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Doku „Die andere Seite des Regenbogens“: Anders queer

Thomas Bartels Dokumentation liefert intime und spannende Einblicke in das Leben von Schwulen, Lesben und Trans* in Berlin.

Thomas Bartels Dokumentation liefert intime und spannende Einblicke in das Leben von Schwulen, Lesben und Trans* in Berlin.

„Die spinnen, die Berliner“ haben so manche im Rest der Republik gedacht, als sich die Hauptstadt-Community vor einigen Jahren wegen des Christopher-Street-Day in die Wolle kriegte. Fortan musste man sich zwischen zwei parallel durch die Stadt paradierenden Demos entscheiden: zwischen dem großen Partyzug mit vielen Hunderttausend Teilnehmern, und dem kleineren Transgenialen CSD in Kreuzberg.

Die Andere Seite Des Regenbogens
Die sehens- und empfehlenswerte Doku ist jetzt auf DVD erhältlich. (DVD-Cover)

Nicht nur für Auswärtige war dieser heftig ausgetragene Konflikt bisweilen schwer nachzuvollziehen. In Thomas Bartels’ 2014 fertig gestellter Dokumentation „Die andere Seite des Regenbogens“ werden die wichtigsten Argumente noch einmal vorgetragen, gegen die Kommerzialisierung des Protestes, den Rassismus und die Spießigkeit auch innerhalb der eigenen Reihen gewettert.

Queere Lebensentwürfen

Die beiden CSDs sind immer wieder Dreh- und Angelpunkt in diesem Film; Organisatoren kommen zu Wort und auch der inzwischen abgetretene Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit. Doch Thomas Bartels geht es zum Glück nicht darum, die Streitereien und die damit verbundenen Debatten rund um die CSDs zu dokumentieren. Er porträtiert vielmehr eine Handvoll Demoteilnehmer_innen, die sich mit ihren eigenen queeren Lebensentwürfen von der großen Massenparade nicht repräsentiert fühlen.

Da ist zum Beispiel der Punk- und Tattoo-liebende Musikjournalist Nico, der nichts mehr fürchtet, als dass Insider-Underground-Partys von der Masse entdeckt und damit um ihren besonderen Reiz beraubt werden. Und den nervt, das sich manche Schwule als Punk lediglich verkleiden, in der Hoffnung, „öfter gefickt zu werden“.

Sogar einen Kinderwunsch

Isabelle wiederum will sich weder als hetero- oder homosexuell definieren, sondern lieben, wen das Herz nun mal will. Kategorisierungen sind ihr fremd. Dass sie sich im Laufe der rund zweijährigen Dreharbeiten in eine Frau verliebt, mit ihr zusammenzieht und zuletzt sogar einen Kinderwunsch entwickelt, überrascht sie selbst vielleicht am meisten.

Auch bei Jayrôme wird man durch die lange Drehzeit hinweg zum Augenzeugen einer einschneidenden Veränderung und Entwicklung: von einer lesbischen Frau, die sich bei Dragking-Performances ausprobiert, mit ihrer Identität hadert und sich schließlich als Trans*mann die Freiheit nimmt, ab und an auch mal Kleid und Perlenkette zu tragen.

Kurzfristig erledigt

Und dann ist da auch noch Mark, der sich in alternativen Szeneorten besser aufgehoben fühlt als in den Schöneberger Homolokalen. Und der aufgrund einer Erkrankung mit einer teilweisen Lähmung kämpfen muss, diesem Handicap jedoch mit erstaunlicher Souveränität und Klarheit begegnet. Mit der gleichen Klarheit geht er auch mit seinem positiven HIV-Status um. Das Testergebnis hatte ihn zwar überrascht, denn eigentlich, so war er sich sicher, „hatte ich immer aufgepasst“. Eine Zeitlang war er zu Gesprächsrunden mit anderen HIV-Positiven gegangen. „Aber das war für mich kurzfristig erledigt“, sagt Mark. Alles habe sich immer nur um HIV gedreht und das war ihm zu einseitig. „HIV sollte man nicht zum Mittelpunkt des eigenen Lebens machen.“ „Es ist ein Umstand, mit dem man leben muss“, sagt Mark. Mehr nicht.

Nachvollziehbar und charmant-witzig

„Die andere Seite des Regenbogens“ ist bewohnt von unangepassten, selbstbewussten, aber durch ihre sehr aufrechte und klare Haltung auch sehr sympathischen Menschen. Solchen, denen Homo- wie Heteronormativität gleichermaßen am Arsch vorbeigeht und die ihre Standpunkte klug, nachvollziehbar und bisweilen auch charmant-witzig zu formulieren wissen.

Thomas Bartels Dokumentation überzeugt aber auch durch seinen sehr schlüssigen Schnitt und die äußerst professionelle Kameraführung. Umso bedauerlicher, dass „Die andere Seite des Regenbogens“ im vergangenen Jahr nur in wenigen ausgewählten Kinos zu sehen war. Nun ist der sehens- und empfehlenswerte Film erfreulicherweise auch auf DVD erhältlich.

„Die andere Seite des Regenbogens“. Mit Jâyrome C., Nico, Isabelle, Mark sowie Michael Bochow, Markus Behrens, Ruth Luschnat, Robert Kastl u .a. 86 min. Bezugsquellen über www.other-side-of-the-rainbow.com

DieAndereSeiteDesRegenbogens
Die Protagonisten der Doku sind unangepasst, selbstbewusst, aber durch ihre sehr aufrechte und klare Haltung auch sehr sympathisch. (Szenendetail)

Von Axel Schock

Freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

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