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Queeres Leben nach einem Jahr Pandemie: “Wir sind systemrelevant”

Covid-19 bestimmt seit mittlerweile mehr als einem Jahr unseren Alltag und verändert subkukturelle Räume und Safer Spaces. Was macht die Pandemie mit queerem Leben in Deutschland? Eine Zwischenbilanz.

Covid-19 bestimmt seit mittlerweile mehr als einem Jahr unseren Alltag und verändert subkukturelle Räume und Safer Spaces. Wie sieht queeres Leben während der Pandemie in Deutschland aus? Eine Zwischenbilanz.

Nichts beschäftigt uns seit letztem Jahr so sehr wie die Corona-Pandemie und die darauf folgenden Einschränkungen. Ob Lockdown Light, Wellenbrecher-Lockdown oder Harter Lockdown, fest steht, dass Einrichtungen des öffentlichen Lebens seither als Gesundheitsrisiko gelten, darunter auch Safe Spaces für queere Menschen. Die Be­trei­be­r*in­nen von Darkrooms, Bars oder Clubs haben mit kurzer Unterbrechung seither quasi Berufsverbot, die Mitarbeiter*innen sind in Kurzarbeit oder ohne Aufträge. 

In der Krise schränken auch viele Hilfseinrichtungen ihr Angebot ein oder bieten ihre Beratungsgespräche nun lediglich online oder telefonisch an. Die Fachstelle für queere Geflüchtete der Schwulenberatung Berlin geht dabei anders vor. Hans Kalben ist Sozialpädagoge und seit 2015 Teamleiter der Fachstelle. “Die Hürden für digitale Termine sind für unsere Zielgruppe oftmals zu hoch”, sagt Kalben. Zwar arbeite Kalben mittlerweile häufiger aus dem Homeoffice, ein großer Teil der Beratungsgespräche finde aber noch immer vor Ort statt: “Viele Geflüchtete haben kein Endgerät oder W-Lan oder finden in der Gemeinschaftsunterkunft einfach keine Privatsphäre.”

In der Krise schränken viele Hilfseinrichtungen ihr Angebot ein.

Vor Ausbruch der Pandemie fand jeden Dienstag und Freitag ein Treffen im Café Kuchus in Berlin-Kreuzberg statt, zu dem sich niemand anmelden musste. Zwar kommuniziere die Beratungsstelle aktuell, dass die Treffen coronabedingt ausfallen, inoffiziel stehen aber immer Mitarbeitende für Beratungsgespräche bereit: “Wir haben die Erfahrung gemacht, dass trotzdem immer viele Menschen kommen, die Hilfe brauchen.” Seit letztem März gebe es einen verstärkten Bedarf an Beratungsgesprächen und das obwohl weniger Menschen neu in Deutschland ankommen als vor Ausbruch der Krise. “Menschen, die schon länger illegalisiert im Land leben und die sich sonst mit Sexarbeit oder anderen prekären Beschäftigungsverhältnissen über Wasser halten, haben verstärk Hilfe in Anspruch genommen”, sagt Kalben. Durch den Lockdown sei ein Asylverfahren für viele dieser Menschen die letzte Chance. 

Negative Asylbescheide und Abschiebungen trotz Corona

Was Kalben und seinem Team seit einem Jahr immer wieder schwerfalle, sei die richtige Kommunikation der Corona-Schutzmaßnahmen. “Geflüchtete in Gemeinschaftsunterkünften haben gar nicht die Möglichkeit sich zu schützen oder alle Corona-Hygienemaßnahmen einzuhalten”, sagt er. Belastend sei auch die Sorge, Geflüchtete in den Beratungsgesprächen mit Covid-19 zu infizieren. Um dies zu verhindern, arbeite die Beratungsstelle mit Spuckschutztrennwänden, Aerosolgeräten, Masken und Abstandsregeln: “Es ist eine tägliche Herausforderung, bestmöglich zu beraten und gesundheitliche Risiken dabei zu vermeiden.” 

Abschiebungen finden weiterhin statt, obwohl sich die Situation in vielen Herkunftsländern der Geflüchteten dramatisch verschlechterte.

Trotz Lockdown und Krisenlage laufe die Arbeit in den Behörden und beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge weiter. So erhalten Geflüchtete trotz Pandemie, laut Kalben, weiterhin negative Asylbescheide ohne dass die Fristen dabei der besonderen Situation angepasst seien. Selbst Abschiebungen finden weiterhin statt, obwohl sich die Situation in vielen Herkunftsländern der Geflüchteten dramatisch verschlechterte. “Ein Asylverfahren ist immer schwierig, die Pandemie macht es aber noch komplizierter, alle Fristen pünktlich einzuhalten”, sagt Kalben.

