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Mein Weg aus der Dunkelheit einer schwulen Missbrauchsbeziehung

Queerer Kampf gegen unsichtbare Fesseln: Unseren Autor quälten plötzlich Depressionen. Und er wusste nicht warum. Bis seine engste Freundin den Verdacht hatte, dass sein Partner ein Narzisst ist. Die Geschichte eines traumatischen Befreiungskampfes.

Durch die Dunkelheit: Ein Kampf gegen Gaslighting und die Schatten der Depression

Fast drei Jahre später war ich nur noch ein Schatten meines früheren Selbst. Psychiatrische Diagnose: Eine mittelschwere Depression. Das kannte ich nicht wirklich. Klar hatte ich als Teenager depressive Phasen, vor allem vor meinem Coming-out. Aber welcher schwule oder queere Jugendliche hat diese nicht? Seit meinem Coming-out mit 16 Jahren waren mir Depressionen eigentlich fremd und ich war stets ein sehr fröhlicher und positiv eingestellter Mensch.

Doch fast drei Jahre Beziehung mit Mike hatten mich emotional und psychisch so fertiggemacht, dass ich mich selbst nicht mehr wiedererkannte. Vor allem aber verstand ich (noch) nicht, warum ich überhaupt eine Depression hatte! Denn eigentlich konnte ich mich doch glücklich schätzen? Ich lebte in Berlin, meiner Lieblingsstadt, in einer tollen Wohnung. Ich hatte gute Freundschaften, sowie einen Job, der mich erfüllte. Und wie Mike mir ständig zu verstehen gab: Eine Beziehung, die so besonders war, dass die ganze Welt auf uns eifersüchtig war. Auch hier weiß ich es heute besser: Dies war nicht nur Größenwahn. Es war eine Projektion.

Projektionen
Projektionen sind ein essentieller Bestandteil von Narzissmus und vielen anderen toxischen Persönlichkeiten. Bei der Projektion werden negative eigene Anteile auf andere Menschen projiziert, um diese Menschen dann zu kritisieren und anzugreifen. Zum Beispiel können narzisstische Menschen sehr eifersüchtig sein. Diese Emotionen projizieren sie dann auf ihre*n Partner*in oder andere Menschen und werfen ihnen dann vor, selbst von Eifersucht zerfressen zu sein. Es geht darum, eigene verhasste Anteile zu verstecken, indem man sie bei anderen (oft fälschlicherweise) kritisiert.2

Am Arm trug ich mittlerweile eine Narbe durch selbstverletzendes Verhalten. Die Wunde hatte ich heimlich selbst zugenäht, so sehr schämte ich mich für mein Verhalten und meine Depression. Über die vergangenen Monate hinweg hatte ich alles versucht, um die Depression los zu werden: Ausdauersport in der richtigen Herzfrequenz, Ernährungsumstellung, Meditation. Doch egal, was ich auch tat, es half nichts. Und noch immer verstand ich nicht, dass der Grund für meine Depression in meiner Beziehung lag. Dass es sogar einen Fachbegriff dafür gab: Gaslighting.

Gaslighting
Gaslighting ist eine weitere Form des emotionalen und psychischen Missbrauchs. Es ist eine oftmals sehr versteckte, heimliche Form des Missbrauchs, der in schweren Depressionen enden kann. Der Begriff stammt vom Theaterstück „Gaslight“ aus dem Jahr 1938 über einen Ehemann, der versucht, seine Frau psychisch zu destabilisieren, um sich an ihr zu bereichern. Im Theaterstück verursacht er das Flackern und Herunterdimmen des Gaslichts. Seiner Frau, die das bemerkt, erzählt er, dass diese verrückt sei, sich das nur einbilden würde und das Licht so hell sei wie immer.

Gaslighting funktioniert vor allem dann, wenn das Opfer nicht merkt, dass es unter Gaslighting leidet. Es ist eine Form der Manipulation, bei der der Gaslighter versucht, sein Opfer davon zu überzeugen, dass es sich falsch erinnert, das eigene Verhalten oder die eigenen Motive falsch versteht oder falsch interpretiert und dadurch Zweifel in ihm weckt, die es verletzlich und verwirrt machen.3 Gaslighter nutzen diese Verwundbarkeit aus, um ihr Opfer immer wieder an sich selbst zweifeln zu lassen, mit dem Ziel, sie an sich und ihre Version der „Wahrheit“ zu binden und emotional abhängig zu machen. „Du weißt nicht, wer du bist. Aber ich weiß es“, meinte Mike wortwörtlich einmal zu mir.

