausbeutung oder Zwang.
Sexarbeit ist Arbeit, weil sie Leistung, Zeit, körperliche Präsenz und Professionalität erfordert. Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter verdienen damit ihren Lebensunterhalt und brauchen — wie andere Berufe — Schutz, Rechte und sichere Arbeitsbedingungen.
Trans Sexarbeitende erleben häufig Mehrfachdiskriminierung. Transfeindlichkeit, Stigma und soziale Ausgrenzung erhöhen das Risiko von Gewalt und fehlendem Zugang zu sicheren Räumen.
Der rote Regenschirm ist das internationale Symbol der Sexarbeit-Bewegung. Er steht für Schutz, Solidarität und die Forderung nach Rechten und Entkriminalisierung.
Viele trans Personen landen in der Sexarbeit, weil sie auf dem regulären Arbeitsmarkt stark diskriminiert werden. Fehlende Papiere, Transmisogynie, Brüche im Lebenslauf oder ein erschwerter Wohnungszugang führen dazu, dass reguläre Jobs schwer erreichbar sind.
Sexarbeit bleibt dann oft einer der wenigen Wege, um Einkommen und Autonomie zu sichern.
– Legalisierung bedeutet: Sexarbeit ist erlaubt, aber nur innerhalb enger gesetzlicher Rahmenbedingungen. Wer diese nicht einhält, wird kriminalisiert.
– Entkriminalisierung bedeutet: Sexarbeiter*innen werden nicht strafrechtlich verfolgt und können ihre Arbeit sicherer, selbstbestimmter und ohne Angst vor Polizei oder Stigma ausüben.
Du kannst unterstützen, indem du:
– respektvoll grüßt
– nicht fotografierst
– nicht anonym bei Behörden beschwerst
– ihnen ihren Arbeitsraum lässt
– Gewalt oder Übergriffe meldest
– Vorurteile hinterfragst
Viele Konflikte entstehen, weil Menschen Sexarbeiter*innen als „Problem“ statt als Menschen wahrnehmen.
Blogbeiträge rund um HIV und Aids
Spannende Artikel und Stimmen aus der Community: Erfahre mehr über den Alltag mit HIV, Präventionsmethoden und persönliche Erfahrungen.
Materialien zum Informieren und Teilen
Hier findest du verschiedene Materialien zu HIV, Aids und queerer Gesundheit – digital oder gedruckt, zum Lesen, Anschauen und Weitergeben.
Sexuelle Gesundheit und HIV/STI in trans…
„Welche Bedarfe existieren in trans und nicht-binären Communities hinsichtlich sexueller…
Sexuelle Bildung in trans und nicht-binären…
Dieses Handbuch bildet die im Rahmen des SeBiCo-Projekts erarbeiteten Inhalte…
Hilfe & Beratung für Sexarbeiter*innen
Hier findest du Unterstützungsstellen zu Rechten, Sicherheit, Gesundheit, Beratung und Community-Angeboten – bundesweit und in Berlin.
Du brauchst jemanden zum Reden?
Ob akut oder einfach zur Orientierung – manchmal hilft es, mit jemandem vertraulich zu sprechen. Nutze den Gay Health Chat – der Button rechts unten begleitet dich auf der Seite. Dort bekommst du anonym und kostenlos:
- Persönliche Live-Beratung im Chat
- Hilfe per Mail oder Telefon
- Infos zu Gesundheit, Recht, Alltag und mehr
Beratungsstelle für Sexarbeitende – Hydra e.V.
Beratung, rechtliche Unterstützung, Gesundheits-Infos & Empowerment speziell für Sexarbeiter*innen.
Zur WebsiteDeutsche Aidshilfe – Infos zu Sexarbeit
Rechte, Sicherheit, Gesundheit und Unterstützung für Menschen in der Sexarbeit.
Zur WebsiteTrans*Sexworks Berlin
Community-basierte Unterstützung für trans Sexarbeitende. Empowerment, Beratung & Ressourcen.
Zur WebsiteDeutscher Berufsverband erotischer und sexueller Dienstleistungen (BesD)
Beratung, rechtliche Infos & politische Interessenvertretung von Sexarbeiter*innen.
Zur WebsiteLambda Berlin-Brandenburg
Unterstützung für queere Jugendliche, auch bei Themen wie Diskriminierung, Gewalt & Outing.
Zur WebsiteBerliner Krisendienst
24/7 psychosoziale Hilfe bei Krisen, Gewalt, Wohnungsproblemen & Belastungssituationen.
Zur WebsiteFrauen- und Trans* Schutzräume Berlin
Notunterkünfte, Schutzräume und Beratung für von Gewalt bedrohte FLINTA-Personen.
Zur WebsiteQueer Refugees Deutschland
Support für queere Migrant*innen – auch relevant für Sexarbeiter*innen ohne Papiere.
Zur WebsiteAmnesty International – Sexarbeiter*innenrechte
Materialien, Schutzkonzepte & politische Arbeit für Entkriminalisierung und Rechte.
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