Aufgrund des weltweiten Gesundheitsnotstandes gab es in Krankenhäusern immer wieder die Anweisung, planbare Operationen zu verschieben. Betroffen waren davon auch geschlechtsangleichende Operationen bei trans Menschen, die, sofern es dabei nicht um die Behandlung von Komplikationen ging, nicht als medizinisch notwendig galten. Krankenhäuser arbeiten seit mehr als einem Jahr am Limit, weshalb Kundgebungen und Pride-Paraden mittlerweile online statt auf der Straße veranstaltet werden. DJ-Sets queerer Clubs finden derzeit nur noch als Livestream statt. 

Digitales Queeres Leben

Das Pornfilmfestival Berlin, das engen Körperkontakt eigentlich voraussetzt, fand letztes Jahr lediglich vor einer kleinen Anzahl von Gästen statt. “Es war teilweise frustrierend an einem Festival zu arbeiten, das nicht so werden kann und darf, wie man es sich eigentlich wünscht”, sagt Kuratorin Paulita Pappel. Die wenigen Tickets, die es zur Verfügung gab, waren nach kurzer Zeit ausverkauft. “Das war bei der reduzierten Anzahl an Kinoplätzen aber auch nicht schwer”, sagt Paulita Pappel. Neben ihrer Tätigkeit für das Festival besitzt sie die Online-Plattform „Lustery, auf der privat gefilmte Videos von Paaren zu sehen sind. Während viele Pornoproduktionen aufgrund des Lockdowns gestoppt wurden, stellte sich die Plattform als pandemiesicheres Modell heraus: “Wir haben während der Krise mehr Einreichungen erhalten und hatten eine größere Anzahl an Zuschauer*innen.” 

Durch den Verlust vieler Veranstaltungen sorgt die Pandemie dafür, dass die Sichtbarkeit queeren Lebens in deutschen Städten seit mehr als einem Jahr stark eingeschränkt ist. Die Einweihungsfeier eines Projekts in Mainz fiel der Pandemie zum Opfer. Die Eröffnung des queeren Wohnprojekts Queer im Quatier, das letzten Februar in der Mainzer Neustadt eröffnet wurde, fiel auf den Beginn des ersten Lockdowns in Deutschland. Joachim Schulte, 67, plante das Wohnprojekt in den letzten Jahren und musste die Einweihungsparty auf Zoom veranstalten. Kurz vor der Pandemie bezogen 32 queere Menschen unterschiedlichen Alters 21 Wohnungen in Mainz. Das Wohnprojekt, das als Safe Space gedacht war, funktioniere während der Krise aber nur sehr eingeschränkt. “Wir hätten uns alle in der Einstiegsphase des Projekts gerne besser kennengelernt”, sagt Schulte.

Grafik von 6 Personen, die eine Corona-Maske tragen, wobei jede Person in einer Farbe der Regenbogenfahne eingefärbt ist.

Likes und ein “Yaas” statt Umarmungen und Küsse

So treffe man sich derzeit meist am Müllcontainer oder wenn jemand vom Einkaufen komme. Das Herzstück des Wohnprojekts könne aufgrund der geltenden Hygienemaßnahmen aktuell nicht genutzt werden: “Die Gemeinschaftswohnung, die wir als Treffpunkt für alle nutzen wollten, steht leer.” Da viele Bewohner*innen  zur Risikogruppe gehören, sei man besonders vorsichtig: “Im Sommer haben wir uns zwar auf Abstand im Park getroffen, dabei konnten wir uns aber nicht wirklich kennenlernen.” Abseits der Zoom-Konferenzen plane die Gruppe aber kleinere coronakonforme Aktionen. So backen manche Bewohner*innen Kuchen, legen ihn in die Gemeinschaftswohnung und geben allen Bescheid, dass sie sich nacheinander ein Stück abholen können. All die verpasste Zeit zusammen, wolle man nach der Krise nachholen. “Es herrscht große Enttäuschung, dass wir die Gemeinschaft nur begrenzt genießen können.”

Im Corona-Jahr 2020 gab es nur wenige Gelegenheit sich als queere Gemeinschaft zusammenzufinden und sichtbar zu sein. Dragqueen Pansy aus Berlin arbeitet mittlerweile im Impfzentrum und verlegt ihre Drag-Shows ins Netz. Umarmungen und Küsse wurden zu Likes und einem “Yaas” in den Kommentarspalten. Zwar zogen vereinzelt kleinere Demonstrationen wie der “Dyke March” in Berlin durch die Straßen, dabei sollten jedoch alle wenn möglich auf den Mindestabstand achten und einen Mund-Nasen-Schutz tragen. Selbst das zweite Jahr der Pandemie scheint von Lockdowns bestimmt, Großveranstaltungen sind noch immer in weiter Ferne. 