Doch in den seltensten Fällen ist Gaslighting so offensichtlich:

Tatsächlich ist Gaslighting eine Art von heimlichem Tyrannisieren, das oft von Partner*innen, Freund*innen oder Familienmitglieder*innen ausgeübt wird, die darauf bestehen, dass sie Sie lieben, obwohl sie Sie hintergehen. Sie wissen, dass etwas nicht stimmt – aber Sie können es nicht genau benennen.4

Robin Stern

„Man ist immer am härtesten zu den Menschen, die man am meisten liebt“, meinte Mike ein anderes Mal zu mir – so als ob das seinen kontinuierlichen Missbrauch rechtfertigen würde, schließlich passiere es ja aus vermeintlicher „Liebe“.

Gaslighting geschieht oft innerhalb enger, vertrauter Beziehungen über einen längeren Zeitraum hinweg. Anfangs ist das Opfer vielleicht einfach nur verwirrt. Nach einer Weile aber fängt es an, komplett an sich und seinem Geisteszustand zu zweifeln und die falsche „Realität“ des Gaslighters anzunehmen. Im Extremfall traut das Opfer der eigenen Wahrnehmung überhaupt nicht mehr und das, was der Gaslighter über das Opfer sagt, wird zur kompletten Wahrheit. Mit dem Ergebnis schwerer Depressionen.

Mike hatte mich über die vergangenen drei Jahre hinweg auf viele verschiedene Arten gegaslightet. Jedoch war die weitaus destruktivste Form – und zugleich diejenige, die ihn entlarven sollte – seine Projektion der Eifersucht.

Jedes Mal, wenn ich in den vergangenen drei Jahren mit Mike über etwas sprechen wollte, was mir in unserer Beziehung nicht gefiel, drehte Mike den Spieß um und warf mir Eifersucht vor. Eifersucht, die so tief sei, dass ich sie nicht einmal bemerkte.

Mike war ein Mensch, der extreme Ordnung und Sauberkeit liebte. In seiner ursprünglichen Heimat hatte er eine Reinigungskraft, die fast täglich kam und das Haus säuberte und hotelähnlich herrichtete. In unserer gemeinsamen Wohnung in Berlin war es mir verboten, abends auf dem Sofa vor einer Serie einzuschlafen, während auf dem Sofatisch noch ein benutztes Glas von mir stand. Alles musste stets absolut perfekt aussehen – eben wie in einem neu eingerichteten Hotel. Und ich versuchte stets, seinen Wünschen gerecht zu werden.

Wir hatten eine offene Beziehung. Eines Tages kam ich nach Hause und das Wohnzimmer war ein einziges Chaos: Überall lagen Kissen auf dem Boden verteilt. Das Sofa war halb auseinandergenommen. Und der Tisch war voll mit benutztem, schmutzigem Geschirr. Mike hatte ein Date und war mittlerweile mit ihm in seinem Zimmer. Normalerweise hätte mich das Chaos nicht gestört. Allerdings empfand ich es als unfair, dass Mike mich emotional bestrafte, als ich es wagte, auf dem Sofa einzuschlafen, mit einem benutzten Glas auf dem Tisch, während er sich selbst erlaubte, dieses Chaos anzurichten.

Also teilte ich ihm später meine Unzufriedenheit mit dieser Doppelmoral mit. Das war noch relativ am Anfang unserer Beziehung. Noch wusste ich nicht, wann die emotionale Apokalypse folgte. Doch sie tat es hier prompt. Und inmitten dieser weiteren emotionalen Achterbahn, dieses Moments der emotionalen Verwundbarkeit, war das Gaslighting versteckt: Eigentlich ginge es mir nicht um eine Doppelmoral, wetterte Mike. Eigentlich ginge es hier um Eifersucht. Ich sei von Eifersucht auf sein Date regelrecht zerfressen. Und diese Eifersucht sei der wahre und einzige Grund für meine Kritik an ihm.