Abseits privater Wohnräume

Abseits privater Wohnräume gibt es also seit Ausbruch der Krise nur wenig Gelegenheiten, sich in queeren Einrichtungen zu treffen. Zwar wurden bereits viele Wirtschaftshilfen verabschiedet, viele Betriebe und Menschen, die diese besuchen, leiden nach einem Jahr Pandemie und Dauerlockdown aber an den Folgen der Krise. Lokale mit Darkrooms sind mit kurzen Unterbrechungen im Sommer letzten Jahres deutschlandweit geschlossen. Thomas Pfizenmaier, der die Fetisch- und Cruising-Bar New Action in Berlin-Schöneberg und eine weitere Fetischbar in Hamburg betreibt, fand zwischen den Lockdowns eine andere Möglichkeit, Umsatz für seinen Betrieb zu generieren. Gleich nachdem seine Bar nach dem ersten Lockdown wieder öffnen durfte, beantrage Pfizenmaier eine Nutzungserlaubnis zur Außengastronomie. 

Kaffee und Kuchen statt Fetisch und Sex

„Mein Lebenspartner hat sich dann in die Küche gestellt und Kuchen gebacken“, sagt er. Er wolle nicht auf Spenden setzen und so servierte er zwischenzeitlich in seinem Pop-Up-Café “Corinna” tagsüber Kaffee und Kuchen, obwohl die Fetischbar sonst immer nur nachts geöffnet war. Eine Zwischenlösung für den Sommer, die aber nicht mehr viel mit Fetisch, Darkroom oder Sex zu tun hat. Da die beantragten Coronahilfen lediglich für betriebliche Kosten genutzt werden dürfen, lebe er als Barbetreiber schon seit März von seinen Ersparnissen: „Ich brauche mittlerweile seit fast einem Jahr meine selbstersparte Rente auf.“ Derzeit denke er aber noch nicht ans Aufgeben, obwohl die Verluste immer größer werden und seine Ver­mie­te­r*in­nen ihm anscheinend nicht entgegenkommen: „In Hamburg gab es während der Krise sogar eine Mieterhöhung.“ 

„Ich brauche mittlerweile seit fast einem Jahr meine selbstersparte Rente auf.“

Pfizenmaier denkt, dass sich viele schwule Männer während der Pandemie Schutzräume im Privaten suchen. Dort werden aber, anders als im New Action, weder Namen, Meldeadressen oder Ankunfts- und Ausgangszeit vermerkt. „Wenn sich zig Männer über Online-Plattformen zu Hause verabreden und etwas passiert, kann dieses potentielle Infektionsgeschehen weder kontrolliert noch nachverfolgt werden.“

„Wir sind systemrelevant für den Erhalt schwuler Kultur, Lebensformen und alternativer familiärer Verhältnisse.”

Zumindest aktuell geht Pfizenmaier davon aus, dass das “New Action” nach der Krise wieder für seine Kunden öffnen wird. „Ich hoffe, dass sich die schwule Community nach der Pandemie darauf besinnt, wer ihnen über das Jahr hinweg die Stange gehalten hat“, sagt er. Seine Bar sei nicht einfach nur ein gastronomischer Betrieb, sondern diene wie alle anderen queeren Lokale als wichtiger Schutzraum für schwule Subkulturen: „Wir sind systemrelevant für den Erhalt schwuler Kultur, Lebensformen und alternativer familiärer Verhältnisse.”

Eine Einwegmaske in Herzform auf rotem Hintergrund. Daneben 6 Personen, wobei jede Person in einer Farbe des Regenbogens dargestellt ist.

IWWIT ist für euch da! 

Auch die queere Szene ist von der Coronavirus-Pandemie betroffen, sei es durch mögliche Einsamkeit in der Isolation oder durch finanzielle Schwierigkeiten.

Doch wir lassen euch nicht hängen! Deswegen haben wir unsere Kampagne #WirFürQueer ins Leben gerufen: Ihr seid nicht allein! Wir helfen uns gegenseitig! Gemeinsam schaffen wir es durch diese harten Zeiten! Mehr Infos findet ihr auf iwwit.de/wir-fuer-queer.

Auf gayhealthchat.de beraten wir dich zudem täglich zwischen 17 und 20 Uhr – schnell, vertraulich und kostenlos.

Von Steven Meyer

Arbeitet als freier Journalist in Berlin. Am liebsten schreibt er über queere Themen und über alles, was binäres Denken herausfordert. Wenn er nicht schreibt, produziert er unter anderem TV-Reportagen.