Wie jeder Mensch kannte auch ich Eifersucht. Allerdings war ich nie jemand, der von Eifersucht „zerfressen“ war. Wenn ich Eifersucht empfand, war mir das in der Regel bewusst. Und ich versuchte, manchmal fälschlicherweise, allein damit klar zu kommen, Achtsamkeit auf das Gefühl zu lenken, um das dahinterliegende Bedürfnis zu verstehen, ohne die andere Person oder die Beziehung damit zu belasten. Aber das hier war kein Moment der Eifersucht.

Dennoch: Das Gaslighting und die emotionalen Apokalypsen hatten bereits die ersten Ergebnisse eingefahren. Ich fing an, an mir selbst zu zweifeln. Schon wieder reagierte mein Partner, dem ich vertraute, mit einem gigantischen Wutanfall. Ich muss also wirklich eine Grenze überschritten und was falsch gemacht haben. Zudem will ein Partner doch das Beste für die Beziehung und kennt dich besser als viele andere Menschen. Warum sollte er mich also belügen? Vielleicht bin ich ja wirklich eifersüchtig und merke es nicht einmal? Manche Gefühle können ja sehr unterbewusst sein. Und so wirkte das Gaslighting. Über die Monate und vieler weiterer solcher Momente hinweg glaubte ich seiner Version von mir immer mehr und meinem eigenen Wissen über mich selbst und meinem Innenleben immer weniger. Und je mehr ich seinem negativen Bild über mich glaubte, je weniger ich mir selbst vertraute und je mehr ich dadurch den Zugang zu meinem wahren Selbst verlor, desto stärker wurde die Depression. Mike hatte die Kontrolle über mich, meine Emotionen und meine Psyche erlangt.

[Gaslighting läuft in der Regel in drei Phasen ab: (1) Unglaube, (2) Verteidigung, (3) Depression.] Wenn Gaslighting zu Phase 3 fortschreitet, können die Ergebnisse wirklich verheerend sein. Zu diesem Zeitpunkt hat das Gaslighting Sie hoffnungslos, hilflos und freudlos gemacht (…) und Sie wandern in einer riesigen, unbekannten Wüste ohne Landkarten oder Orientierungspunkte. Sie können sich kaum noch daran erinnern, wer Sie waren, bevor die Gaslighting-Beziehung begann. Alles, was Sie wissen, ist, dass etwas furchtbar falsch ist – wahrscheinlich mit Ihnen selbst. (…) Der Gaslight-Effekt ist wahrhaft seelenzerstörerisch. Der vielleicht schlimmste Moment ist der, in dem man erkennt, wie weit man sich von dem entfernt hat, was man früher für sein bestes Selbst hielt – sein wahres Selbst. Sie haben Ihr Selbstvertrauen, Ihr Selbstwertgefühl, Ihre Perspektive und Ihren Mut verloren. Am schlimmsten ist, dass Sie Ihre Lebensfreude verloren haben.5

Robin Stern

Trauma-Bindungen
Es ist für Menschen manchmal schwierig, sich von Missbrauchsbeziehungen zu befreien. Das kann unter anderem an sogenannten Trauma-Bindungen liegen. Trauma-Bindungen sind emotionale Bindungen zu einem Individuum (und manchmal auch zu einer Gruppe), die sich aus einem wiederkehrenden, zyklischen Muster von Missbrauch entwickeln. Diese Bindungen werden durch intermittierende Verstärkung mittels Belohnungen und Bestrafungen aufrechterhalten. Traumatische Verbindungen entstehen also infolge eines kontinuierlichen Zyklus von Missbrauch, bei dem die wechselnde Anwendung von Belohnung und Bestrafung starke emotionale Bindungen schafft, die schwer veränderbar sind. Dieser Zyklus kann durch drei Phasen beschrieben werden: In der Flitterwochenphase ist der Täter charmant, aufmerksam und betreibt Love-Bombing. In der Phase des Spannungsaufbaus wird der Täter immer unzufriedener und das Opfer kann nichts tun, um ihn zu besänftigen. In der Explosionsphase wird das Opfer schließlich verbal, emotional oder manchmal auch körperlich misshandelt. Anschließend beginnt der Zyklus wieder mit der Flitterwochenphase.